LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in MärkteLesedauer: 6 Minuten

„Die Märkte sind wie verwöhnte, unerzogene Kinder“

Georg Graf von Wallwitz, Geschäftsführer Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement
Georg Graf von Wallwitz, Geschäftsführer Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement
In der Ideengeschichte unterscheiden wir zwischen zwei Arten von Denkern: Auf der einen Seite die esprits simplistes, welche davon ausgehen, dass es einfache Lösungen gibt für alle Arten von Problemen.

Das beste Beispiel sind hier die Philosophen der Aufklärung, von Leibniz bis Voltaire. Ihnen stehen die Bedenkenträger gegenüber, im Extremfall vom Schlage eines Hamlet, welche einen Sinn für die Komplexität der Zusammenhänge haben und bei dem Gedanken, in einer undurchschaubaren Situation zu einer Entscheidung kommen zu müssen, schnell depressiv werden.

An den Finanzmärkten, die ja Spiegel der menschlichen Veranlagungen sind, lassen sich ebenfalls diese beiden Regimes identifizieren. Mal glauben die Investoren an einfache Lösungen, während sie zu anderen Zeiten an der Unentwirrbarkeit der Zukunft verzweifeln.

Die Aktionäre sind derzeit fraglos esprits simplistes, sie freuen sich nicht nur am eigenen Glück, sondern auch daran, dass der scheinbar unendliche Bullenmarkt bei den Anleihen nun augenscheinlich zu einem Ende gekommen ist.

Endlich triumphiert der unternehmende Aktionär über den zinsgierigen Anleihegläubiger, das mutige Eigenkapital über das zittrige Fremdkapital. Sollen sie doch ihre eineinhalb Prozent fressen, die Rentiers, so denkt sich der Aktionär und freut sich an den 20 Prozent, die er in diesem Jahr mit europäischen und amerikanischen Papieren verdienen konnte.

Die Welt stellt sich ihm derzeit so dar: Die Zentralbanken sind bereit, die Vermögensrisiken der investierenden Bevölkerungsschichten abzusichern. Es gibt viele Theorien darüber, warum sie das tun, aber für die esprits simplistes ist eine genaue Antwort nicht wichtig, Hauptsache ist die Information, dass nach unten nicht viel verloren, nach oben aber jede Menge gewonnen werden kann. Also kaufen sie Aktien, solange die Aussichten gut sind und die Zentralbanken die Nerven schonen.

Finanzmärkte haben eine besondere Dynamik. Steigende Preise erhöhen die Nachfrage. Normalerweise ist es umgekehrt: je teurer etwas wird, desto weniger Käufer finden sich. An der Börse hingegen wird eine Aktie oder Anleihe umso beliebter, je höher sie gestiegen ist. Jeder will haben, was gestiegen ist, in der Hoffnung, nicht der letzte Käufer zu sein, sondern irgendwann einen größeren Idioten zu finden, der noch mehr für das Papier zahlt (die Angelsachsen sprechen von der greater fool theory). Und je länger ein solcher Trend dauert, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass er ins Extrem verlängert wird.

Und so mag der gegenwärtige Trend noch durchaus ein Jahr andauern, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Die Euphorie, die das Charakteristikum des Endes einer Aktienmarktrallye ist, hat sich noch nicht eingestellt. Die Kurse können durchaus noch einmal um 20 Prozent zulegen, zumal die Zinsen (das primum movens, welches die Aktien treibt) noch auf lange Zeit niedrig bleiben werden. Etwas anderes können sich die hoch verschuldeten Regierungen nicht leisten und entsprechend werden die Notenbanken dafür sorgen, dass der Schuldenberg bezahlbar bleibt.

Und solange es bei den festverzinslichen Papieren kaum Zinsen gibt, bleiben die Aktien attraktiv, bieten sie doch immerhin noch die Hoffnung auf bessere Kurse und anständige Dividenden.

Viel mehr als die Politik der Zentralbanken unterstützt die Kurse aber nicht. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) sind nicht mehr günstig, insbesondere wenn man die durchschnittlichen Gewinne der letzten 10 Jahre („Shiller-KGV“) zu Grunde legt. Die Kurse sind im Jahr 2013 – jedenfalls in den USA und Europa – fast ausschließlich auf Grund der höheren Bewertungen gestiegen. Die Gewinne, die eigentlich das Fundament höherer Kurse sein sollten, sind kaum gestiegen. Es ist ein ausgesprochen ungesunder Zustand, der die gute Laune ausschließlich von der Zukunft borgt und nicht der Gegenwart schuldet.

USA: Verhältnis von Aktienmarktbewertung zu Wirtschafsleistung. Die Kapitalisten haben wieder mehr vom Kuchen.
>> Vergrößern


Tipps der Redaktion