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Hüfners Wochenkommentar Keine Angst vor einem Brexit

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Veränderung bedeutet Belastung

Fragt man, was ein Brexit für die Welt und die Finanzmärkte bedeuten würde, so wird hier im Augenblick allerdings viel übertrieben. Natürlich würde es eine Vielzahl von Veränderungen geben, in Großbritannien selbst, in der EU und in Ländern mit engeren Beziehungen zum Vereinigten Königreich. Großbritannien und die EU würden getrennte Wege gehen. Das ist aus meiner Sicht schade. Veränderungen sind auch immer eine Belastung für die Märkte. Es ist aber keine Katastrophe. Vor allem würde es sich nicht zu einer weltweiten Finanzkrise wie 2008 ausweiten. Dafür ist Großbritannien zu klein. Alle Beteiligten hatten Zeit, sich vorzubereiten. Die Bank von England steht Gewehr bei Fuß. Die Folgen des Austritts werden sich erst in zwei Jahren nach Abschluss der Austrittsverhandlungen zeigen.

Bei der Bewertung des Risikos Brexit muss man freilich differenzieren. Kurzfristig ist es schwierig. Da gibt es eine Reihe von Stolpersteinen. Niemand weiß, was nach dem Volksentscheid beispielsweise mit der britischen Regierung passiert. Würden die Schotten vielleicht wieder ein eigenes Referendum verlangen? Könnte es auf dem Kontinent in einzelnen Ländern politische Verwerfungen geben? Könnten die Investitionen und das Wirtschaftswachstum einbrechen? All diese Risiken addieren sich zu den sonstigen Schwächen in der Weltwirtschaft. Das macht sie gefährlich. Die Unsicherheiten sind aber nur temporär.

Nach dem Referendum wird sich die Lage beruhigen. Denn EU und UK sind – was immer heute gesagt wird – auch nach einem Brexit aufeinander angewiesen. Sie bleiben Nachbarn. Sie können sich auch aus sicherheitspolitischen Gründen gar keine dauerhafte Konfrontation leisten. Niemand hat ein Interesse, dass wegen des Brexit ganz Europa zerfällt.

Drei große Probleme müssen gelöst werden

Erstens das Verhältnis Großbritanniens zum Binnenmarkt. Es wäre für alle ein großer Rückschritt, wenn England hier künftig ausgeschlossen würde. Das ist aber, wie die Beispiele Norwegens oder der Schweiz zeigen, keinesfalls zwangsläufig. Niemand kann das auch wirklich wollen.

Zweitens der Status Londons als zentraler Finanzplatz des Euros. Hier werden Paris und Frankfurt Ansprüche geltend machen. Ich zweifle aber, ob sie die Rolle Londons voll übernehmen können. Die Attraktivität eines Finanzplatzes hängt nicht von Beschlüssen der Notenbank oder der Regierungen ab. London hat als Finanzplatz drei Vorteile, die – wenn die Engländer keine großen Fehler machen – schwer einzuholen sind: Die guten Leute, die dort arbeiten, die englische Sprache und die geographische Nähe zu New York.

Drittens, aus kontinentaler Sicht am wichtigsten, muss Europa seine Identität neu definieren. Die Union wäre dann kleiner. Die Bevölkerung würde um 65 Millionen abnehmen. Der Charakter der Gemeinschaft würde sich verändern. Südeuropa würde an Einfluss gewinnen, Deutschland verlieren. In der Wirtschaftspolitik würde es mehr Interventionen und weniger Marktwirtschaft geben. Desintegrierende Kräfte würden sich ermutigt fühlen. Im schlimmsten Fall könnte es zu weiteren Austritten aus der Gemeinschaft kommen. Das nagt an der Attraktivität der Gemeinschaft. Es schafft eine lange Periode der Unsicherheit. Es ist aber nicht das Ende des Projektes Europa. Der Euro würde nicht zusammenbrechen. Es könnte am Ende auch ein reinigendes Gewitter sein und eine Chance für die Gemeinschaft.

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