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Hüfners Wochenkommentar Jenseits von Maastricht

Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management
Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management
Im Jahr 1958 veröffentlichte Wilhelm Röpke, einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, ein Buch mit dem Titel "Jenseits von Angebot und Nachfrage". Seine These war: Neben den wichtigen wirtschaftlichen Kriterien wie der freien Preisbildung muss es in einer Gesellschaft auch andere Werte wie Sitte, Anstand, Moral und Wertüberzeugungen geben. Sonst funktioniert das Ganze nicht. Über den Inhalt der Werte kann man streiten. Dass es aber etwas jenseits der Ökonomie geben muss, ist heute weitgehend akzeptiert.

Bei der gegenwärtigen Diskussion über die Hilfen für Griechenland kam mir dieses Buch wieder in den Sinn. In gewissem Maß kann man die Botschaft nämlich auf die Probleme in der Währungsunion übertragen. Im Maastricht-Vertrag wurden für den wirtschaftlichen Bereich gute Regeln zur Haushaltspolitik, zur Staatsverschuldung und anderen Bereichen festgeschrieben. Sie werden zwar nicht immer eingehalten. Aber sie sind eine Richtschnur und eine unverzichtbare Grundlage für das Zusammenleben im Euro.

Aber diese Regeln allein reichen nicht. Sie müssen ergänzt werden. Zum einen müssen sie immer im Zusammenhang mit dem politischen Ziel der europäischen Einheit gesehen werden. Das steht so auch in den Verträgen. Darüber hinaus brauchen wir aber auch Maßstäbe für das Zusammenleben "jenseits von Maastricht". Diese betreffen – so sagen die Ökonomen vielleicht etwas überheblich – vorwiegend "weiche Faktoren". Sie sind aber nicht weniger wichtig.

Hier geht es um Vertrauen, Anstand und Verlässlichkeit zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. Wenn einer etwas sagt, dann müssen sich die anderen darauf verlassen können.

Hinzu kommen müssen Kooperations- und Kompromissbereitschaft. Bei Verhandlungen muss jeder etwas gewinnen, jeder muss aber seinerseits auch etwas auf den Tisch legen. Wenn einer nur Forderungen stellt, funktioniert das Zusammenleben nicht.

Abmachungen, die vor einer Wahl getroffen wurden, müssen auch nach der Wahl noch gelten. Sonst kann sich niemand darauf verlassen und es gibt keine Kontinuität in der Gemeinschaft. Es darf keine Erpressungen und Drohungen geben. Natürlich sind Verhandlungen kein Liebesgeflüster. Aber wenn einer sagt, wenn du dich nicht an unsere Vorgaben hältst, drehe ich dir den Geldhahn zu, oder wenn du mir kein Geld gibst, schicke ich dir IS-Kämpfer, dann ist die Basis der Zusammenarbeit weg.

Schließlich ganz wichtig: Es muss einen Grundkonsens in der Wirtschaftspolitik geben. Wenn einer marktwirtschaftliche Mechanismen generell ablehnt (zum Beispiel durch die Zurückweisung von Privatisierungen), alle anderen aber auf der Basis der Marktwirtschaft arbeiten, dann geht das nicht.

An sich sind das Selbstverständlichkeiten, die gar nicht erwähnt werden müssten. Man könnte es einfach formulieren: Wenn sich Länder zu einer Union zusammenfinden, dann muss die Chemie zwischen ihnen stimmen. Sie müssen zusammen arbeiten und leben wollen. Das war im Euro bisher unausgesprochen gegeben. Wenn das jetzt nicht mehr gilt, dann hat die Währungsunion ein Problem. Es könnte sich noch verstärken, wenn das, was jetzt in Griechenland passiert, sich in anderen Ländern aus geopolitischen Gründen besonders gefordert ist. Man muss wiederholt (zum Beispiel durch Wahlerfolge von Podemos in Spanien oder Le Pen in Frankreich).

Dann bleibt nur noch die Alternative: Entweder man zwingt das betreffende Land zur Disziplin – das passt aber nicht zu einer Union freier und stolzer Gesellschaften. Es wird früher oder später scheitern. Oder man trennt sich. Nicht, weil die Gemeinschaft dem ausscherenden Mitglied (hier den Griechen) kein Geld zur Verfügung stellen will. Auch nicht in Feindschaft, dass einer den anderen herausschmeißen will. Sondern aus der einfachen Erkenntnis, dass die Basis für ein Zusammenleben in der Gemeinschaft nicht mehr gegeben ist. Besser eine Trennung mit Anstand als eine Situation, mit der keiner wirklich leben kann.
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