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Aktualisiert am 22.11.2010 - 10:31 Uhrin VersicherungenLesedauer: 5 Minuten

„Das Wissen des Vertriebs nicht zu nutzen, ist fahrlässig“

Jens O. Geldmacher
Jens O. Geldmacher
DAS INVESTMENT.com: Zwei Drittel der Vermittler, die Sie für Ihre Studie befragt haben, beklagen sich darüber, dass sie beim  Versicherer zu wenig Einfluss haben. Zu Recht?

Jens O. Geldmacher: Ich finde schon. Nur 40 Prozent der Versicherer nutzen das Wissen ihrer Berater bisher zum Beispiel in der Produktentwicklung. Das ist fahrlässig. Denn man hat ein Team von Experten da draußen, das sich jeden Tag intensiv damit auseinandersetzt, was die Menschen bewegt und was sie von einem Produkt fordern. Wer das nicht nutzt, verschenkt wertvolle Informationen zum Kundenverhalten.

DAS INVESTMENT.com: Wie zapfen Sie das Wissen Ihres Vertriebs an?

Geldmacher: Auf unterschiedliche Arten. Besonders bewährt haben sich unsere Produktkonferenzen und Online-Panels. Die Produktkonferenzen machen wir viermal im Jahr. Dazu laden wir rund 15 ausgewählte Vermittler ein. Unsere Aktuare stellen diesen Beratern dann Produkte oder neue Produktmerkmale vor und hören sich deren Meinung dazu an. Da kommt es schon mal vor, dass der Aktuar meint, er hätte ein tolles neues Produktfeature erschaffen, die Berater dann aber sagen: „Das braucht doch keiner.“

DAS INVESTMENT.com:
Ein Beispiel bitte.

Geldmacher: Ob ein Krankenversicherer 20 Euro zu einer neuen Brille dazu gibt oder nicht, interessiert kaum einen Versicherten. Wichtiger ist ihm, dass er vom Chefarzt behandelt wird, und zwar hier oder in Chicago oder anderswo.

DAS INVESTMENT.com: Wie funktionieren die Online-Panels, von denen Sie auch sprachen?

Geldmacher: Im Grunde ähnlich wie die Produktkonferenzen. Expertenring nennen wir diesen inhaltlichen Dialog zwischen Vertrieben und Aktuaren. Dabei fragen wir einzelne Vertriebsgruppen gezielt nach Produktmerkmalen oder ihren Erfahrungen mit neuen Produkten: Wie kommt es beim Kunden an, gibt es Kritik? Oft bekommen wir aus den Produktkonferenzen auch Impulse, die wir im Expertenring gegen checken. Die Berater sagen dann zum Beispiel: „Wir würden Eure Produkte ja verkaufen, aber dieses Feature fehlt.“ Dann fragen wir andere Vertriebsgruppen online, was sie davon halten. Kommt positives Feedback, bauen wir das Feature ein.

DAS INVESTMENT.com: Was sagt der Vertrieb - hat sich das Kundenverhalten in letzter Zeit geändert?

Geldmacher:
Ja, deutlich. Versicherte sind viel mehr an Qualität orientiert. Sie wollen genau wissen, für welche Leistungen sie bezahlen. Dazu hat sicherlich auch die Diskussion um die Gesundheitsreform beigetragen. Je mehr darüber gesprochen wird, desto höher ist das Wissen; die Beratungsgespräche laufen auf einem höheren Niveau ab. Das Krankenvollversicherungsgeschäft ist keines, wo der Preis entscheidet. Die Leistungen zählen. Deshalb setzen wir bei unseren Krankenversicherungsprodukten gezielt oberhalb der sogenannten Einsteigertarife an und haben diese Tarife nicht im Angebot.

DAS INVESTMENT.com:
Gehören die nicht zur ausgewogenen Palette eines Krankenversicherers dazu?

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Geldmacher: Bei einer leistungsorientierten Ausrichtung, wie wir sie betreiben, nicht.

DAS INVESTMENT.com: Weshalb?

Geldmacher: Der Kunde will privat versichert sein. Start-Tarife vermitteln ihm unter Umständen: Du sparst jetzt Geld durch die günstigere Prämie und bist trotzdem privat versichert. Der Versicherte freut sich zunächst, wird dann aber irgendwann krank, geht zum Arzt und bekommt anschließend eine saftige Rechnung ins Haus. Warum? Weil er eigentlich nur einen Tarif mit Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Diese Tarife suggerieren meiner Ansicht nach einen Status, den Versicherte gar nicht haben. Das führt nur zu Enttäuschung. Passiert aber, wenn nur nach dem Preis entschieden wird. 

DAS INVESTMENT.com: Aber viele Menschen, die sich privat versichern wollen, können wahrscheinlich gar nicht richtig einschätzen, welche Leistungen sie brauchen. Wie versuchen Sie, Enttäuschungen zu vermeiden?

Geldmacher: Wir haben ein Beratungskonzept entwickelt, das wir „Check Up 18 plus“ nennen.

DAS INVESTMENT.com: Wie funktioniert das?

Geldmacher: Wir haben 18 Fragen erarbeitet, die alle wesentlichen Punkte einer Krankenvollversicherung nach und nach abarbeiten. Zum Beispiel, ob Behandlungen eines Heilpraktikers bezahlt werden sollen oder ob eine Psychotherapie im Schutz inbegriffen ist. Der Berater kann dabei auf dem Fragebogen festhalten, welche Leistungen er empfiehlt und welche Wünsche der Kunde hat. Das Gespräch ist dadurch sehr strukturiert, der Kunde weiß genau, mit welchen Leistungen er rechnen kann und der Berater ist haftungsrechtlich auf der sicheren Seite.

DAS INVESTMENT.com: Was halten Sie von der neuen Gesundheitsreform?

Geldmacher: Es ist vor allem schön, dass das Drei-Jahres-Moratorium mit aller Wahrscheinlichkeit fallen wird. Es kann nicht sein, dass Menschen, die sich privat versichern wollen derart vom Staat bevormundet werden. 

DAS INVESTMENT.com: Wagen Sie eine Prognose, wie das deutsche Krankenversicherungssystem in ein paar Jahren aussehen könnte?

Geldmacher: Was meinen Sie denn, wie es aussehen wird?

DAS INVESTMENT.com: Hm, gute Frage. Ich denke, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden noch weiter abgebaut und wir müssen trotzdem mehr dafür bezahlen.

Geldmacher:
Mag sein. Ich traue mir jedenfalls keine Prognose zu. Wir werden aber weiter den Weg gehen, dass wir uns vor allem über Leistung definieren und mit Vertrieben und Kunden darüber sprechen. Und wenn es wieder Änderungen oder Reformen geben sollte, werden wir reagieren.

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