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Aktualisiert am 28.01.2020 - 11:31 Uhrin MärkteLesedauer: 7 Minuten

Oswald Metzger zur Bundestagswahl: „Gigantische Sprengsätze“

Oswald Metzger
Oswald Metzger (Foto: Marco Moog)

DAS INVESTMENT.com: Herr Metzger, ist die Bundestagswahl schon gelaufen? Oswald Metzger: Da möchte ich keine Wette abschließen. Auch beim 2005er Wahlkampf starteten Union und FDP mit deutlichem Vorsprung. Gewinnt Schwarz-Gelb, dann wohl nur knapp. In diesem Fall wird sich die SPD freuen, in der Opposition wieder Stimme des Volkes spielen zu können – gemeinsam mit der Linkspartei und auch den Grünen, die zuletzt von der Beschlusslage her einen Linksruck hinter sich haben. Möglicherweise geht die Große Koalition in die zweite Runde, das wäre der politische Super-GAU … DAS INVESTMENT.com: … weil dann die Sozialromantik siegt? Metzger: Das ist zu befürchten. Die einzige Großtat der Großen Koalition war, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen. Doch  wie bescheuert müssen Politiker sein, die vergessen, dass man  Leistungsempfängern keine Rentengarantie geben kann, wenn die Arbeitnehmer als finanzierender Teil mit Einbußen rechnen müssen? Zudem feiert die Altersteilzeit in den Wahlprogrammen fröhliche Urständ – in Zeiten, in denen die Unterauslastung durch Kurzarbeit die Lohnstückkosten in die Höhe schnellen lässt. Das sind gigantische finanzielle Sprengsätze für die Zukunft, ganz zu schweigen vom Gesundheitsfonds DAS INVESTMENT.com: Bei dem Bundesministerin Ulla Schmidt aber von Kostendeckung ausgeht. Metzger: Das ist Augenwischerei. Wenn sich beim Gesundheitsfonds nichts ändert, sind flächendeckende Zusatzbeiträge und massive Leistungseinschränkungen die Folge. Die Unterdeckung im Gesundheitssystem liegt bereits bei mindestens 1,5 bis 2 Prozentpunkten für Beitragszahler. Dieser Irrsinn kommt dabei heraus, wenn man Gesundheitsprämie und Bürgerversicherung zusammenschustert und eine Ministerin machen lässt, die die private Assekuranz aus der Krankenversicherung rausdrängen möchte. Helfen würde stattdessen die Rechnungslegung für alle, wobei 10 Prozent jeder aus eigener Tasche zahlen sollte. Die Nachfragesteuerung gehört nun mal zum transparenten und marktwirtschaftlich organisierten Gesundheitssystem dazu. DAS INVESTMENT.com: Doch diskutiert so mancher Politiker bereits wieder öffentlich, auch den „Hartz-IV-Sozialraubbau“ wieder kassieren zu wollen… Metzger: Daran merken Sie, wie der linke Konkurrenzdruck seit der Wahl 2005 wächst, der im politischen Parteiensystem mit dem erfolgreichen Abschneiden der Linkspartei als Folge der Hartz-IV-Gott-sei-bei-uns-Debatte ausgelöst wurde. Im Nachgang dessen verbesserte die Große Koalition prompt den Leistungsbezug. Es wird jedoch nie gesondert herausgestellt, dass der Beschäftigungsaufschwung in den Jahren 2006 und 2007 ganz massiv mit den Flexibilisierungsfolgen der Einführung von Hartz IV zusammenhing. DAS INVESTMENT.com: Also sagt Ihres Erachtens nur die FDP zurzeit die Wahrheit? Metzger: Nur mit Einschränkungen - weil man sich auch bei der FDP bewusst ist, dass man sich heute mit einem sozialen Image als Marketinginstrument ausstatten muss. Guido Westerwelle plädiert deshalb im Wahlkampf für eine Erhöhung des Schonvermögens. Und nehmen Sie die Beamtenversorgung, die uns künftig vor Riesen-Probleme stellen wird. Dort ist der ordnungspolitische Regelungswille der FDP sehr überschaubar, weil nun mal viele Beamte diese Partei wählen. Kurzum: Eine ordnungspolitische Stimme, die man eindeutig parteipolitisch zuordnen könnte, gibt es derzeit nicht. DAS INVESTMENT.com: Dennoch klingt manche Forderung von Ihnen so, als könnten Sie bald bei der FDP anheuern. Metzger: Nein, das habe ich nicht vor – wenn ich auch als ordoliberaler Politiker wirtschafts- und gesellschaftspolitisch gut mit der FDP leben könnte. Nur zeigt die fast 30-jährige Regierungsbeteiligung der FDP, dass sie weder mit der SPD noch mit der Union den politischen Kurs tatsächlich selbst beeinflussen konnte. In den 70er Jahren wurde die heute überbordende Staatsquote begründet, auch der Aufbau des Beamtenapparats fiel in dieses Jahrzehnt. Da halte ich es lieber mit  Ludwig Ehrhardt, der sagte: „Alle Wohltaten, die wir als Politiker dem Volk versprechen, müsst ihr als Wähler zunächst erwirtschaften.“ DAS INVESTMENT.com: Von Ihnen stammt aber auch der Satz: „Die Wähler wollen betrogen werden.“ Metzger: Ja. Die gleiche Bevölkerung, die uns Politikern häufig zu Recht vorwirft, dass wir opportunistisch agieren, will mit Wahlversprechen hinter die Birke geführt werden. Einige Jahre gab es mit der Agenda 2010 trotz aller Auseinandersetzungen eine deutliche parteipolitische Mehrheit für Reformen in Deutschland. Infolge grandios verlorener Landtagswahlen hat sich die SPD dann zum Wahlkampf 2005 von diesem Kurs verabschiedet. Das Volk wollte so viel Wirtschaftsliberalität offensichtlich ohnehin nicht und hat bei der Wahl eine merkwürdig salomonische Wahlentscheidung getroffen, die auf die Große Koalition hinauslief. DAS INVESTMENT.com: Was wohl nach Ihrer Lesart bedeutet: Packt uns in Watte. Metzger: Genau. Seither ist die Sozialstaat-Lüge wieder hoffähig – nicht erst im Windschatten der Finanzmarktkrise. Geht es so weiter wie in den vergangenen zwei Jahren, steht statt der versprochenen Reduzierung eine Erhöhung der Renten-Beitragssätze ins Haus. Bei der Pflegeversicherung ist die Kostendynamik aufgrund der Demografie unvermeidbar. Und durch die gigantischen Schulden, die wir durch die Finanzmarktkrise aufhäufen und refinanzieren müssen, wird die Steuerquote in allen Industrienationen erheblich steigen. Das wird nur sehr selten offen diskutiert. DAS INVESTMENT.com: Nimmt aber die Politik so nicht in Kauf, im Nachhinein ihre Glaubwürdigkeit zu ramponieren? Metzger: Wie gesagt, Ehrlichkeit wird in der Regel nicht belohnt. Im 2005er Wahlkampf hatte die Union die Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozent angekündigt und wollte das Geld zur Umfinanzierung der Sozialsysteme verwenden. Das war eine Steilvorlage für die SPD und einige Medien, die das geißelten. Der Union ist der Schreck über den Wahlausgang so in die Glieder gefahren, dass sie heute alles tut, um ja nirgends konkret zu werden.

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