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Das Minuszins-Syndrom Deshalb kauft man Anleihen mit negativer Verzinsung

Karl-Heinz Thielmann: Vorstand Long-Term Investing (Foto: LTI)
Karl-Heinz Thielmann: Vorstand Long-Term Investing (Foto: LTI)
An Dienstag, dem 26. August war es soweit: Nach einer Rede von EZB-Präsidenten Mario Draghi, der die Absichten der EZB für eine lockere Geldpolitik bekräftigte, fielen die Renditen für einige Euro-Staatsanleihen in den negativen Bereich.

Nicht nur die deutschen Bundeswertpapiere über zwei beziehungsweise drei Jahre brachten nur noch eine negative Rendite, auch mit den zweijährigen Renten von Finnland, Österreich, den Niederlanden und Belgien lässt sich nicht einmal mehr nominaler Kapitalerhalt erzielen.

Negative Renditen bei Staatsanleihen sind in den letzten Jahren gelegentlich vorgekommen, so Ende 2008 bei US-Geldmarktpapieren oder 2012 bei kurz laufenden Bundeswertpapieren.

Allerdings ließen sich diese niedrigen Zinsen auch als „Flucht in die Sicherheit“ interpretieren, da sie jeweils mit einem akuten Aufflackern der Finanzkrise beziehungsweise der Eurokrise verbunden waren.

Denn zu diesen Zeitpunkten gingen die negativen Renditen für „sichere“ Anlagen auch mit Kursverlusten für sogenannte „unsichere“ Anlagen einher. Die Situation ist heute grundsätzlich anders.

Im Moment gibt es kaum Sorgen um ein Zusammenbrechen des Weltfinanzsystems oder der Eurozone. Die Risikoprämien für Investments niedriger Bonität fallen; inzwischen werden sie vielfach sogar als zu niedrig empfunden.

Eugene Fama hat in seiner Nobelpreisvorlesung gesagt, Spekulationsblasen könnte es für ihn schon deshalb nicht geben, weil er sich nicht vorstellen könnte, dass Anleger bewusst Investments machen würden, die eine prognostizierte negative Rendite haben würden.

Unglaube und Skepsis

Befinden wir uns dann jetzt in einer selbst für Fama offensichtlichen Blase, was eine historisch einmalige Situation wäre? Allerdings ist bei Anlegern keine in Blasenphasen sonst so typische Euphorie für die hoch bewertete Anlageform feststellbar.

Im Gegenteil, bei den meisten professionellen Marktteilnehmern herrschen Unglaube und Skepsis vor. Denn die momentanen Entwicklungen widersprechen jeder historischen Erfahrung und auch intuitiver Logik.

Welche Gründe kann es geben, warum die Zinsen negativ sind; warum es rational sein könnte, Anleihen mit negativer Verzinsung zu kaufen? Zumindest für eine stark ausgeprägte Niedrigzinsphase lassen sich Begründungen finden:

Deflationserwartungen: Die Inflationsraten in vielen entwickelten Volkswirtschaften sind seit einigen Jahren rückläufig. Dies hat einige Gründe: sinkende Rohstoffpreise, Kostensenkungen durch Innovationen, die an Kunden weitergegeben werden, stagnierende Staatsausgaben aufgrund von Austerität.

Tatsächlich ist bei vielen Marktteilnehmern spürbar, dass die Inflationsängste nicht so stark sind wie noch vor vielen Jahren. Allerdings haben viele Notenbanken erklärt, dass sie die aktuellen Inflationsraten für zu niedrig halten und tendenziell eine leichte Inflationierung der Wirtschaft anstreben.

Insofern wäre es für Anleger unrealistisch, in der Zukunft von Deflation als Basisszenario auszugehen. Geringere Inflationsraten als in der Vergangenheit könnten deshalb niedrigere Zinsen als in der Vergangenheit rechtfertigen (zum Beispiel 2-3 Prozent pro Jahr bei Bundesanleihen anstatt wie früher 5 Prozent pro Jahr), aber nicht Negativzinsen.

Leichte Geldpolitik: Mit ihrer lockeren Geldpolitik beeinflussen die EZB und die US-Federal Reserve insbesondere die Geldmarktzinsen massiv; dies hat auch Rückwirkungen auf den Anleihemarkt.

Andererseits ist gerade bei der EZB auffällig, dass sie sich – im Gegensatz zu den angloamerikanischen Notenbanken – mit direkten Interventionen sehr zurückhält.

Mario Draghi hat bereits mehrfach öffentlichkeitswirksam erklärt, dass er bereit ist, entschlossen zu handeln. Die darauffolgende Marktreaktion am Bondmarkt hat dann ein direktes Eingreifen der EZB dann aber über-flüssig gemacht.

Insofern erklärt die Geldpolitik von EZB und anderen Notenbanken schon, dass die Renditen niedrig sind; aber nicht, dass sie negativ geworden sind.

Finanzielle Repression / Bankenregulierung: Banken müssen normalerweise ihre Anlagen oder Kredite mit Eigenkapital unterlegen, wobei diese Kapitalhinterlegung vom vorgeblichen Risikograd abhängen soll.

Ausnahme ist der Kauf von Staatsanleihen von Nationen mit guter Bonität, die definitionsgemäß als risikofrei gelten und für die deshalb kein Kapital zu hinterlegen ist.

Da sich Banken derzeit zu minimalen Kosten refinanzieren können, sind sie in der Lage, auch bei niedrigen Renditen Geld durch Anlagen in Staatsanleihen zu verdienen. Allerdings erfordern diese Geschäfte einen positiven Zins, wenn auch keinen besonders hohen.
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