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Aktualisiert am 14.01.2008 - 10:22 Uhrin 22 Fragen an...Lesedauer: 4 Minuten

Die Rechenschieber-Reform

Die Änderungen des Versi­cherungsvertragsgesetzes bedeuten viel Arbeit für die Assekuranz – und bringen den Anlegern nicht nur Vorteile. Rauchende Köpfe und heiß laufende Taschenrechner sind bei deutschen Versicherern in diesen Tagen kein seltenes Bild. Seitdem der Bundesrat im September die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) durchgewunken hat, herrscht Hochbetrieb bei den Unternehmen: „Es ist ein Kraftakt“, sagt Stefan Lutter, Pressesprecher der VHV Versicherungen. Knapp 790.000 bestehende Lebensversicherungsverträge müssen die Hannoveraner Stück für Stück den neuen Richtlinien anpassen. Dazu kommen Vorbereitungen für Neukunden, etwa die Berechnung von Rückkaufswerten oder das Erstellen von Produktinformationsblättern. Auch die Allianz ächzt unter der Arbeitslast. Ein einziger Mitarbeiter bräuchte rund 30.000 Arbeitstage, um den Branchenriesen auf einen VVG-konformen Kurs zu bringen, heißt es aus München. Einige Unternehmen drücken derweil aufs Gaspedal und verkündeten schon drei Monate vor offiziellem Inkrafttreten des neuen Regelwerks am 1. Januar 2008, dass ihre Versicherungsprodukte VVG-fertig sind, so etwa die Zurich Versicherung. Auch die Talanx-Tochter Neue Leben, die ihre Policen über Sparkassen verkauft, ist bereits vorbereitet. Sie will mit den Produkten nach neuem Recht ihr Jahresendgeschäft beleben.
Die Zurich sieht für sich ebenfalls klare Vorteile darin, Neuerungen schon jetzt an den Kunden weiterzugeben: „Die VVG-Reform ist eine gute Chance, sich im Bereich Kundenorientierung und -service klar zu positionieren“, sagt Michael Renz, Vorstand Lebensversicherung der Zurich Gruppe Deutschland. „Viele Verbraucher sind im Moment verunsichert und schieben ihre Entscheidung für die Altersvorsorge ins kommende Jahr. Dieser Unsicherheit begegnen wir mit der frühzeitigen Umstellung und geben Vorteile der Reform bereits jetzt an den Kunden weiter.“

Storno-Kunden besser gestellt

Ein solcher Vorteil für Neukunden ist die Verteilung der Abschlusskosten auf die ers­ten fünf Jahre der Vertragslaufzeit. Kündigt ein Versicherter in dieser Zeit, ergeben sich so höhere Rückkaufswerte: „Wenn ein 35-jähriger Mann 100 Euro monatlich in unser Produkt Vorsorgeinvest mit Beitragsgarantie und Mindesttodesfallschutz in Höhe von 60 Prozent der Beitragssumme einzahlt, erhält er bei einer Vertragslaufzeit von 30 Jahren im zweiten Jahr bei Rückkauf nach altem Tarif 34 Euro, nach neuem dagegen 1.527 Euro“, so Renz. „Im fünften Jahr beträgt der Rückkaufswert nach neuem Tarif 4.351 statt bisher 3.819 Euro.“
Das Geld für höhere Rückkaufswerte fällt aber nicht vom Himmel. „Die höheren Rückkaufswerte müssen finanziert werden und zwar zulasten derer, die ihre Verträge durchhalten. Diese Kunden müssen, unter sonst gleichen Bedingungen, mit geringeren Überschussbeteiligungen und Ablaufleistungen rechnen“, so Gerd Benner, Pressesprecher der Debeka.
Mit einem großartigen Anstieg der Stornoquoten wegen der verbesserten Rückkaufswerte rechnen die Versicherer bisher nicht. Das widerspräche dem Vorsorgegedanken, meint Hubert Becker, Leiter der Unternehmenskommunikation der HDI-Gerling Lebensversicherungsgruppe – und geht noch weiter: „Durch die zusätzlichen vorvertraglichen Informationen wird der Kunde noch besser als bisher beraten, was sich günstig auf das Stornoverhalten auswirken dürfte.“ Laut VVG-Reform müssen die Kunden in Zukunft nämlich schon vor Abschluss eines Vertrags mit allen wichtigen Informationen zur Versicherung versorgt werden.
Eine weitere Neuerung: Mit Beginn des nächsten Jahres müssen die Versicherer sowohl Neu- als auch Bestandskunden bei Ablauf oder vorzeitigem Rückkauf einer Police durch Stornierung zur Hälfte an ihren Bewertungsreserven beteiligen. Diese sogenannten stillen Reserven sind noch nicht realisierte Gewinne, die sich in der Kapitalanlage etwa durch Kursgewinne bei Aktien ergeben können. Neben der aktuellen Höhe der Reserven des Versicherers hängt die Berechnung des Anteils eines Kunden auch davon ab, wie lange ein Vertrag schon läuft, wie hoch die Beiträge sind und ob diese  monatlich oder einmalig gezahlt werden.

Fondspolicen im Aufwind

Dass Faktoren wie die Beteiligung an den Bewertungsreserven eine langfristige Auswirkung auf die Kapitalanlagestrategie der Versicherer haben könnten, sieht Jochen Specht eher nicht. Der Bereichsleiter Lebensversicherung der Rating-Agentur Assekurata hält aber kurzfristigere Umschichtungen für möglich: „Die Lebensversicherer könnten dazu übergehen, liquide Mittel zu halten oder in kurzfristigere Anlageprodukte zu investieren, um auf größere Bewegungen im Bestand reagieren zu können.“ Bewegungen könnte es nach Ansicht Spechts auch im Produktangebot geben: „Der ohnehin starke Trend, fondsgebundene Produkte anzubieten, dürfte sich weiter verstärken, weil bei Fondspolicen – durch die unmittelbare Partizipation des Kunden an der Wertentwicklung des Fonds – keine Bewertungsreserven bestehen und sich die Rückkaufswerte am Zeitwert des Fonds orientieren.“
Wie genau sich die VVG-Reform auf die Firmen und die Policen auswirken wird, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich wissen es die Versicherer selbst noch nicht – schließlich ist ein Großteil von ihnen noch am Kalkulieren.

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