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Georg Graf von Wallwitz „Der Handelskrieg folgt antiken Mustern“

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Es lohnt immer, Thukydides aus dem Bücherschrank zu holen, denn dort werden nicht nur die oberflächlichen Anlässe aufgezählt, sondern die tiefsten Gründe und Prinzipien erforscht, welche ursprünglich zum Krieg führen.

Erstens benennt er die eifersüchtige Furcht Spartas vor dem aufstrebenden Athen. Die etablierte Machtbalance gerät dadurch aus den Fugen. Ein noch tieferer Grund ist aber der unausgleichbare Gegensatz zwischen dem demokratischen Athen und dem oligarchischen Sparta. Deren Regierungssysteme werden einander (unausgesprochen) immer in Frage stellen und daher nicht auf Dauer friedlich koexistieren können. Auf der tiefsten Ebene sind es aber die Konstanten der menschlichen Natur - Macht, Furcht und Ehrsucht - welche die Menschheitsgeschichte auf immer ähnliche Weise ablaufen lassen. Auf die Parallelen zwischen dem Aufstieg der neuen Macht heute (China) und den alternden Platzhirschen (USA) ist schon oft hingewiesen worden. Die Mechanismen der Macht scheinen jedenfalls auf ähnliche Weise zu funktionieren wie damals.

In der Tat ist die Verhandlungsstrategie der Amerikaner mit ihren Handelspartnern so, als wäre sie den Athenern abgeschaut (eine eingehende Thukydides-Lektüre des US-Präsidenten ist allerdings äußerst unwahrscheinlich). Man nimmt sich die Gegner (die meist bis dahin noch gar nicht wussten, dass sie Gegner sind) einzeln vor, denn einzeln sind sie alle schwächer als die großen USA (das mächtige Athen). Im nächsten Schritt verdeutlicht man ihnen, dass der Überlegene mit dem Unterlegenen im Grunde machen kann, was er will. Es wird das Vernichtungspotenzial gezeigt. Und der logische Schluss aus der asymmetrischen Machtverteilung lautet, dass die Annahme der gestellten Bedingungen (und sei es die Knechtschaft) immer noch besser ist als die alternative, d.h. die Auslöschung des Gegners. Denn der Verlust von Freiheit und Vermögen ist in der Logik des Stärkeren immer noch besser als der Tod. Und hat der Stärkere erst einmal diese Strategie gewählt, kann er nicht mehr von ihr lassen, denn eine Drohung, die sich als leer erweist, unterminiert die ganze Logik der Stärke. Er muss seine Drohungen wahr machen und den Krieg bis zum bitteren Ende durchziehen.

Die Lehre aus dem Peloponnesischen Krieg

In den Kontext des sich derzeit anbahnenden Handelskrieges übersetzt, bedeutet die Melierrede etwa das Folgende: Die USA umgehen die WTO, denn dort haben sie wesentlich weniger Druckmittel als in bilateralen Gesprächen. Dann verweisen sie gegenüber einzelnen Handelspartnern auf die enorme Bedeutung der USA als Exportmarkt und was es bedeuten würde, diesen zu verlieren. Sie drohen nicht, das sei hier lobend erwähnt, mit einem Vernichtungsschlag im Stile Athens, welcher den USA etwa durch den Ausschluss aus dem von ihnen kontrollierten internationalen Zahlungssystem zur Verfügung stünde. Aber sie drohen damit, den für viele Firmen größten und attraktivsten Exportmarkt abzuriegeln und dadurch bei den Handelspartnern eine Rezession auszulösen und den Wohlstand spürbar zu reduzieren.

In dieser Eins-gegen-Eins-Situation lassen sich für die USA nicht nur gute Bedingungen heraushandeln, sondern auch solche, die für die Handelspartner schlecht sind. Und es liegt ebenfalls in der Logik dieses Vorgehens, wie bereits von Thukydides bemerkt, dass die Drohungen nicht leer bleiben dürfen. Die USA müssen zu Handelskriegen mit allen bereit sein, wenn sie eine Verbesserung mit nur einem Handelspartner erreichen wollen.

Befinden sich die USA heute schon auf der machtpolitischen Schiene, haben sie die werteorientierte Außenpolitik (die ihnen immerhin zu einer einzigartigen Machtstellung in der Welt verholfen hat, von welcher China oder Russland nur träumen können) aufgegeben? Ist das ökonomische Interesse tatsächlich hinter das ganz eigene Kalkül von militärisch-technologischer Dominanz zurückgetreten? Das lässt sich jetzt noch nicht abschließend beantworten. Vielleicht sind die Manöver dieser Tage nur Theaterdonner, vielleicht nur eine Ablenkung von der Krise der Demokratie, vielleicht nur eine Verhandlungsstrategie. Ich fürchte, wir werden es im Lauf des Jahres herausfinden – und unsere Portfolios dann entsprechend ausrichten (d.h. in solche Länder umschichten, die von einer Repatriierung exportierten Kapitals profitieren).

Am Ende beschließen die Melier, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen und den Krieg der Knechtschaft vorzuziehen. Sie vertrauen auf die Zufälle und das Glück, welche in jedem Krieg eine Rolle spielen, sowie auf den Beistand ihrer Bundesgenossen aus Sparta. Athen errichtet eine Blockade, die zu grauenvollem Hunger führt. Sparta schickt keine Hilfe, ist an anderen Kriegsschauplätzen engagiert. Am Ende ergeben sich die Melier auf Gnade und Ungnade. Alkibiades lässt die Volksversammlung demokratisch das Urteil sprechen: Die Männer von Melos werden hingerichtet und die Frauen in die Sklaverei verkauft.

Für Melos war es das Ende, aber für Athen ging die Geschichte weiter. Thukydides stellt die Episode auf Melos als einen Wendepunkt im Krieg dar. Die Macht, die sie so selbstherrlich ausüben und der sie die Melier so bereitwillig Opfern, beginnt bald zu zerbröseln. Eine spektakulär großartige Fehlentscheidung reiht sich an die nächste. Alkibiades läuft erst zu den Spartanern über, und als es auch dort nicht rund läuft, zu den Persern – von wo aus er als Feldherr wieder nach Athen zurückkehrt. Aber das ist eine andere Geschichte. Am Ende gewinnt Sparta den Krieg. Es muss vielleicht nicht überraschen, dass das autoritäre Sparta dem demokratischen Athen in der reinen und wertfreien Machtpolitik überlegen war. Keine schlechte Perspektive für China.

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