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Hüfners Wochenkommentar Ein weiteres Argument für Herrn Draghi

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Nicht nur ein Schönheitsfehler

Diese Diskrepanz zwischen dem "Sprech" der Zentralbanker und den täglichen Erfahrungen der Verbraucher ist nicht nur ein Schönheitsfehler. Sie ist ein Ärgernis. Sie zeigt, dass die Geldpolitik den Kontakt zu der täglichen Realität der Verbraucher verloren hat. Sie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das ist in einer Demokratie nicht gut. Andererseits ist es, was vielen nicht klar ist, ein weiteres Argument, die Maßnahmen der ultralockeren Geldpolitik möglichst bald zurückzuführen.

Warum? Manche sagen, der Unterschied zwischen der amtlich gemessenen und der von den Verbrauchern erlebten Inflation hänge damit zusammen, dass hier getrickst wird. Der Verbraucher würde durch die Statistiken über's Ohr gehauen. Man müsse daher nur dafür sorgen, dass das Statistische Bundesamt richtig rechne, dann sei alles geklärt. Das ist falsch. Niemand betrügt bei der Berechnung der Inflation.

Tatsache ist aber, dass es keinen objektiv richtigen Maßstab der Inflation gibt. Alles hängt davon ab, wie man die Einzelpreise zu einem Durchschnitt aggregiert, der in etwa dem Geldwert entspricht. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die gebräuchlichste ist, dass man die Preise der Waren und Dienste mit der Bedeutung gewichtet, die sie im Warenkorb eines repräsentativen Verbrauchers haben.

Das ist plausibel. Wenn man mehr für ein Gut ausgibt, dann sollte sich das auch im Preisindex entsprechend niederschlagen. Allerdings kommt es dann dazu, dass beispielsweise die Miete, die sich nur relativ selten verändert, ein Gewicht von 21  Prozent im Index hat, Nahrungsmittel dagegen, die man mehrmals in der Woche kauft und bei denen man die Preisveränderungen viel unmittelbarer erlebt, nur ein Gewicht von 9  Prozent. Insgesamt kommt man bei dieser Rechnung für Deutschland auf eine Inflation von nur 1,7  Prozent. 

Man könnte die Durchschnittsbildung aber auch ganz anders berechnen. Man könnte etwa die Preise mit der Häufigkeit gewichten, in der der Verbraucher die jeweiligen Güter und Dienste erwirbt. Dann bekämen Nahrungsmittelpreise beispielsweise ein viel höheres Gewicht als Mieten. Insgesamt kommt man bei einer solchen Durchschnittsbildung auf einen sehr viel höheren Wert der Inflation. Eine amtliche Berechnung dazu gibt es nicht. Die Volkswirte der UniCredit, die die gefühlte Inflation regelmäßig schätzen, ermittelten zuletzt einen Wert von 3,5  Prozent. Das kommt dem Gefühl der Verbraucher schon näher.

Man nennt diese Art des Durchschnitts die "gefühlte Inflation". Das klingt etwas abwertend. Es sieht so aus, als ob das ein unverbindlicher "Soft Factor" sei im Gegensatz zur seriösen amtlichen Inflation. Das ist nicht gerechtfertigt. Beide Durchschnittsbildungen sind gleich seriös und anspruchsvoll. Keine ist besser als die andere.