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Japanische Verhältnisse und was wir davon lernen können

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Die rein volkswirtschaftlichen Charakteristika – und damit versuchen wir wieder die japanischen Verhältnisse zu definieren – sahen und sehen zum Teil heute noch folgendermaßen aus:

• Als Auslöser gilt ein starker Immobilienpreisverfall Ende der 80er- bis Anfang der 90er-Jahre, vor allem im Bereich der Gewerbeimmobilien.

• Eine lange Phase von Wirtschaftswachstumsraten weit unter dem Potenzialwachstum.

• Eine lange Phase von Wirtschaftswachstumsraten weit unter dem Potenzialwachstum.

• Eine kontinuierliche Disinflation, die sich beginnend mit Mitte der 90er-Jahre sogar in eine Deflation verwandelte (siehe Abbildung 1).

• Eine Geldpolitik, die vor allem zu Beginn der Krise ausschließlich über den Leitzins versuchte, aggregierte Nachfrage zu stimulieren. Erst mit Zeitverzögerung kamen außergewöhnliche Maßnahmen wie monetäre Lockerung Et cetera dazu, die sich in einer sprunghaften Ausweitung der Geldbasis widerspiegelten (siehe Abbildung 2).

• Eine stark ansteigende Sparneigung des privaten Sektors.

• Ein Anstieg der Arbeitslosenraten, allerdings auf nach wie vor international extrem niedrigem Niveau.

• Mehrere fiskalische Stimulusprogramme, die neben strukturellen Faktoren zu einem rasanten Anstieg der Staatsverschuldung führten.

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Wie es dazu kam, ist in diesem Kontext nebensächlich, wenngleich die Theorien dazu vielfältig sind: Ob es die Aufwertung des JPY war, die Anhebung der Zinsen unmittelbar vor Platzen der Blase, die zu langsame und zu wenig entschlossene Reaktion der Bank of Japan (BoJ), die nur träge voranschreitende Abarbeitung der Problemkredite in den Bankbilanzen?

Oder die Besonderheiten der japanischen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur? Wahrscheinlich von allem etwas. Wichtiger ist, was japanische Verhältnisse auch sind:

• Eine Arbeitslosenrate, die selbst im Hoch nie über sechs Prozent gestiegen ist (siehe Abbildung 3).

• Ein reales BIP pro Kopf, das in der jüngsten Dekade in etwa so viel gestiegen ist wie in den USA und wesentlich mehr als in Frankreich.

• Nach wie vor einer der höchsten Lebensstandards weltweit (gemäß Human Development Index).

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Oder anders gesagt: Japanische Verhältnisse beschreiben keinen Zustand, der mit der großen Depression der 30er-Jahre vergleichbar ist.

Ist eine Gegenüberstellung überhaupt möglich?

Natürlich sind gewisse Ähnlichkeiten mit der Situation der Eurozone dieser Tage nicht von der Hand zu weisen.

• Die enttäuschenden Wirtschaftswachstumsraten sowie die, trotz Ausweitung der EZB-Bilanz nicht steigen wollenden, Inflationsraten sind wohl der Hauptgrund für den Vergleich. Diese Bemühungen haben in Japan – wenn auch damals mit einiger Verspätung – ebenso stattgefunden.

Die Entwicklungsdynamiken und das Auseinanderdriften von Geldbasis und Geldmenge – nicht nur in der Eurozone, sondern eigentlich in der ganzen westlichen Welt – erinnern aktuell stark an Japan vor 15 Jahren (Abbildung 4).

• Das gegebene Niedrigzinsumfeld und die daraus folgende Renditekompression am langen Ende (s. Abbildung 5) bei JGBs (Japanese Government Bonds).

• Die Rolle des Bankensektors in der Krise und insbesondere das sich entwickelnde Verhaltensmuster, schmerzhafte Schritte nicht zu tätigen, sondern hinauszuzögern, erinnern an die sprichwörtliche japanische „Zombiebankenthematik“.

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Hier sei zudem darauf hingewiesen, dass die Eurozone aufgrund ihrer aggregierten Daten vielleicht ähnlich wie Japan aussieht, im Detail der einzelnen Mitgliedsländern aber doch völlig verschiedene Dynamiken vorherrschen.

Der wiederholt geäußerte Verdacht, wir würden vor allem in der Eurozone auf japanische Verhältnisse zusteuern, nimmt zu wenig Rücksicht auf die Unterschiede der damaligen Situation in Japan und der Lage, in der sich Europa heute befindet. Die Unterschiede beziehen sich vor allem auf Demographie, Gesellschaftsstruktur und Marktstruktur.

• Japans Bevölkerungswachstum betrug von 1989 bis 2009 kumulierte 3,5 Prozent, jenes der OECD-Staaten im selben Zeitraum 17 Prozent (Quelle: OECD). Die japanische Bevölkerung stagniert seit rund einem Jahrzehnt und das Durchschnittsalter liegt über dem Europas.

• Seit zumindest 20 Jahren ist in Japan netto eher eine Emigration als eine Immigration feststellbar. In den USA beispielsweise spielt Immigration eine wesentliche (wachstumstreibende) Rolle.

• Der Frauenanteil unter den Erwerbstätigen ist in Japan mit 41 Prozent extrem gering, in der Eurozone liegt er immerhin bei 45 Prozent, in den USA über 46 Prozent (Quelle: OECD, Daten 2009). Allerdings liegt die Erwerbsquote in Japan über jener der Eurozone.

• Europas Volkswirtschaften sind wesentlich heterogener, besonders im Bereich der Rentenmärkte. Damit hat die EZB naturgemäß Zusatzaspekte zu berücksichtigen. Die BoJ konnte immer von einem einheitlichen Rentenmarkt und einem einheitlichen Pool an Ersparnissen ausgehen.

• Die japanische Volkswirtschaft ist ein sehr geschlossene. Der Exportanteil im Verhältnis zum BIP lag die letzten zehn Jahre niemals über 20 Prozent, der vergleichbare Wert von EU-27 liegt bei rund 40 Prozent (Quelle: OECD). Damit hätte Japan als Volkswirtschaft auch sehr resistent gegenüber erforderlichen Anpassungen infolge von externem Wettbewerbsdruck sein können.

• Deflation ist nicht gleich Deflation: Die Auswirkungen derselben sind abhängig von der Verschuldungshöhe der betroffenen Wirtschaftseinheiten einerseits und andererseits der Fähigkeit einer Volkswirtschaft, Deflation zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen.

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