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Hüfners Wochenkommentar Würde es helfen, das Stabilitätsziel anders zu definieren?

Assenagon-Chefvolkswirt Martin Hüfner: „Eine Zentralbank, die die Inflation nicht bekämpft, sondern sie im Gegenteil noch verstärken will? Das passt für mein Gefühl nicht zusammen“.
Assenagon-Chefvolkswirt Martin Hüfner: „Eine Zentralbank, die die Inflation nicht bekämpft, sondern sie im Gegenteil noch verstärken will? Das passt für mein Gefühl nicht zusammen“.
Wenn ich die Europäische Zentralbank über ihre Absichten und Ziele reden höre, dreht sich mir manchmal der Magen herum. EZB-Präsident Draghi betont immer wieder, er wolle die Preissteigerung nach oben bringen bis zu einer Marke von „nahe aber unter 2 Prozent". Eine Zentralbank, die die Inflation nicht bekämpft, sondern sie im Gegenteil noch verstärken will? Krise hin oder her. Aber das passt für mein Gefühl nicht zusammen. Ich vermute, dass ich damit nicht allein bin.

Nun geht es hier nicht um Gefühle. Hinter dem Unbehagen verbirgt sich ein allgemeines Problem. Geldpolitik muss von den Menschen verstanden und akzeptiert werden. Das gilt insbesondere dann, wenn sie so radikal in unser Leben eingreift wie derzeit. An dieser Glaubwürdigkeit fehlt es im Augenblick. Es gibt nur wenige, die Verständnis dafür haben, wenn sich die EZB legalistisch auf das offizielle Stabilitätsziel beruft und damit ihre expansiven Maßnahmen begründet.

Würde es helfen, wenn man das Stabilitätsziel anders formuliert?


Denkbar ist es. Eine Möglichkeit wäre, das Ziel von 2 Prozent auf 1 Prozent zu reduzieren. Das würde dem Gefühl der Menschen schon näherkommen. Für die meisten heißt Stabilität ohnehin 0 Prozent Preissteigerung, nicht 2 Prozent. Eine andere Möglichkeit wäre, den üblichen Verbraucherpreisindex durch Kennzahlen zu ersetzen, die eine höhere Geldentwertung ausweisen. Da gibt es genügend. Auch in diesem Fall wäre der Handlungsdruck auf die EZB nicht so groß. Sie müsste nicht so weitgehende Maßnahmen ergreifen.

Da wäre schon viel geholfen. Aber macht das auch Sinn?

Der Grund, weshalb man das Ziel auf 2 Prozent festgelegt hat, ist ein statistischer. In einer Wirtschaft mit hohem technischem Fortschritt gibt es immer wieder Qualitätsänderungen bei den Produkten. Eine Waschmaschine von heute ist normalerweise besser als eine von vor zwei Jahren. Wenn sie gleichwohl heute das gleiche kostet, dann ist der Preis für dieselbe Qualität nicht gleichgeblieben, sondern tatsächlich gesunken. Null-Inflation bedeutet in einem solchen Fall Deflation. Oder umgedreht: Eine positive Preissteigerung bedeutet Stabilität.

Nun sind Qualitätsänderungen statistisch schwer zu erfassen. Deshalb hat man in die Inflationsmessung ursprünglich eine „Sicherheitsmarge" eingebaut. 2 Prozent sollten abzüglich der Sicherheitsmarge eigentlich 0 Prozent sein. Freilich hat man das schon vor zwanzig und mehr Jahren so festgelegt. Zwischenzeitlich gab es auch in der Statistik Fortschritte. Die Erfassung technischer Veränderungen ist heute wesentlich besser. Wir brauchen zwar weiter eine Sicherheitsmarge, aber sie muss nicht mehr 2 Prozent betragen. 1 Prozent würde ausreichen. Eine Reduzierung des Stabilitätsziels ist also objektiv gesehen vernünftig.

Die Verwendung anderer Kennzahlen als den Verbraucherpreisindex würde ebenfalls helfen. Wenn man beispielsweise die Kernrate der Verbraucherpreise nähme (also abzüglich der Energie- und Nahrungsmittelpreise), so käme man dem Ziel schon näher. Die Kernrate weist derzeit eine Geldentwertung nicht von minus 0,2 Prozent aus, sondern von plus 0,7 Prozent.

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