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Alleine China bestimmt die Kurse

Georg Graf von Wallwitz
Georg Graf von Wallwitz
Wenn Du lange genug an einem Fluss wartest, schwimmen die Leichen Deiner Feinde an Dir vorbei.
Chinesische Volksweisheit

Die Kapitalmärkte sind nervöse Gebilde, die immer schon die nächste Geschichte wittern, noch bevor die alte zu Ende erzählt ist. Dies zeigt sich derzeit an der Krise Europas und den unkonventionellen Maßnahmen der Zentralbank in den Vereinigten Staaten, welche die Märkte in den letzten Jahren bewegt haben. Es wurde intensiv der Untergang der Eurozone bzw. ein kurz bevor stehender Ausbruch einer Hyperinflation diskutiert. Groß war die allgemeine Angst und attraktiv war das Gold als einzig denkbare Fluchtburg.

Heute sind weder die unkonventionellen Maßnahmen am Ende (geschweige denn zurückgedreht), noch sind die Grundprobleme der Währungsunion beseitigt. Aber dennoch lässt das Interesse bereits deutlich nach. Als wolle der Markt seine Problemkinder nicht ausreden lassen, fällt er ihnen ins Wort und ändert das Thema.

Die Aktienmärkte der USA und Kerneuropas laufen gut, die Anleihemärkte sind trotz der Richtungsänderung der US-Zentralbank nicht aus dem Bett gefallen, und das Elend der vergangenen fünf Jahre scheint sich in Wohlgefallen aufzulösen. Das ist umso bemerkenswerter, als die Halbjahresberichte der Unternehmen alles andere als berauschend waren.

Die US-Aktienmärkte sind seit Jahresanfang zwischen 15 und 20 Prozent gestiegen, aber die Gewinne sind in den letzten 12 Monaten um 1,3 Prozent gefallen, wenn man die Finanzwerte herausrechnet (die von einer sehr niedrigen Basis ausgehen). In Europa war die Entwicklung der Aktienmärkte moderater (zwischen 5 und 10 Prozent), aber der Rückgang der Gewinne war derselbe. Global gehen nur 42 Prozent der Änderungen der Gewinnschätzungen nach oben, in den Emerging Markets sind es sogar nur 33 Prozent.

Kurz gesagt, weder das große Bild (Geldschwemme!) noch das kleine Bild (Gewinne!) interessieren die Märkte derzeit.

Das neue (um nicht zu sagen: das einzige) Thema heißt derzeit China. Die Rohstoff- und die Anleihemärkte der Schwellenländer, die am sensibelsten auf Änderungen in China reagieren, sind in Unordnung geraten und verharren seit Monaten in diesem Zustand. Das deutet darauf hin, dass es sich in China weniger um zyklische als um strukturelle Probleme handelt, die leider nicht einfach durch einen Parteibeschluss aus der Welt geschafft werden können.

Das chinesische Wachstumsmodell (dem im meinem neuen Buch Mr. Smith und das Paradies ein ganzes Kapitel gewidmet ist), scheint an seine Grenzen gestoßen zu sein und einer grundsätzlichen Reform zu bedürfen.

An dieser Stelle drängt sich der Vergleich mit Japan auf. Beide sind dem von Colbert abgesteckten Pfad des Merkantilismus gefolgt. Die Unternehmen werden mit billigem Kapital subventioniert und ihre Exporte durch eine künstlich billige Währung begünstigt.

Die Sparquote wird auf Kosten des Konsums hoch gehalten, obwohl die niedrigen Zinsen reale Verluste bedeuten für die Sparer (die auf Grund der Kapitalverkehrskontrollen nicht in andere Währungen entwischen können). In China wurde in bislang ungekanntem Maße, noch mehr als Japan in den 50er- und 60er-Jahren, in die Infrastruktur, in Fabriken und Immobilien investiert.

Dass es damit nun nicht weiter gehen kann, erkennt man daran, dass die Immobilienpreise in vielen Küstenstädten westliches Niveau erreicht und die Verwaltungsbauten ein barockes Aussehen angenommen haben, während die Inflationsrate von 7 Prozent vor einem Jahr auf nun nur noch 0,5 Prozent gefallen ist (was auf Überkapazitäten und/oder schwaches Wachstum hinweist).

Der Leistungsbilanzüberschuss (ein Maß für die von der Partei beschlossene Sparsamkeit der Chinesen) hat vor einiger Zeit einen Höhepunkt von 10 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) erreicht - Japan hat nie mehr als 4 Prozent geschafft. Die Sparsamkeit ist damit in China zu einer irrationalen Tätigkeit (oder Enthaltsamkeit) geworden, die weit über das Maß des nächsten Vorbilds hinaus geht. Das zeigt sich auch an der Kehrseite der Sparquote, den Investitionen. Diese machen heute 50 Prozent des BIP aus, in Japan war es allenfalls die Hälfte.

China muss sein Modell umstellen, denn Überinvestitionen haben schon immer zu Pleiten geführt. Japan hat es vorgemacht: In den 1990er-Jahren ist der Anteil des Konsums am BIP gestiegen, aber auf Grund des scheibchenweisen Zusammenbruchs der Investitionen, nicht weil der Konsum angesprungen wäre.

Das Ergebnis waren zwei verlorene Dekaden. Eine weitere Parallele ist das Kreditsystem, welches in China so delikat auszusehen beginnt, wie einst in Japan zum Beginn des Zeitalters der Zombie-Banken. In China werden die Banken heute (wie einst in Japan) von Bürokraten dirigiert und Kredite nach politischen Präferenzen vergeben. In China wird ein erheblicher Teil der Kredite über Immobiliengeschäfte und Schattenbanken (das hießt inoffizielle Kreditgeber, vom Investmentfonds über den Pfandleiher bis zum Kredithai) finanziert, sodass es schwer ist, die Größe der Blase genau abzuschätzen.

Kenneth Ho vom Bankhaus Goldman Sachs schätzt die Verschuldung auf 219 Prozent des BIP, was deutlich mehr ist als bei jeder vergleichbaren Volkswirtschaft auf einem ähnlichen Entwicklungsniveau. China könnte (wie in der Vergangenheit) aus einem Kreditüberhang herauswachsen, aber bei der Größe, welche die Volkswirtschaft heute erreicht hat, ist das nicht einfach. Allein der Staat hat, laut Ho, einen Verschuldungsgrad von 79 Prozent des BIP und ein Haushaltsdefizit von 6 Prozent pro Jahr. Dagegen sieht Spanien eigentlich ganz gesund und proper aus.


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Aber China ist alles andere als ein hoffnungsloser Fall. Das Land hat noch 3.500 Milliarden US-Dollar an Währungsreserven. Das ist viel Knete, mit der sich so manches Loch im Bankensystem geräuschlos schließen lässt. Aber eine Lösung muss relativ bald gefunden werden. Faule Kredite lassen sich unter den Teppich kehren, solange die Wirtschaft gut läuft.

Lässt das Wachstum erst einmal nach, wie in Japan in den 1980er-Jahren, liegen sie bleischwer in den Bankbilanzen und lähmen das Kreditsystem und damit die Wirtschaft insgesamt. Da Chinesen und Japaner (und Europäer) im Unterschied zu den Amerikanern am liebsten das Gesicht wahren und den Tag der Wahrheit lieber aufschieben als eine reinigende Krise zu suchen, tun sie so lange wie möglich, als würden sie das verliehene Geld, das längst verloren ist, irgendwann wieder bekommen.

Das führt dazu, dass Geld in Banken und Unternehmen versickert, die längst dem Untergang geweiht sind, anstatt in den gesunden Teilen des Systems für einen neuen Aufschwung zu sorgen. Mit viel Können und etwas Glück kann China Wachstumsraten von 4 Prozent im Jahr für eine Weile beibehalten und die große Krise vermeiden.

Die Partei hat in der Vergangenheit immer wieder großen wirtschaftlichen Sachverstand und Überlebenswillen bewiesen, und von der Papierform her ist es machbar, die Chinesische Wirtschaft umzusteuern. Aber in dem (unwahrscheinlichen) Fall, dass es wirklich ungemütlich wird, weil China und die Partei sich nicht reformieren können, dann wird unsere Sorge um das Haushaltsdefizit von Spaniern und Italienern tatsächlich zu einem Luxusproblem werden.

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