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Carlos von Hardenberg: „Unruhen dürften die Türkei kaum aus der Bahn werfen“

Carlos von Hardenberg
Carlos von Hardenberg
2012 legte der türkische Aktienmarkt (abgebildet vom Istanbul Stock Exchange National 100 Index) über 50 Prozent zu1 und verbuchte damit für das letzte Jahr das beste Ergebnis aller Aktienmärkte weltweit. Aktuelle Meldungen über um sich greifende Proteste im Land schrecken allerdings erste Anleger ab – zumindest vorläufig.

Kurzfristige Turbulenzen


In unseren Augen sind Unruhen häufig eine natürliche Begleiterscheinung von Wandel und Weiterentwicklung. Solche kurzfristigen Turbulenzen wird es vermutlich immer wieder geben. Wir bemühen uns, den Anlegern zu vermitteln, wie wichtig es ist, weiter die langfristigen Chancen in der Türkei im Auge zu behalten und sich nicht von kurzfristigen Problemen verunsichern zu lassen.

In der Türkei ist der zunächst friedliche Widerstand gegen die Pläne der Regierung zur Bebauung des Gezi-Parks am Taksim-Platz zu Ausschreitungen eskaliert, gegen die die Polizei zur öffentlichen Empörung mit Tränengas und Wasserwerfern vorgegangen ist. Dieser beklagenswerte Aufruhr hat sich von der Park-Streitfrage auf die politische Debatte ausgeweitet, da in der Türkei ein grundlegender politischer Konflikt zwischen den Verfechtern eines säkularen Staats und den Befürwortern einer auf den Islam gegründeten Regierung vorliegt.

Zuversicht trotz Kursrutsch


Die resultierenden Unruhen dürften vorerst anhalten. Mit regierungskritischen Äußerungen waren zwar viele schnell bei der Hand, doch ein großer Teil der Bevölkerung steht hinter Premierminister Recep Tayyip Erdogan, der offenbar bemüht ist, die Lage zu beruhigen, indem er sich nach der Verschärfung der Spannungen zu Gesprächen mit den Organisatoren der Proteste bereit erklärte.

Die geopolitische Unsicherheit hat in den letzten Wochen bei türkischen Aktien einen Kursrutsch ausgelöst, der den zunächst positiven Start ins Jahr zunichtemachte. Auf längere Sicht schätzen wir die Türkei, die andere Schwellenländer im letzten Jahr generell überflügelte, jedoch weiterhin positiv ein.2 Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist aber selbstverständlich keine Garantie für die Zukunft.

Wir beurteilen die Türkei aus mehreren Gründen zuversichtlich. Aus wirtschaftlicher und investmentorientierter Perspektive ist die Erfolgsbilanz der Regierung unseres Erachtens herausragend. Die Politik schafft Anreize für ausländische Investoren. Die Regierung hat Staatsvermögen privatisiert und investiert in Infrastruktur. Ihre Pläne sehen unter anderem Hochgeschwindigkeitszüge, eine dritte Brücke über den Bosporus, Tunnelanlagen sowie den Bau eines Flughafens vor, der der größte der Welt werden könnte. Insofern ist die Anlegerstimmung derzeit nach wie vor gut.

Die Daten stimmen

Außerdem wartet die Türkei mit positiven Fundamentaldaten auf. Ihr BIP hat sich seit 2002 kräftig erhöht und ihre Banken sind generell sehr gut kapitalisiert und stabiler als in den meisten anderen Teilen der Welt, viele europäische Länder eingeschlossen. Die Zinsen sind im Vergleich zu vielen anderen Schwellenmärkten niedrig. Die türkische Zentralbank senkte ihre Leitzinsen im Mai um 50 Basispunkte (0,5 Prozent). Der einwöchige Reposatz wurde auf ein Rekordtief von 4,5 Prozent reduziert, während der Tagesgeldsatz und die Kreditzinsen jeweils auf 6,5 Prozent beziehungsweise 3,5 Prozent zurückgesetzt wurden.

Außerdem hat sich die Türkei zu einem maßgeblichen Handelspartner der EU entwickelt und eine ausgesprochen wettbewerbsfähige Exportindustrie auf die Beine gestellt, die in den letzten zehn Jahren dynamisch gewachsen ist.

Als zweite internationale Ratingagentur hat Moody’s Investors Service die Länderbonität der Türkei in diesem Jahr auf Investment Grade hochgestuft. Moody’s hob das Rating für türkische Staatsanleihen um eine Stufe an – von Ba1 auf Baa3, mit stabilem Ausblick. Die Agentur berief sich bei der Hochstufung auf „jüngste und erwartete künftige Verbesserungen wichtiger Kennzahlen für Wirtschaft und öffentliche Finanzen“ sowie „Fortschritte bei Struktur- und Institutionsreformen, die die bestehende Schockanfälligkeit bei internationalen Kapitalflüssen nach Moody’s Erwartung mit der Zeit verringern dürften“. Die jüngsten Unruhen im Land könnten seine Konjunkturaussichten jedoch trüben.

Das Währungsmanagement der türkischen Zentralbank war bislang erfolgreich. Die Inflation ist deutlich gesunken, von immerhin 120 Prozent im Jahr 1994 (gemessen vom Verbraucherpreisindex im Jahresvergleich) auf knapp über 6 Prozent im Jahr 2012.

Trotz alledem müssen die türkische Regierung und der Premierminister jetzt unbedingt zeigen, dass sie die ganze Türkei vertreten, damit sich die Lage im Land normalisieren kann. Unseres Erachtens kann das nur durch Maßnahmen geschehen, die demokratischen Grundsätzen wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und weniger staatliche Einmischung ins türkische Privatleben Vorschub leisten. Der EU-Beitrittsprozess muss weitergehen und es sind weitere Reformen erforderlich.

Heftige Reaktionen

In Situationen wie dieser erleben wir ganz oft Überreaktionen des Marktes. Als wertorientierte Investoren achten wir auf günstige Gelegenheiten zum Kauf von Aktien. Manche Investoren haben vehement auf die Turbulenzen in der Türkei reagiert, die man sicher nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Wir gehen aber nicht davon aus, dass die aktuellen Unruhen das Land aus der Bahn werfen. Auch die weiterhin vor Ort tätigen Unternehmen lassen sich davon bislang nur bedingt beeinträchtigen.

Sicherlich ist immer wieder mit volatilen Phasen zu rechnen, nicht nur in Schwellenländern, sondern auf allen Aktienmärkten, und Korrekturen sind manchmal durchaus zuträglich. Das genaue Timing ist schwierig, doch in der Türkei schauen wir uns nach potenziellen Kaufchancen um. Sofern sich die Situation nicht drastisch zuspitzt, bleiben wir zuversichtlich, dass die türkische Regierung das Mitspracherecht der Öffentlichkeit anerkennt und ihren Kurs auf wirtschaftlichen Fortschritt und Wachstum fortsetzt.



1.Quelle: Bloomberg LP Istanbul Stock Exchange National 100 Index, in Lokalwährung. Die Wertentwicklung der Vergangenheit sagt nichts über künftige Ergebnisse aus. Indizes werden nicht gemanagt. Es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren.

2.Quelle: MSCI Indexes. Alle MSCI-Daten werden „as is“ bereitgestellt. MSCI gibt keine ausdrücklichen oder stillschweigenden Gewährleistungen oder Zusicherungen und übernimmt keinerlei Haftung für hierin enthaltene MSCI-Daten. MSCI-Daten dürfen nicht weitergegeben oder als Grundlage für andere Indizes oder Wertpapiere oder Finanzprodukte herangezogen werden. Dieser Bericht wurde von MSCI weder genehmigt noch geprüft oder erstellt. Die Wertentwicklung der Vergangenheit sagt nichts über künftige Ergebnisse aus. Indizes werden nicht gemanagt. Es ist nicht möglich, direkt in einen Index zu investieren.

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