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„Frankreich muss endlich aufwachen“

Marc Renaud, Gründer der Fondsboutique  Mandarine Gestion
Marc Renaud, Gründer der Fondsboutique Mandarine Gestion
Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ hat ihren Wirtschaftsteil kürzlich mit einem Artikel über steigende Jugendarbeitslosigkeit in Europa aufgemacht. Neben Krisenstaaten wie Italien und Spanien hat auch Frankreich enorme Problemen damit. Warum?

Marc Renaud: Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich ist in der Tat besorgniserregend. Ende 2012 hatte jeder Vierte zwischen 18 und 24 Jahren keinen Job – in Deutschland sind es nur acht Prozent. Ein Problem ist, dass viele Unternehmen nur befristete Verträge vergeben – darunter leiden vor allem jüngere Arbeitnehmer.

Viele Schulabgänger und Absolventen wollen außerdem in Großkonzernen arbeiten, die Stellen dort sind aber begrenzt. Und auch der Mittelstand hat in Frankreich längst nicht die gleiche Bedeutung für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt wie in Deutschland, hier fehlen Jobs.

Leidet der Mittelstand in Frankreich also unter der Stärke der Großkonzerne?

Renaud: Ja, ganz sicher. Frankreich hat sich zu lange im Glanz weniger Großunternehmen wie LVMH, Air Liquide oder Total gesonnt. Darunter haben exportstarke kleine und mittelständische Unternehmen gelitten. Seit 2002 ist die Zahl der im Export tätigen privaten Unternehmen von 130.000 auf 117.000 zurückgegangen, das zeigen Daten des französischen Wirtschaftsministeriums. Zum Vergleich: In Deutschland gab es 2010 noch über 350.000 Mittelständler.

Auch die Lohnkosten sind in Frankreich höher als in Deutschland. Im Schnitt kostet eine Stunde Arbeit in der französischen Privatwirtschaft 34,20 Euro, in Deutschland sind es etwa 4 Euro weniger. Zudem hat die durchschnittliche Arbeitszeit in Frankreich zwischen 1999 und 2010 um mehr als 270 Stunden abgenommen – alles Faktoren, die nicht besonders unternehmerfreundlich sind.

Aber das scheint die Regierung doch erkannt zu haben. Präsident Hollande hat erst vor kurzem Arbeitsmarktreformen angestoßen und will Unternehmen um 20 Milliarden Euro entlasten, um Kosten zu senken.

Renaud: Ja, das stimmt, und diese Reformen sind auch dringend notwendig. Er hat erkannt, dass eine höhere Flexibilität der Wirtschaft und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit essentiell sind, um die französische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Damit hat er gewissermaßen ein Tabu gebrochen – in den vergangenen 25 Jahren hat sich kein Politiker daran gewagt. Dennoch sind diese ersten Maßnahmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Regierung muss Reformen in allen wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens angehen, wenn Frankreich nicht der Kollaps drohen soll.

Welche Reformen sind das konkret?

Renaud: Ein großes Problem ist der aufgeblähte Staatsapparat, fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet im öffentlichen Sektor. Die OECD hat erst vor kurzem die hohen öffentlichen Ausgaben kritisiert, es handelt sich um die zweithöchsten aller 34 Mitgliedsstaaten. Auch für die Verwaltung der mehr als 36.000 Gemeinden in Frankreich fallen enorme Kosten an.

Wichtig sind auch Reformen im Rentensystem: Rentner könnten etwa höhere Sozialversicherungsbeiträge und Steuern auf Kapitaleinkünfte zahlen. Daneben müssen auch Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem in Angriff genommen werden.

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