LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
Aktualisiert am 08.08.2011 - 12:30 Uhrin MärkteLesedauer: 6 Minuten

Bantleon-Chefvolkswirt: „Der Herbst wird heißer als der Sommer“

Seite 2 / 3



DAS INVESTMENT.com: Die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik hat ohnehin in ihrer Glaubwürdigkeit stark gelitten. EZB-Chef Claude Trichet beteuerte anfangs, man wolle nur ein einziges Mal Griechenland-Anleihen kaufen. Jetzt redet man nicht mehr darüber, man macht das einfach weiter.

Preißler: Das war ganz klar der Sündenfall. Die EZB hatte sich von der Handlungsunfähigkeit der Politik provozieren lassen. Nach dem Motto: Einer muss etwas tun. Das hat aber leider auch nichts gebracht – hätte die EZB die Staatsanleihen nicht gekauft, wären die Spreads auch nicht höher als jetzt.  

DAS INVESTMENT.com: Mit den mauen Wachstumsaussichten ist aber wohl wenigstens die Inflationsgefahr vom Tisch?

Preißler: Inflationsangst habe ich keine - die hatten wir im Übrigen nie. In der Diskussion wird gern  mit dem Vergleich der Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise von  1929 operiert. Damals – und noch bis in die 80er Jahre hinein - war es so, dass monetäre Maßnahmen über einen sehr kurzen Umweg in der Realwirtschaft zu spüren waren. Heute haben wir aber ein Bankensystem, das immer mehr von diesen monetären Stimuli an die Finanzmärkte weiterreicht.  Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Geldschöpfung und Preisbildung an den Gütermärkten existiert nicht mehr. Das übersehen viele. Früher haben die Notenbanken die Liquidität in ein überschaubares Bassin, also die Finanzmärkte, gepumpt, das schnell überlief und dann schwappte die Liquidität in die Realwirtschaft. Heute pumpen die Notenbanken unvorstellbare Mengen an Liquidität in einen Ozean hinein, davon kommt nur noch tröpfchenweise etwas an den Realmärkten an. Wir werden daher kein Überschreiten des Korridors von 2 bis 4 Prozent Inflation in den kommenden  12 bis 18 Monaten sehen.

DAS INVESTMENT.com: Schauen wir mal auf kürzere Distanz - wie wird der Herbst?

Preißler: Hoffentlich wärmer als der Sommer. Aber Scherz beiseite: an den Märkten können wir davon ausgehen. Wenn wir die Welt aufteilen in risikobehaftete Assets, also Aktien, Rohstoffe, Hochzins- und Unternehmensanleihen und in die sichere Assets wie deutsche Bundesanleihen oder US-Treasuries, dann sind die Rahmenbedingungen für die Letztgenannten sehr gut.  Die Konjunkturdynamik hat nach unten gedreht, die Inflation hat ihren Hochpunkt durchschritten, die EZB wird die Zinsen nicht weiter anheben. Die Zinskurven sind aber immer noch vergleichsweise steil.  Das heißt, dass der Appetit nach Anlage in diesem Bereich zunehmen wird, weil man auf der Gegenseite eher Angst bekommt.  Zumal dort die Bewertungen sehr hoch sind. Bei Unternehmensanleihen aus dem Autosektor ist ja mittlerweile kaum noch etwas übrig als Risikoprämie.

DAS INVESTMENT.com: Aber keiner kauft gern 12-jährige Bundesanleihen bei 2,75 Prozent Verzinsung.

Preißler: Natürlich nicht, deswegen wird es auch bei den Staatsanleihen volatil bleiben. Aber die Umschichtungswelle in die Anleihen- und Triple-A-Märkte  wird kommen.  Dann gehen wir wieder Richtung 2,25 Prozent für 10-jährige Bundesanleihen.

DAS INVESTMENT.com: Bei den Dax-bei-8.000-Punkten-Prognosen sind Sie also  nicht mit dabei?

Preißler: Gott bewahre.  Auf technischer Basis abgeleitet sehen wir den Dax eher bei 6.100 Punkten. Rund 20 bis 25 Prozent Kursrücksetzer sind in diesen Aufwärtstrends alles andere als unüblich.  Wir hatten das noch nicht, selbst Fukushima hat keinen großen und lang anhaltenden  Effekt auf die Aktienmärkte gehabt. Dieser Abschwung steht uns daher noch bevor.

DAS INVESTMENT.com: Wie sehen Sie die längerfristigen Perspektiven?

Preißler: Das hängt von der längerfristigen Entwicklung der nominellen Wirtschaftsleistung ab, also dem realen Wachstum plus Inflation. Dabei spielen drei Faktoren eine Rolle:  die Demografie, die Produktivität und die Inflation. Letztere blenden wir mal aus, weil sie stabil bleiben dürfte.  Bei der Produktivität sieht man seit 40, 50 Jahren in der Eurozone und in Deutschland einen Abwärtstrend. Wir krabbeln nur noch knapp über der Nulllinie entlang.  Wir halten uns für eine Hochproduktivitätsregion, sind es aber gar nicht. Was unser Wachstum getragen hat, war zu gleichen Teilen ein bisschen Produktivität und ein bisschen Demografie.  Das wird sich auf einen Schlag, also auf Sicht von zwei Jahren, ins Gegenteil verkehren.
Tipps der Redaktion