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Bankenrefinanzierung Draghi lädt zu Wetten auf steigende Zinsen ein

Die Europäische Zentralbank bietet den Banken neuerdings wieder Geld für bis zu vier Jahren an - um sie über Wasser zu halten, und um dafür zu sorgen, dass sie die Konjunkturerholung mit der Vergabe von Krediten unterstützen. Gleichzeitig lädt sie zu Wetten darüber ein, wann die EZB ihre ultra-lockere Geldpolitik straffen wird -- je eher eine Bank vermutet, dass die Zinsen im Lauf der vier Jahre steigen, umso attraktiver ist für sie das Zentralbankgeld.

Vier Wochen nachdem die EZB ihren Plan zur Unterstützung der holprigen Erholung des Euroraums enthüllt hat, rätseln Volkswirte und Investoren immer noch über dessen Feinheiten. Draghi versucht die Investoren zu überzeugen, dass die EZB an ihrer lockeren Geldpolitik länger festhalten wird als die Federal Reserve und die Bank von England. Doch der Zusammenhang zwischen dem Umfang der aktuellen Stimulierungsmaßnahmen und der Aussicht auf ein künftiges höheres Zinsniveau erinnert daran, dass das billige Geld nicht für immer verfügbar sein wird.

“Draghi hat mit seiner aktuellen Vorgehensweise die Geldpolitik komplexer gemacht, obwohl es einfachere Alternativen gäbe”, sagte Andrew Bosomworth, geschäftsführender Direktor bei Pacific Investment Management Co., einer Tochtergesellschaft von Allianz SE, in München. “Ich behalte mir ein Urteil vor, bis wir die Auswirkungen auf die Wirtschaft sehen, aber wenn ich einen Tipp abgeben müsste, würde ich sagen die Chancen ob es klappt oder nicht stehen 50:50.”

Das Maßnahmenpaket der EZB, das auch einen negativen Einlagensatz umfasst, hat bislang einen Einbruch an den Geldmärkten des Währungsblocks ausgelöst. Die Kosten für das Ausleihen von Geld im Interbankenverkehr rutschten am 19. Juni auf 0,01 Prozent ab. Seit Monatsbeginn beträgt der Durchschnittswert 0,07 Prozent, verglichen mit 0,25 Prozent im Mai.

Wenn der EZB-Rat am Donnerstag dieser Woche zu seiner nächsten Sitzung zusammentritt, wird er den Leitzins und den Einlagensatz nach einer Bloomberg-Umfrage unter Volkswirten vermutlich nicht verändern.

Derweil ist die wirtschaftliche Lage im Währungsraum der 18 Länder gekennzeichnet durch eine weiter fallende Inflationsrate und eine kreditlose Erholung. Im Juni sind die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich um 0,5 Prozent gestiegen, wie eine Bloomberg-Umfrage unter Volkswirten im Vorfeld der für den heutigen Montag um 11 Uhr anstehenden Bekanntgabe des EU- Statistikamts in Luxemburg ergab. Die EZB strebt eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent an.

Das neueste geldpolitische Buchstabenungeheuer - TLTROs, die zielgerichtete langfristige Refinanzierungsoperation - ist keine herkömmliche Bereitstellung von Zentralbankgeld.

Die Banken können sich für zwei Jahre Geld ohne Auflagen leihen, und sie können es sogar zur Ablösung bestehender Notkredite der EZB nutzen. Aber sie müssen nachweisen, dass sie das Geld an Unternehmen oder private Haushalte weiterverliehen haben, wenn sie es bis zum Auslaufen des Programms im Jahre 2018 behalten wollen.

Gleichzeitig sicherte Draghi ein anhaltend niedriges Zinsniveau zu und verlängerte die Zusage, den Banken so viel kurzfristige Liquidität zur Verfügung zu stellen wie sie wollen, bis Ende 2016. Damit stellt er die Banken vor ein Dilemma: sie müssen entscheiden, welche Finanzierungsquelle die billigste ist.

Die Banken können sich bei der EZB jede Woche und alle drei Monate Geld zum Leitzinssatz besorgen, der derzeit bei 0,15 Prozent liegt. Für die TLTROs muss hingegen ein Aufschlag von 0,1 Prozentpunkten gezahlt werden - das wären aktuell also 0,25 Prozent. Der bei der Vergabe anfallende Zinssatz ist für die Laufzeit des Kredits fest. Wie attraktiv die TLTROs sind, hängt also davon ab, für wann und in welcher Höhe die Banken eine Leitzinsanhebung erwarten.

“Es ist schon etwas rätselhaft”, sagte Nick Matthews, leitender Ökonom bei Nomura International in London. “Man kann das Programm so deuten, dass die EZB irgendwann im Jahre 2017 für eine Erhöhung des Refi-Satzes offen wäre. Gleichzeitig versucht sie die Botschaft zu vermitteln, dass die Zinsen für einen ausgedehnten Zeitraum niedrig bleiben.”

Im Anschluss an die letzte Ratssitzung sagte Draghi, die Währungshüter beabsichtigten, die Zinsen “möglicherweise länger als bislang vorgesehen” niedrig zu halten. In einem Interview mit der niederländischen Zeitung De Telegraaf sagte er, die Verlängerung der Liquiditätszusagen bis Ende 2016 sei als “Signal” zu verstehen.

In der Bloomberg-Monatsumfrage von Juni reichten die Antworten auf die Frage, wann mit der nächsten Zinserhöhung zu rechnen ist, vom ersten Quartal 2015 bis nach 2017. Die Mehrheit erwartet den Schritt spätestens Ende 2016. Für Fed und Bank von England erwarteten die Teilnehmer bereits innerhalb von 15 Monaten eine Straffung der Geldpolitik.

“Die EZB hat ein Interesse daran, uns jetzt zu erzählen, dass die Zinsen für eine Weile niedrig bleiben, aber das heißt nicht, dass ihre Hände für die nächsten vier Jahr gebunden sind”, sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank in London. “Die neuen Kredite beruhen auf der Annahme, dass die Zinsen gegen Ende 2016 steigen werden. Wenn die Banken das nicht glauben, ist es kaum ein attraktives Angebot.”

Gemäß dem TLTRO-Programm können Geldinstitute in zwei Operationen im September und Dezember bis zu sieben Prozent des Volumens der Kredite, die sie an Unternehmen und Privathaushalte vergeben haben, aufnehmen. Hypotheken werden dabei nicht berücksichtigt. Damit hat das Programm zunächst ein Volumen von rund 400 Milliarden Euro.

Francesco Papadia, ehemaliger Generaldirektor Markttransaktionen bei der EZB und jetzt Chairman bei Prime Collateralized Securities in Frankfurt, schätzt, dass weniger als 300 Milliarden Euro in Anspruch genommen werden. Er vertritt die Auffassung, dass die Gelder vornehmlich zur Ablösung einiger Ende 2011 und Anfang 2012 vergebener Notkredite der EZB verwendet werden, die Anfang kommenden Jahres fällig werden.

Das Volumen der Bankkredite an Unternehmen und Privathaushalte hat sich seit Jahresbeginn kaum verändert. Die Ausweitung der Kreditvergabe wird durch die Qualität der Kreditportfolios in Europa erschwert, die weiterhin sinkt, wie die Aufsichtsbehörde European Banking Authority vergangene Woche mitteilte.

Die Kreditklemme ist vor allem in den überschuldeten Ländern im Süden des Währungsraums spürbar. Die dortigen Banken werden vom jüngsten Stimulierungspaket besonders profitieren, sagte Reinhard Cluse, Chefvolkswirt für Europa, Nahost und Afrika bei der UBS AG in London.

“Für die Banken ist es ein sehr angenehmes Angebot, denn sie bekommen nicht nur Geld, sondern können auch noch behaupten, sie unterstützten die Erholung”, sagte Anatoli Anennkow, leitender Ökonom bei Société Générale SA in London. “Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Banken es eilig haben, kleineren Unternehmen Kredite zu geben.”

Letztenendes sind die Auswirkungen des Programms vermutlich ohnehin schwer festzustellen, denn im Zuge der allmählich kräftiger werdenden Erholung zieht die Kreditnachfrage ohnehin an, sagt Richard Barwell, leitender Volkswirt bei der Royal Bank of Scotland Group in London.

“Die Nettokreditvergabe wird sich, unabhängig von TLTRO, in den kommenden beiden Jahren vermutlich erholen”, sagte er.

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