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Anleihenbewertung jenseits herkömmlicher Kreditratings

Ottmar Wolf
Ottmar Wolf
Neben der gründlichen Analyse wirtschaftlicher Kennzahlen spielen bei der erfolgreichen Selektion von Corporate Bonds auch weiche Faktoren eine wichtige Rolle. In der Praxis werden entsprechende Aspekte allerdings oft vernachlässigt.

Sieht man von der erzielbaren Rendite einmal ab, stellen die Noten der renommierten Ratingagenturen für viele Anleihekäufer das mit Abstand wichtigste Kriterium bei der Auswahl ihrer Papiere dar. Schließlich erhalten sie mit der Bewertung zwischen AAA und CCC- beziehungsweise Caa3 einen objektiven und transparenten Maßstab an die Hand, der es ihnen ermöglicht, die statistische Ausfallwahrscheinlichkeit einzelner Bonds exakt zu bestimmen sowie verschiedene Papiere miteinander zu vergleichen. Und geht etwas schief, sprich die Anleihe fällt aus oder die wirtschaftliche Situation des Schuldners verschlechtert sich rapide, sind mit Moody`s, Standard & Poor´s und Fitch auch gleich die Schuldigen gefunden. Ganz offensichtlich haben die hoch bezahlten Profis mit ihren Abstufungen mal wieder viel zu spät reagiert oder sie waren schlicht und einfach nicht in der Lage, die Bonität der Emittenten korrekt einzuschätzen. So gesehen ließen sich Anleiheportfolios eigentlich wunderbar mit jedem darauf spezialisierten Computerprogramm zusammenstellen.
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Dem ist natürlich nicht so. Die Bewertungen der Ratingagenturen sind nämlich keineswegs das Maß aller Dinge bei der Ermittlung des tatsächlichen Anleiherisikos mit all seinen Facetten, weshalb sie innerhalb unseres Auswahlprozesses von Corporate Bonds auch nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Attraktive Möglichkeiten erfordern gewisse Freiräume

An erster Stelle sollte bei der Anleihewahl das Screening nach hohen Renditen beziehungsweise großen Spreads im Vergleich zu Bundesanleihen stehen. Nur mit solchen Papieren lassen sich die Ertragsmöglichkeiten des Kreditmarktes schließlich auch tatsächlich nutzen. Vorteilhaft ist es dabei immer, wenn der Anleihekäufer nicht durch gesetzliche, vertragliche oder interne Vorgaben restringiert ist, die es ihm verbieten, Bonds mit einem Rating unterhalb des Investmentgrade (niedriger als BBB- beziehungsweise Baa3) zu erwerben. Da der spekulative Bereich vielen institutionellen Investoren nämlich verschlossen ist, lassen sich hier oft deutlich attraktivere Chance-Risiko-Verhältnisse realisieren. Das gilt besonders für den Sonderfall, dass ein Schuldner durch Abwertung seines Ratings in dieses Segment hineinrutscht und es dadurch zu erheblichem Abgabedruck kommt.

Risikoanalyse auf Basis quantitativer und qualitativer Faktoren

Nach dem Renditescreening folgt die Risikoanalyse der herausgefilterten Anleihen. Dazu gehört unter anderem die Betrachtung quantitativer Faktoren, also die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldner und etwaiger Garantiegeber anhand von Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie des Free Cash Flows.

Genauso wichtig wie quantitative Faktoren sind aber auch qualitative Aspekte: Wie ist die Qualität des Managements? Verfügt das jeweilige Unternehmen über ein funktionierendes Geschäftsmodell und kommt ihm eine hohe Bedeutung innerhalb eines relevanten Sektors zu? Hierzu zählen wir derzeit unter anderem den Logistikbereich und den Automobilsektor. So fällt beispielsweise die Continental AG mit Sitz in Hannover in das beschriebene Raster. Für den Konzern beziehungsweise die von ihm begebenen Bonds spricht auch dessen hohe Relevanz für die Arbeitsplätze in der Region und damit verbunden die dortige Politik.

Ankerinvestoren als Stabilisator

Weitere wichtige Aspekte bei der Risikobeurteilung sind die Investorenstruktur sowie die Verbundenheit der Fremd- beziehungsweise Eigenkapitalgeber mit dem jeweiligen Unternehmen. Als Positivbeispiel lässt sich hier sicherlich die Hapag-Lloyd AG nennen, deren bis Mitte Oktober 2015 laufende Euro-Anleihe (WKN: A1EWQC) aktuell eine Rendite von rund 9 Prozent jährlich verspricht.
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