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Kames Capital zum Brexit „In Wirtschaft und Politik sind Reformen gefragt“

Stephen Jones, Investmentchef bei Kames Capital
Stephen Jones, Investmentchef bei Kames Capital
Am Donnerstag, den 23. Juni 2016 hat Großbritannien seine Absicht signalisiert, die Scheidung von seinen EU-Partnern einzureichen. Ungeachtet des zunehmend angespannten Verhältnisses zu den Briten hätten die EU-Mitglieder diesen Schritt nie erwartet. Nun bleibt abzuwarten, ob eine gütliche Einigung möglich sein wird.

Im Vorfeld des Referendums wurden verschiedene Beispiele von Ländern zitiert, die das Verfahren für den Abschluss von Handelsverträgen mit der EU als unangemessen langwierig ansahen. Großbritannien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und ein wichtiger Abnehmer für EU-Produkte. Daher dürfte seine Verhandlungsposition deutlich stärker sein als die Norwegens oder Griechenlands.

Die Reaktion an den Finanzmärkten auf das Ergebnis der Volksabstimmung in Großbritannien fiel am Freitag verhaltener aus als von den meisten Kommentatoren prophezeit. Die nächsten Tage werden zeigen, ob sich die Anleger Zeit lassen, die Auswirkungen der jüngsten Ereignisse zu verarbeiten und welche Schlüsse sie aus den im Vorfeld des Referendums von allen wichtigen Währungshütern rund um den Globus ausgegebenen Warnungen ziehen. Ähnlich wie zahlreiche andere Marktteilnehmer, haben wir uns vor diesem Ereignis in unseren Mischfonds weitgehend neutral positioniert, da der Ausgang der Entscheidung unserer Ansicht nach ungewiss war.

Startschuss für globale politische Kursänderung?

Das Ergebnis des Referendums hat eine tiefe Spaltung Großbritanniens offenbart. Die Entscheidung für einen Austritt aus der EU wurde beispielsweise vor allem von jenem Teil der Bevölkerung unterstützt, der kaum Vermögenswerte besitzt und folglich von der Neubewertung der Vermögenspreise aufgrund der quantitativen Lockerung und dem dramatischen Zinsrückgang am wenigsten mitbekommen hat. Diese Menschen stehen auf der Schattenseite der ungerechten Neuverteilung des Vermögens, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. Sie haben mit ihrem Votum ihren Unmut bekundet und damit vielen Menschen aus anderen Industrieländern aus der Seele gesprochen.

In den vergangenen Monaten ist der Ruf nach einem ganzheitlicheren Reflationsansatz, der neben der Geldpolitik auch wirksame fiskalpolitische Maßnahmen umfasst, lauter geworden. Bis dato wurde diese Forderung überhört, nicht zuletzt, weil Politiker gezwungen waren, sich dem Schuldenabbau zu widmen. Der Brexit könnte den Vorwand für eine radikale und globale politische Kursänderung liefern, die der Masse Geld beschert. Wie bereits Keynes äußerte, wären wir nicht überrascht, wenn der Brexit für Politiker ein Auslöser wäre, der ihnen gestattet umzudenken. In diesem Fall wäre das ein bedeutender Input für unseren Investmentansatz.

Regierungen vor Gratwanderung

Es liegt auf der Hand, dass Änderungen der Geldpolitik inzwischen nahezu unwirksam sind. Denn wenn Negativzinsen den Konsum und die Unternehmensinvestitionen nicht ankurbeln, welche Maßnahmen eignen sich dann? Es besteht derzeit kein Anreiz, Geld aufzunehmen (zu investieren/auszugeben), wenn kein Ende des ultraniedrigen Zinsniveaus in Sicht ist. Kreditkosten nahe Null mobilisieren nur dann, wenn ein Gefühl des Mangels herrscht - was derzeit nicht der Fall ist.

„Niedrigzinsen auf lange Sicht“ lautete einige Zeit das Motto am Kreditmarkt. Und „Für immer niedrig“ lautet das Motto, das sich gerade entwickelt und die Finanzmärkte voraussichtlich für den Rest dieses Jahrzehnts prägen wird. In diesem Szenario sind die Kurse von Anleihen mit langer Laufzeit nach wie vor attraktiv.

Kluge fiskalpolitische Initiativen, um dafür zu sorgen, dass Menschen, die bereit sind, Geld auszugeben, mehr Geld in der Tasche haben, werden unmittelbar einen Anstieg der Konsumausgaben bewirken. Damit würde der Einfluss der ultraniedrigen Kreditkosten verstärkt. Derartige politische Initiativen hat es bereits in Ländern wie den USA oder Japan gegeben. Dabei handelte es sich jedoch meistens um einmalige Maßnahmen, die nicht zu einer selbst tragenden Belebung des Konsums oder der Wirtschaftstätigkeit führten. Nun könnte eine Kombination aus Lohnerhöhungen, Steuersenkungen und Infrastrukturinvestitionen ausprobiert werden. Bei einer Kombination dieser politischen Maßnahmen ist die Aussicht auf Erfolg größer.

Dies würde voraussichtlich einen nachhaltigen Anstieg der Teuerungsrate (Inflation) bewirken. Das Heikle daran ist, dass dies ohne eine Erosion der Unternehmensgewinne vonstattengehen müsste. Denn ein schwächerer Unternehmenssektor beschäftigt weniger Arbeitnehmer, die unter dem Strich weniger ausgeben. Diese Gratwanderung müssen die Regierungen meistern – voraussichtlich durch eine Senkung der Unternehmensbesteuerung. Sollte dies gelingen, wäre der Grundstein für ein freundlicheres Klima für reale Vermögenswerte im Allgemeinen gelegt.

Brexit hat Aussichten für Eurozone verbessert

Insgesamt markiert das Ergebnis des Referendums für die britische Wirtschaft unvermeidlich zumindest eine kurze Pause. Persönliche und Unternehmenspläne werden auf Eis gelegt, bis sich die Lage aufhellt. Wenn genügend Briten die Hände eine Zeitlang in den Schoß legen, wird das Land in die Rezession abgleiten. Das wird, wie die Bank von England bereits hat durchblicken lassen, eine geldpolitische Reaktion auslösen, die sich hoffentlich (sofern sie fiskalische Schritte beinhaltet) als wirksam erweist.

Wir sind überzeugt, dass die Aktienmärkte davon allgemein profitieren werden, wobei unbedingt sicherzustellen ist, dass die Umsetzung auf Ebene der Einzeltitel mit dem richtigen Feingefühl erfolgt. Bei diesem Szenario wird ein stärkerer Anstieg der Inflationsrate prognostiziert und wir werden versuchen, hiervon durch Anlagechancen zu profitieren, die nicht bereits hoch bewertet sind. Für Anleger mit entsprechendem Zugang haben sich die Aussichten für Gold deutlich verbessert.

Der Handel mit dem Pfund Sterling dürfte an den Börsen lustlos tendieren. Das Pfund hat seine Prämie als sicherer Hafen zum Teil eingebüßt, bis bei der Politik in Großbritannien wieder eine klare Richtung zu erkennen ist. Eine Herausforderung in der aktuellen Konstellation besteht darin, dass die Eurozone eine stärkere, einheitlichere fiskalische und politische Plattform benötigt, wenn sie überleben will.

Großbritannien hatte große Schwierigkeiten, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Daher haben sich die Aussichten für die Eurozone mit dem EU-Austritt Großbritanniens in gewisser Hinsicht verbessert. Sollten die jüngsten Ereignisse jedoch eine grundlegende Neubewertung der Überlebensfähigkeit der Eurozone von innen heraus auslösen, ist ein schwacher Euro unvermeidlich. In diesem Fall wäre ein Anstieg des Pfund Sterling-Euro-Kurses durchaus möglich.

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