LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in MärkteLesedauer: 7 Minuten

Das Minuszins-Syndrom Deshalb kauft man Anleihen mit negativer Verzinsung

Seite 2 / 2


Finanzielle Repression / Zwangskäufe: Aufgrund verschärfter Sicherheitsanforderungen sind regulierte Pensionsfonds weltweit gezwungen, ihr Geld vorzugsweise in Staatsanleihen oder sehr gut besicherten Unternehmensanleihen beziehunhsweise Pfandbriefen anzulegen.

Ein steter Strom an Liquidität – und damit an renditeunabhängiger Nachfrage – für „sichere“ Anleihen ist damit vorhanden. Allerdings stehen diesen Anlegern auch viele Institutionen gegenüber, die keinen so strengen Restriktionen unterliegen.

Viele traditionelle Rentenanleger haben in den vergangenen Jahren ihre Bestände an Staatsanleihen komplett verkauft und steigen bei den aktuellen Zinsen nicht wieder ein.

Keiner der angesprochenen Faktoren kann begründen, warum einige Zinsen derzeit negativ sind. In ihrem Zusammenwirken ergeben sie zwar ein niedriges, aber nicht ein negatives Renditeniveau.

Zudem widerspricht dem Bild einer Spekulationsblase, dass sich die Gründe für die niedrigen Zinsen nur zu geringem Teil durch Erwartungen der Marktteilnehmer, sondern vorwiegend durch regulatorische und geldpolitische Vorgaben ergeben.

Negative Zinsen kann man nur erklären, wenn man bedenkt, dass es inzwischen eine Reihe von Akteuren an den Rentenmärkten gibt, die Anleihen vor allem aufgrund des intakten Aufwärtstrends kaufen und weniger auf Faktoren wie die laufenden Renditen oder der Bonität achten.

Hier sind insbesondere zwei Gruppen besonders wichtig: Handelsprogramme und Risk-Parity-Fonds.

Handelsprogramme: Auffällig an vielen Kursrallyes am Bondmarkt ist, dass diese durch massive Käufe in Terminkontrakten wie dem Bund-Future oder dem T-Bond-Future ausgelöst werden.

Hinter diesen Käufen stehen weniger echte Endanleger als Wertpapierhändler, die über diese gehebelten Instrumente auf weitere Kurssteigerungen setzten.

Diese Händler sind bei vielen Banken und Hedgefonds aber keine Menschen mehr, sondern nur noch Algorithmen, die automatisch charttechnische Muster und Marktinformationen auswerten und in Orders übersetzen.

Diese Handelsprogramme lassen sich kurzfristig sehr wohl verantwortlich machen für Rentenkurse, die mit negativen Renditen einhergehen. Allerdings lässt sich mit ihnen nur ein kurzfristiges Überschießen des Kurses, aber nicht eine andauernde Minuszinsphase erklären.

Denn Händler nehmen ihre Gewinne nach relativ kurzer Zeit wieder mit, was zu einer Trendumkehr führen kann. Wenn nur Handelsprogramme für die niedrigen Renditen verantwortlich wären, müssten Gewinnmitnahmen irgendwann zu einem Kursrutsch führen, was aber bisher nicht der Fall war.

Risk-Parity-Investments: Risk-Parity ist eine Anlagestrategie, die in den vergangenen Jahren bei vielen Institutionen an Popularität gewonnen hat. Sie soll Kapital auf einer risikogewichteten Basis investieren und somit eine Verbesserung gegenüber traditionellen Vermögensanlagestrukturen darstellen.

Ihre Anhänger stellen sie gerne als Fortentwicklung der Modern Portfolio Theory dar. Problem dieses Ansatzes ist allerdings, dass weniger die aktuelle Rendite als vielmehr historischen Performancetrends sowie alleine die Volatilität als Risikomaß bei der Portfoliooptimierung eingehen.

Dies führt in der Praxis dazu, das Aktien untergewichtet werden sowie ein stark gehebeltes Rentenportfolio übergewichtet wird, und zwar unabhängig von den aktuellen Bewertungen, Bonitätsnoten und Renditen.

Risk-Parity-Fondsmanager kaufen deshalb festverzinsliche Anlagen zu sehr niedrigen oder negativen Renditen, weil die Modelle ihnen aufgrund der implizit fortgeschriebenen historischen Trends weitere risikoarme Gewinne prognostizieren.

Dies funktioniert aber nur, solange der Bullenmarkt bei Renten läuft, da dann die Kursgewinne die Finanzierungskosten für gehebelte Rentenanlagen überschreiten. Andernfalls müssen sie zwangsläufig verlieren.

Harry Markowitz, Begründer der Modern Portfolio Theory und erklärter Gegner des Risk-Parity-Ansatzes („Ich bin im Anti-Risk-Parity-Lager“), hat die fragwürdige Logik hinter diesem Ansatz in einem Artikel vor einigen Monat sehr treffend charakterisiert:

"Ich konnte niemals verstehen, wie ein Portfolio gehebelt werden kann, das festverzinsliche Anlagen mit niedrigen erwarteten Renditen stark übergewichtet, um Überschussrenditen zu erzielen. Das ist, als ob ein Kaufmann drei Dollar bei jedem Verkauf verliert und dies durch Volumensteigerung ausgleichen möchte.“

Bei Handelsprogrammen und insbesondere bei Risk-Parity-Investments erfolgen Käufe in niedrig verzinslichen Renten über Terminkontrakte beziehungsweise werden fremdfinanziert.

Die Hebelwirkung kann sich bei Kursbewegungen nach unten fatal auswirken. Dies ist im Fall einer Trendwende brandgefährlich: Bei einem Kursrutsch sind Zwangsliquidationen zu befürchten, die weitere Kursverluste mit sich bringen.

Einen Vorgeschmack hierauf sah man im Mai und Juni 2013, als eine Korrektur am Rentenmarkt teilweise zu empfindlichen Kursverlusten bei Risk-Parity-Fonds führte.

Während die Konsequenzen einer Trendumkehr bei Handelsprogrammen jedoch begrenzt beziehungsweise durch das Kapital der spekulierenden Banken und Hedgefonds abgesichert sein sollten, stellen Risk-Parity-Fonds durch ihre großen Volumen und die hohe Verschuldung eine echte Gefahr für Anleger dar.

Um Gewinne zu machen, benötigt ein Risk-Parity-Portfolio nicht nur niedrige, sondern permanent sinkende Renditen. Genau dies wird bei den aktuellen Zinsen immer unwahrscheinlicher, wenn nicht sogar unmöglich: Minus-Renditen lassen die Erwartung von automatischen Kursgewinnen am Anleihemarkt absurd erscheinen.

Damit setzen sie dieser Anlagestrategie eine natürliche Grenze. Die Investoren in Risk-Parity-Fonds sitzen daher mit Milliarden von Anlegergeldern auf einer Bombe, deren Lunte mit den kürzlich negativ gewordenen Zinsen gezündet wurde.

Zum Autor: Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand der Analyse- und Beratungsgesellschaft Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen
Tipps der Redaktion