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Inflation Klartext zur Geldillusion

Karl-Heinz Thielmann
Karl-Heinz Thielmann
Liebe Langfristanleger, zu Beginn dieses Beitrags habe ich zwei Fragen an Sie: Um wie viel ist die US-amerikanische Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen: um 1,9 Prozent oder um 3,4 Prozent? Und wie stark hatte das Bruttoinlandsprodukt von China in 2011 zugelegt: 9,3 Prozent oder 17,8 Prozent? Welche Antworten sind richtig?

Das Ergebnis ist: alle stimmen! Die erste Zahl ist allgemein gebräuchlich und entspricht jeweils dem realen Wachstum, also dem tatsächlichen Volumenzuwachs. Die zweite Zahl ist das nominale Wachstum, wie es in Geldeinheiten der lokalen Währung (also US-Dollar beziehungsweise Yuan) ausgedrückt erscheint. Dieser Wert wird aber so gut wie nie benutzt.

Die Differenz aus beiden Angaben ergibt sich jeweils aus der Geldentwertung, des Verlustes der Kaufkraft der Währungen über den Betrachtungszeitraum. Wenn wir ökonomische Größen wie das Bruttoinlandsprodukt betrachten, haben wir es uns angewöhnt, über reale – also inflationsbereinigte – Werte zu reden. Dies ist auch gut und richtig so, da nur reale Angaben uns wirklich Aussagen über tatsächliche Veränderungen geben.

Es ist ein wichtiger Unterschied, ob 5 Prozent nominales Wirtschaftswachstum aus 1 Prozent Inflation und 4 Prozent mehr Wirtschaftsleistung oder aus 4 Prozent Geldentwertung und 1 Prozent mehr Werterstellung besteht. Kein Volkswirt (und nicht einmal ein Politiker) würde heute noch auf die Idee kommen, bei der Beschreibung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Ländern auf rein nominale Daten zurückzugreifen.

Das Märchen von der Wertstabilität

Mangels Alternativen müssen wirtschaftliche Veränderungen in einem Geldwert gemessen werden. Da dieser aber letztlich in seiner Kaufkraft besteht und diese niemals richtig konstant sein kann, ist eine Adjustierung um den Kaufkraftverlust notwendig, den eine Währung im Betrachtungszeitraum erlitten hat.

Im Alltag hingegen nehmen viele Menschen den Kaufkraftverlust ihres Geldes nicht wahr und vertrauen dessen Wertstabilität. Die Wirtschaftswissenschaften haben hierfür den Begriff der Geldillusion geprägt. Der Grad, mit dem Menschen Geldillusion unterliegen, ist dabei abhängig von der Intensität der Inflation.

Bei sehr niedrigen Inflationsraten von 1 bis 2 Prozent pro Jahr ist die Geldentwertung kaum spürbar, sie geht schleichend vonstatten. Diese Inflation ist derzeit alltäglich. Viele Ökonomen gehen sogar davon aus, dass diese minimale Inflation einer gesunden Wirtschaft förderlich ist: Auch bei nur mäßigem Wachstum sollte es daher immer einen leichten Aufwärtsdruck auf die Preise geben.

Insofern meinen die führenden Notenbanken der Welt wie die Europäische Zentralbank, Federal Reserve oder die Bank of England, wenn sie „Geldwertstabilität“ als ihr Ziel definieren, nicht eine Inflationsrate von 0 Prozent pro Jahr als ihre Richtgröße, sondern eine moderate Geldentwertung von bis zu 2 Prozent pro Jahr.

Auf lange Sicht bedeutet auch eine solche Erosion der Kaufkraft durch die schleichende Inflation eine erhebliche Verminderung des Geldwertes. So würde auch unter der amtlichen Definition von Preisstabilität ein Euro nach 20 Jahren um ein Drittel an Kaufkraft verlieren; nach 50 Jahren wären bereits 64 Prozent weg; sowie nach 80 Jahren 80 Prozent. Dass die Effekte der schleichenden Geldentwertung vom Normalbürger im Alltag oft kaum bemerkt werden, ist zu verstehen.



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