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Der Fluch der manipulierten Zinsen

Thorsten Polleit
Thorsten Polleit
Dass die Kapitalmarktzinsen international auf Tiefständen verharren, kommt nicht von ungefähr: Die Zentralbanken manipulieren die Zinssätze künstlich herunter. Das geschieht zum einen dadurch, dass sie die kurzfristigen Leitzinsen auf nahe null Prozent abgesenkt haben. Durch die „Zinsarbitrage“ werden auch die längerfristigen Zinssätze mit nach unten gezogen. Zum anderen kaufen die Zentralbanken mittlerweile auch Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten. Die zusätzliche Nachfrage nach diesen Papieren hebt deren Kurse an und senkt die Renditen herab.

Die der Politik der tiefen Zinsen sollen, so die allgemeine Interpretation, Wachstum und Beschäftigung angeschoben werden. Das eigentliche Ziel dieser Politik ist jedoch, die Refinanzierungskosten strauchelnder Staaten und Banken zu verbilligen und deren Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Die Maßnahmen werden der Öffentlichkeit als „Rettungspolitiken“ verkauft und finden weitgehend Zustimmung – allein schon deswegen, weil Staats- und Bankpleiten, die ansonsten drohen, nicht gewollt sind. Allerdings scheint es, dass dabei die schädlichen Nebenwirkungen der Zinsmanipulation weitgehend übersehen werden. Um diese Schäden zu erkennen, muss man sich zunächst die volkswirtschaftliche Bedeutung des Zinses vor Augen führen.

Zur Natur des Zinses
Heutzutage wird der Zins meist als politisches "Steuerungsinstrument" gesehen, das je nach wirtschaftspolitischem Bedarfsfall beliebig zu verändern ist. Ein niedriger Zins wird dabei als förderlich für die Wirtschaft gesehen, ein hoher Zins als hinderlich. Folglich solle die Zentralbank den Zins so tief wie möglich setzen, um Produktion und Beschäftigung zu fördern. Das sei vor allem in einer Rezession nötig, denn nur so kann die Wirtschaft aus dem Tal geführt werden.

Ökonomisch betrachtet ist der Zins jedoch keine lästige Kostenhürde, die ein Hindernis auf dem Weg zur Prosperität ist. Diese Sichtweise ist falsch; sie atmet die Ideologie der weit verbreiteten „Zinsfeindschaft“. Der Zins ist vielmehr Ausdruck einer ökonomischen Gesetzmäßigkeit: dass nämlich die Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse höher (wert)geschätzt wird als die künftiger Bedürfnisse. Der Zins ist Ausdruck der sogenannten „Zeitpräferenz“ der Menschen; er ist eine nicht wegzudenkende Kategorie des menschlichen Handelns.

Je niedriger die Zeitpräferenz der Marktakteure ist, desto mehr wird aus laufendem Einkommen gespart und kann produktiven Zwecken zugänglich gemacht werden. Am freien Markt bildet sich dabei der Zins aus dem Zusammenspiel des Sparmittelangebots (also dem Teil der laufenden Einkommen, der nicht konsumiert wird) mit der Nachfrage nach Sparmitteln für Investitionszwecke. Je höher zum Beispiel die Ersparnis bei gegebener Investitionsnachfrage ausfällt, desto niedriger ist der Zins.

Der Zins ist ein unverzichtbarer Kompass. Er macht eine zukunftsgewandte kapitalintensive Produktionsweise – der Ökonom Eugen von Böhm-Bawerk (1850 – 1914) sprach in diesem Zusammenhang von „Umwegproduktion“ – überhaupt erst möglich. Mit quasi unsichtbarer Hand leitet der Zins den Aufbau des Kapitalstocks, und letzterer ist es, der die Produktivität und damit Real-einkommen und Wohlstand im Zeitablauf ansteigen lässt.

Aufgrund der unüberwindbaren Knappheit, der sich der handelnde Mensch ausgesetzt ist, können nun einmal nicht alle wünschenswerten Investitionen durchgeführt werden. Der Zins stellt sicher, dass die drängendsten Investitionsprojekte realisiert werden, und dass gleichzeitig nur solche Projekte angegangen werden, für deren Realisierung auch genügend Ressourcen verfügbar sind.

Manipulierte Zinsen
Vor diesem Hintergrund sollte deutlich werden, dass ein Heruntermanipulieren des Marktzinses durch die Zentralbanken volkswirtschaftliche Schäden verursachen muss. Denn wenn Zentralbanken im Zusammenspiel mit Geschäftsbanken neues Geld durch Kreditvergabe in Umlauf bringen, also durch Kredite, denen keine echte Ersparnis gegenübersteht, drückt das künstliche Kreditangebot den Marktzins unter sein „natürliches Niveau“, und der „Zinskompass“ versagt.

Im Folgenden sollen kurz vier Fehlentwicklungen benannt werden, die durch künstlich gesenkte Zinsen in Gang gesetzt werden. Erstens: Ein künstlich niedrig gedrückter Zins senkt den Anreiz zum Sparen. Ressourcen werden vermehrt in den Konsum gelenkt, der Auf- und Ausbau des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks unterbleibt. Die Volkswirtschaft betreibt Kapitalverzehr, durch den die künftige Einkommenssituation leidet. Wenn der Realzins negativ wird, entwertet er zudem auch die Ersparnisse. 

Zweitens: Das Heruntermanipulieren der Zinsen ermutigt zu Investitionen und Arbeitsplätzen, die nur aufgrund des künstlich gesenkten Zinses rentabel erscheinen – und die nur dann rentabel bleiben, wenn der Zins künstlich tief bleibt oder weiter abgesenkt wird. Um den durch die künstliche Zinsabsenkung angestoßen Aufschwung („Boom“) in Gang zu halten und zu verhindern, dass er kollabiert (also in einen „Bust“ umschwenkt), muss die Zentralbank immer mehr Kredit und Geld in Umlauf bringen zu immer tieferen Zinsen. Ein Aussteigen aus einer solchen Politik des Niedrigzinses wird umso kostenträchtiger (in Form von Produktions- und Arbeitsplatzverlusten), je länger die Niedrigzinspolitik angedauert hat.

Drittens: Künstlich gesenkte Zinsen provozieren „moralische Wagnisse“ (englisch: „Moral Hazard“), denn die Zentralbank stellt mit ihrer Bereitschaft, die Zinsen immer weiter abzusenken, den Marktakteuren quasi eine Versicherung in Aussicht. Investoren gehen zusehends Risiken ein, die sie ohne eine solche Versicherung nicht eingehen würden. Die Folge ist kurzfristorientiertes Investieren, die Spekulations-Blasen nähren, und die nicht nur das Finanzmarktgeschehen verzerren, sondern auch zu Fehlinvestitionen im Unternehmenssektor führen.

Und Viertens: Die Politik des künstlich tiefen Zinses läuft auf ein Subventionieren von unrentablen Strukturen hinaus. Künstlich gesenkte Zinsen halten zum Beispiel misswirtschaftende Regierungen im Amt und unrentable Banken künstlich über Wasser. Dadurch wird verhindert, dass knappe Ressourcen in die Hände von „besseren Wirten“ gelangen, und auch auf diese Weise werden die Wachstumsperspektiven der Volkswirtschaften geschädigt.

Ende mit Schrecken
Eine Politik des künstlichen Zinssenkens kann zwar strauchelnden Schuldnern Erleichterung verschaffen. Aber es ist kein gesunder Wachstumsprozess, der daraus folgt, vielmehr kommt es zu einem „Scheinaufschwung“. Die Tiefzinspolitik verhindert nicht nur, dass aufgelaufene wirtschaftliche und politische Fehlentwicklungen korrigiert werden, sie verstärkt sie vielmehr. Das Vermeiden der Krise in der Gegenwart wird erkauft durch eine künftige noch größere Krise. Früher oder später wird es dann allerdings zum Schwur kommen müssen.

Entweder die Zinsen werden „normalisiert“, und die Volkwirtschaft gerät in eine mitunter schwere „Bereinigungsrezession“. Oder aber die Niedrigzinspolitik wird unbeirrt fortgesetzt. Das aber wird die produktive Basis der Volkswirtschaft zusehends aushöhlen und ihre Schuldentragfähigkeit schmälern. Bei abnehmender Sparneigung finden sich immer weniger Investoren, die bereit sind, fällige Schulden zu refinanzieren und neue Kredite zu vergeben. Früher oder später wird die Zentralbank dazu verwendet, in die Bresche zu springen, also die Finanzierungslücken mit der elektronischen Notenpresse zu stopfen. Die Folgen einer solchen Geldpolitik zeigt die Währungsgeschichte zuhauf: Geldentwertung oder gar völlige Geldwertzerstörung.

Sparer und Investoren wären nicht gut beraten zu glauben, dass es aus dem jahrzehntelangen Wahn des Kreditgeldvermehrens einen schmerzfreien Ausweg gäbe. Die Zinsmanipulationen der Zentralbanken – deren Ende nicht abzusehen ist, und die für negative Realzinsen sorgen werden – legen die Saat für schwere Verwerfungen in der Realwirtschaft und den Finanzmärkten. Für Anleger erscheint es daher ratsam in ihre Anlageüberlegungen einbeziehen, dass die Zukunft Zahlungsausfälle, Schuldenschnitte, Inflation und Konfiskationen – wahrscheinlich aber eine Kombination all dem – bringen wird.

Schon der amerikanische Ökonom Irving Fisher (1867 – 1947) betonte, dass das Papiergeld – und nichts anderes stellen die weltweit wichtigen Währungen heute dar – sich zumeist als Fluch erwiesen habe für die Volkswirtschaften, die es verwendeten. Das künstliche Herabdrücken des Zinses, die international koordinierte Zinsmanipulation, wie sie die Zentralbanken weltweit praktizieren, spielen Irving Fischers Prophezeiungen in die Hände.

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