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Das große Beben

Schwarzer Januar: Die Angst vor einer US-Rezession hat die Märkte im Griff. Weil Anleger nervös sind wie lange nicht, kann jede neue Nachricht zu neuen Kurskapriolen führen524 Punkte runter, minus 7,2 Prozent: Der in Punkten höchste Verlust aller Zeiten und in Prozent schlimmste Absturz seit dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 war nur der Höhepunkt des schwächsten Jahresauftakts des Dax seit dem Start 1988. Nach einem weiteren Tagesverlust von 4,8 Prozent lag der deutsche Leitindex nach drei Januarwochen über 20 Prozent im Minus. Absturz von 8.067 auf 6.439 Punkte. „Die Nerven liegen blank“, „Jetzt sehen wir die Angst“, „Es sieht so aus, als wolle überhaupt niemand mehr Aktien haben“, kommentierten Frankfurter Händler den kurzerhand Schwarzer Montag getauften 21. Januar.

Rund um den Globus herrschten Schock und Panik. Der Abwärtstrend – außerhalb von Afrika und Arabien bereits seit Herbst 2007 in Gange – beschleunigte sich. In Hongkong erlebten Anleger beim Index für chinesische Aktien, dem Hang Seng China Enterprises, innerhalb einer Woche den mit jeweils gut 11 Prozent höchsten Tagesverlust und -gewinn aller Zeiten. Auch anderswo auf der Welt schwanken die Kurse wie seit langem nicht. Die Volatilitäts-Indizes, die diese Schwankungen messen, haben zugelegt wie sonst kein Börsenbarometer.

Höchste Zinssenkung seit 1982

Asiatische, europäische und südamerikanische Indizes brachen ein und erholten sich nur teilweise. Nur die USA, das Land, dessen Wirtschaftslage die Anleger derzeit am stärksten beschäftigt, blieben halbwegs verschont – der Schwarze Montag war dort Feiertag. Zudem versuchte US-Notenbankchef Ben Bernanke in bester Greenspan-Manier, die Märkte zu beruhigen, und senkte den Leitzins in einer Eilaktion um den höchsten Satz seit November 1982. Damals ging es von 8,75 auf 8,0 Prozent, jetzt von 4,25 auf 3,5 Prozent.

Wirklich beruhigen konnte der Zinsschritt die Märkte nicht, auch der zweite Schritt um 0,5 Prozentpunkte eine gute Woche später zeigte wenig Wirkung. Cari Maher, Angestellter aus dem Bürogebäude gegenüber der US-Börse in der New Yorker Wall Street, beobachtet seit Tagen „eine ungewöhnlich große Zahl nervöser Raucher, die sich draußen auf dem kalten Bürgersteig zusammendrängen“.

Im ebenfalls kalten Schweizer Skiort Davos, in dem sich die Elite der Weltwirtschaft zum jährlichen Wirtschaftsforum einfand, brachten die Turbulenzen an den Märkten die gesamte Agenda durcheinander: „Gerade als ich ankam, gab mein Blackberry einen Alarm nach dem anderen über die Notzinssenkung der amerikanischen Notenbank“, sagt Stephen Roach, Ex-Chefvolkswirt von Morgan Stanley und heute Vorstand des Asiengeschäfts der Bank. Statt über den Klimawandel und Mikrofinanzen zu diskutieren, starrten die Wirtschaftsgrößen auf Bildschirme und tippten eilig in ihre Blackberrys.

Zum wichtigsten Thema auf dem Gipfel zwischen den Alpengipfeln wurde die Frage, die auch immer mehr Anleger und Aktienstrategen nervös macht: Wie groß sind die Probleme der US-Wirtschaft, und welche Folgen haben sie für den Rest der Welt?

Die Probleme, so viel ist klar, sind groß. „Die USA befinden sich in einer Rezession“, sagt Roach und ist damit in guter Gesellschaft. Selbst die als ewige Optimistin bekannte Abby Joseph Cohen, US-Chefstrategin von Goldman Sachs, hat kapituliert und rechnet mit einer schrumpfenden US-Wirtschaft im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht zwar nur von einem Nullwachstum aus, „aber es wird sich anfühlen wie eine Rezession“.

Wichtigster Grund für den Pessimismus sind die Krisen auf den amerikanischen Häuser- und Kreditmärkten. Die Häuserblase ist geplatzt, weil immer mehr Amerikaner ihre Hypotheken nicht mehr bedienen konnten. Weil die Hauspreise nun sinken, ist der chronisch über Schulden finanzierte Konsum der Amerikaner in Gefahr. Damit droht eine der wichtigsten Stützen der US-Wirtschaft nun doch wegzubrechen. Roach: „Die Konsumenten werden nicht darum herumkommen, wieder auf die gute alte Weise einen Teil ihres Einkommens zu sparen.“

Im direkten Zusammenhang mit den Problemen am Häusermarkt steht die schwerste Krise des Bankensektors seit Jahrzehnten: Weil die Banken bedenkenlos jedem Geld geliehen haben, der welches haben wollte, fallen nun massenweise Kredite aus. Weil sie diese Kredite in neue Papiere verpackt haben, weiß niemand genau, wie die Risiken heute verteilt sind. Obwohl die Banken schon riesige Summen aus dem Hypothekengeschäft abgeschrieben haben, besteht die Gefahr, dass weitere Schreckensnachrichten folgen – vor allem von asiatischen und europäischen Instituten, die ihre Verwicklung in das Hypothekengeschäft bislang allenfalls zögerlich melden.

Konsum-Krise und Banken-Chaos

Folge ist ein riesiger Vertrauensverlust: Banken sind nicht mehr bereit, sich untereinander Geld zu leihen, und vergeben Kredite nach den bitteren Erfahrungen nur noch zögerlich. Für den Schweizer Hedge-Fonds-Manager Felix Zulauf sind denn auch die wichtigsten Fragen: „Wie wollen die Banken dieses Chaos aufräumen? Wie wollen die Konsumenten ihre Bilanzen in Ordnung bringen? Wie lange wird das dauern?“ Goldman Sachs’ Chefvolkswirt Jim O’Neill ist überzeugt: „Eine wirklich positive Überraschung wäre nötig, um die Dinge zu verbessern.“

Doch woher sollte die kommen? Aus Europa und Asien, sind sich Volkswirte mittlerweile einig, wird es keine entscheidenden Impulse geben. Machte noch vor einem Jahr beim damaligen Treffen in Davos die Theorie von der „Abkopplung“ Europas und der Schwellenländer von der US-Volkswirtschaft die Runde, droht das Wort nun zum Unwort zu werden. Die Schwellenländer können wegen ihrer ohnehin hohen Wachstumsraten nicht auch noch die US-Wachstumsdelle kompensieren – zumal ihre Bedeutung im Vergleich zu den USA noch immer gering ist: Während US-Konsumenten im vergangenen Jahr 9,5 Billionen Dollar ausgegeben haben, kommen Chinesen und Inder gemeinsam gerade auf 1,7 Billionen Dollar.

Wahrscheinlich ist daher, dass Asien genau wie Europa unter einer US-Rezession leiden wird. „Die Welt kann eine US-Rezession nicht ignorieren“, sagt O’Neill, „die Vereinigten Staaten sind 30 Prozent der Weltwirtschaft.“ Ohnehin, glaubt der Wirtschaftsexperte, hätten vor allem die Zugpferde Brasilien, Russland, Indien und China nach fantastischen Jahren eine Pause verdient. Und auch die anderen asiatischen Schwellenländer werden die hohen Wachstumsraten nicht halten können, wenn die Nachfrage aus den USA nachlässt: Ihre Volkswirtschaften fußen zu über 40 Prozent auf Exporten. „Es ist ganz einfach“, kommentiert Stephen Roach, „entweder man glaubt an die Globalisierung oder an die Abkopplung der Volkswirtschaften. Aber es ist verlogen, an beides zu glauben.“ 

Furcht vor einer Abwärtsspirale

Das sind genügend Gründe, um Anleger und Analysten nervös zu machen, sie gierig auf jeden neuen Frühindikator warten und jeden Zinsschritt und jeden Kommentar der Notenbanker auf die Goldwaage

legen zu lassen. „Die Makro-Story ist derzeit enorm wichtig“, erklärt Commerzbank-Volkswirt Krämer, „denn die schwache Konjunktur wird in den kommenden Monaten die Gewinnentwicklung der amerikanischen Unternehmen belasten.“ Noch, ist Krämers Team überzeugt, schätzen Analysten die Unternehmensgewinne bei Weitem zu optimistisch ein. Sinken die Gewinne, sinkt die Beschäftigung und damit nochmals der Konsum – eine Abwärtsspirale, die immer mehr Anleger derzeit fürchten.

„Selbst erfahrene Wall-Street-Händler haben keine Ahnung, ob wir uns in der Nähe des Tiefs befinden“, sagt Robert Reich, ehemals Wirtschaftsberater von Bill Clinton und heute einer der einflussreichsten Intellektuellen des Landes. „Wir sollten uns auf noch extremere Ausschläge an den Aktienmärkten gefasst machen.“

Selten indes haben Aktienindizes nach so scharfen Korrekturen, wie sie im Januar stattgefunden haben, weiter stark nachgegeben. Und Parallelen zu 2001, die einige Experten nun heraufbeschwören, sind fehl am Platz: Eine schwere Baisse wie nach der Jahrtausendwende ist nicht zu erwarten, solange Anleger nicht vollends die Nerven verlieren. Anders als im bislang schwärzesten Dax-Jahr sind die Unternehmen – jedenfalls außerhalb der Finanzbranche – nicht überschuldet; sie verdienen selbst dann noch gut, wenn es ein wenig weniger wird als im Vorjahr. Und ihre Aktien sind bei Weitem nicht so teuer wie beim Crash vor acht Jahren.

Aktien sind günstig wie selten

Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das die erwarteten Unternehmensgewinne ins Verhältnis zum Aktienkurs setzt, sind Aktien in den USA und in Europa sogar günstig wie selten zuvor. Selbst wenn Analysten ihre Gewinnprognosen wie erwartet nach unten korrigieren, müssten diese Korrekturen schon extrem ausfallen, um Aktien teuer erscheinen zu lassen: „Um zum durchschnittlichen KGV der vergangenen 20 Jahre zurückzukehren, müssten die Gewinne in Europa um 24 Prozent, in den USA um 22 Prozent sinken“, hat Lehman-Brothers-Chefstratege Ian Scott ausgerechnet.

Für Barton Biggs ist daher der Zeitpunkt zum Einstieg gekommen. Der Ex-Chefstrate­ge von Morgan Stanley und heutige Hedge-Fonds-Manager: „Wenn der Börsencrash auf den Titelseiten stattfindet, neige ich dazu, gegen die Untergangspropheten zu wetten.“ Es könnte zumindest kurzfristig eine teure Wette werden.

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