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„Die EU entwickelt sich von der Union hin zu einem Club“ Sal. Oppenheim-Volkswirte über die Brexit-Folgen

Martin Moryson, Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim (Foto: Sal. Oppenheim)
Martin Moryson, Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim (Foto: Sal. Oppenheim)
Mit einer Zustimmungsquote von 51,9 Prozent haben sich die Briten beim gestrigen EU-Referendum für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union entschieden. Die Wahlbeteiligung lag mit 72,2 Prozent höher als bei den letzten Parlamentswahlen. Im Anschluss an das Ergebnis ist Premierminister David Cameron zurückgetreten, er hatte die Kampagne für einen Verbleib in der EU angeführt. Letztlich haben damit der britische Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sowie die Ablehnung von Einwanderung – auch aus anderen EU-Ländern – überhandgenommen vor den Sorgen um die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Brexits.

1. Prozedere des EU-Austritts:

Bis zur neuen Autarkie Großbritanniens wird es noch dauern. Es sind prinzipiell vier Phasen nötig, die zum Teil zeitgleich ablaufen und damit ebenfalls Unsicherheit erzeugen können:
  • Offizielle Austrittsvereinbarung zwischen Großbritannien und der EU gemäß Artikel 50 des Vertrags von Lissabon, werden erst von Camerons Nachfolger angestoßen.
  • Verhandlungen über die neuen Handelsvereinbarungen zwischen Großbritannien und der EU. Hier müssen Vereinbarungen über die Gütermärkte, die für Großbritannien sehr wichtigen Dienstleistungsmärkte und die Regelungen zu Arbeitsrechten von EU-Bürgern in Großbritannien vereinbart werden.
  • Verhandlungen auf globaler Ebene mit rund 50 Ländern über neue Handelsabkommen, da die bisherigen Verträge durch den EU-Austritt an Gültigkeit verlieren.
  • Anpassung der britischen Gesetze und Regularien in den Punkten, in denen bislang auf die EU-Regularien zurückgegriffen wurde.
2. Kurzfristige Auswirkungen für Großbritannien:

Das dominierende Thema in den kommenden Wochen und Monaten wird die Unsicherheit darüber sein, welche Konsequenzen sich aus dem Austritt ergeben. Wir rechnen damit, dass sich diese Unsicherheit in einer erheblichen Stimmungsverschlechterung bei Unternehmen, Haushalten und auch den Finanzmärkten manifestieren wird. In der Folge ist mit Konsum- und Produktionseinschränkungen und einer Investitionszurückhaltung aus dem In- und Ausland zu rechnen. Einziger Lichtblick ist eine Begünstigung der Exporteure, die von dem schwachen Pfund profitieren können. In der Summe wird sich eine Rezession aber nicht vermeiden lassen.

Schätzungen des britischen Schatzamtes gehen davon aus, dass es innerhalb der kommenden zwei Jahre zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um mindestens 3,6 Prozent kommen wird. Dies wäre mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um 520.000, rückläufigen Hauspreisen und einem Inflationsanstieg verbunden. Da Großbritannien bislang – auch ohne Schengen- und Euro-Mitglied zu sein – sehr intensiv in die EU integriert ist, halten wir diese Simulationen für realistisch.

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