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Interview mit Wirtschaftsprofessor „Finanzberater haben in den 90er-Jahren viel Vertrauen verloren“

Professor Dr. Andreas Suchanek, hier während eines Vortrags bei den <a href='http://www.dasinvestment.com/mlp-financial-planning-powertage-was-bewegt-certified-financial-planner/' target='_blank'>MLP Financial Planning Powertagen</a>, lehrt an der HHL Leipzig Graduate School of Management Ethik.
Professor Dr. Andreas Suchanek, hier während eines Vortrags bei den MLP Financial Planning Powertagen, lehrt an der HHL Leipzig Graduate School of Management Ethik. | Foto: MLP Corporate University

DAS INVESTMENT: Ist die Finanzberatung per se anfälliger für unethisches Verhalten als andere Branchen?

Andreas Suchanek: Nein, ich glaube, jede Branche hat ihre spezifischen ethischen Probleme. Die Rohstoffindustrie hat Probleme, die bis hin zu Menschenrechtsverletzungen reichen und mit der Umwelt zu tun haben. Dafür gibt es in den Servicebranchen und Beratungssektoren das Problem der Informationsasymmetrien. Diese führen immer zu Konflikten, wenn sie zu Lasten der Kunden ausgenutzt werden. Die Automobilindustrie hat ganz aktuell wieder andere Probleme.

Wenn Sie die Situation heute mit der vor 20 oder 30 Jahren vergleichen, ist die Finanzindustrie insgesamt ethischer geworden?

Das kommt darauf an, was man damit meint. Heute beschränken die Regularien mehr als früher unverantwortliches Verhalten, aber es ist fraglich, ob sich auch die Einstellung geändert hat. In diesem Zusammenhang hilft es, drei Ebenen zu unterscheiden: Spielzüge, Spielregeln und Spielverständnis. Als Regularien beeinflussen die Spielregeln die Spielzüge, doch wie das geschieht, hängt immer auch vom Spielverständnis ab. Wenn Sie ein Spielverständnis haben, das von Fairness und neutraler kundenorientierter Beratung ausgeht, dann haben Sie – bei gleichen Spielregeln – ein ganz anderes Spiel als wenn jeder nur versucht, möglich viele Provisionen einzusammeln.

Wie kann man den systemimmanenten Konflikt zwischen Beratung gegen Provision und den Eigeninteressen des Beraters auflösen?

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Die provisionsgestützte Beratung muss nicht schlecht sein, wichtig ist, dass sie transparenter wird. Man müsste die Kunden besser aufklären, auch dahingehend, dass es um den gegenseitigen Vorteil von Berater und Kunde geht und gehen muss. Jedem Kunden sollte klar sein, dass er natürlich den Berater mitbezahlt, auf welche Weise auch immer. Es geht um Leistung und Gegenleistung, und gerade im Finanzbereich ist dabei Vertrauen wichtig; und dieses Vertrauen basiert letztlich auf gegenseitigem Respekt und Fairness – nicht als weltfremde Ideale, sondern realismusgetränkter Bereitschaft, anderen nicht zu schaden.

Verändern sich Ethikstandards über die Zeit?

Ja, tendenziell ist zu beobachten, dass Standards schärfer werden. Bis 1999 waren zum Beispiel die Ausgaben für Korruption im Auslandsgeschäft steuerlich absetzbar in Deutschland. Das hat sich deutlich geändert. In vielen heutigen Compliance-Regeln steht, alles was über 35 Euro hinausgeht, ist auf gar keinen Fall möglich. Das heißt neben der Verschärfung aber auch, dass Sie Druck auslösen, wenn Sie im internationalen Wettbewerb stehen und die Konkurrenz sich nicht so harte Regeln auferlegt hat. Und dann ist eben der Reiz da, verschiedene Umgehungen zu suchen und manchmal auch zu finden. Das macht angewandte oder realitätsbezogene Ethik so schwierig, weil sie heute eben mit der Globalisierung und der Digitalisierung sehr viel Schnelligkeit, Änderung und Komplexität haben, die ein angemessenes Urteilen so schwierig werden lassen.

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