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in FinanzberatungLesedauer: 6 Minuten

Kampf um neue Regeln

Quelle: Fotolia
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Checklisten, Beweislastumkehr, Finanz-Tüv, Anreizsysteme – viele Schlagworte schwirren durch die Presse. Seit sich die Finanzmarktkrise verschärft hat, scheint es erstmals einer breiten Öffentlichkeit aufzufallen, dass die Regulierung der Finanzberatung in Deutschland einem Flickenteppich gleicht. Je nach Produkttyp gelten andere Zulassungskriterien für Vermittler (siehe Schaubild). Vieles soll sich nun ändern, der Flickenteppich einem einheitlichen Standard weichen. Galionsfigur des Wandels ist Ilse Aigner (CSU), Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ihr Ministerium (BMELV) hatte im Dezember 2008 eine Studie zur Beratungsqualität und deren Verbesserungspotenzial herausgegeben (DAS INVESTMENT.com berichtete). Vor allem aus der Versicherungsbranche hagelte es dazu Kritik. >> Grafik vergrößern Mitte März kam es auf Einladung Aigners auf einer Tagung in Berlin vor 200 Experten zu einer Art Showdown aller betroffenen Interessengruppen. 140.000 Anrufe und Briefe habe sie erhalten, bekannte Aigner, zahlreiche tragische Einzelschicksale von schlecht beratenen Anlegern darunter. „Das Vertrauen in die Finanzwelt ist deutlich erschüttert. Das hat weitreichende Folgen“, so die Ministerin. Neben den Banken sehe sie die Politik in der Pflicht. Daher hat sie mit dem BMELV die „Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen“ gestartet, die dem Verbraucher das Rüstzeug an die Hand geben soll, dem Berater die richtigen Fragen zu stellen und die Qualität der Beratung einschätzen zu können. Routenplaner für Verbraucher Zwei Aspekte sind für die Ministerin besonders wichtig: Transparenz und Verständlichkeit. Es müsse klar sein, was sich hinter einem Produkt verbirgt, und dieses solle halten, was es verspricht. Aigner sprach sich für eine Mindestqualifikation für Anlageberater analog zur Versicherungsbranche aus. Auch die „Anreizsysteme“ für Finanzberater gehörten auf den Prüfstand. Es könne nicht sein, dass viele Vermittler nicht von den Bedürfnissen des Kunden, sondern von ihrem Provisionsinteresse gelenkt würden. Sie will die Honorarberatung stärken und dem Kunden die Entscheidung überlassen, welchem System er den Vorzug gibt. Die Fachtagung entpuppte sich weniger als offene Diskussion als ein Austausch
bekannter Positionen der Lobbygruppen (DAS INVESTMENT.com berichtete). „Man ist sich grundsätzlich einig, dass der Kunde König sein soll und geschützt werden muss, dass die Transparenz erhöht und einer objektiveren Beratung der Weg geebnet werden soll“, zieht Björn Drescher, Geschäftsführer Drescher & Cie, ein Fazit. Der Weg zu diesen Zielen bleibt aber auch nach der Tagung offen. Selbstkritik sei bei Banken- und Versicherungs-Lobbyisten nicht zu erkennen gewesen. Frank Rottenbacher, Vorstand AfW Bundesverband Finanzdienstleistung; Foto: AfW Klar ist: Die Politik meint es ernst. „Es wird neue Rahmenbedingungen der Finanzvermittlung, auch der Kapitalanlage und der Kreditvermittlung geben, eine verbindliche Qualifikations- und Dokumentationspflicht wird kommen“, sagt
Frank Rottenbacher, Vorstand des AfW Bundesverband Finanzdienstleistung. Erstes Gesetz ist auf dem Weg Allerdings wird 2009 aufgrund der anstehenden Bundestagswahlen nicht mehr allzu viel passieren. Die Gesetzesnovelle zum Schuldverschreibungsgesetz wird jedoch umgesetzt. Darin angehängt: Die Verjährung für Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Anlageberatung wird an die BGB-Verjährungsregeln angepasst (DAS INVESTMENT.com berichtete). Bislang verjährten diese Fälle bereits drei Jahre nach Vertragsabschluss. „Nach der neuen Regelung startet die Dreijahresfrist erst, wenn der Anleger von dem Schaden erfahren hat. Unabhängig von der Kenntnis des Anlegers vom Schaden verjähren Ansprüche jedoch spätestens in zehn Jahren“, erklärt Fachanwalt Oliver Renner, Kanzlei Wüterich Breucker. Er rechnet mit mehr Klagen gegen Berater (DAS INVESTMENT.com berichtete). Künftig muss zudem jedes Wertpapierdienstleistungsunternehmen über jede Anlageberatung ein schriftliches Protokoll anfertigen. Dieses soll der Berater unterschreiben und dem Kunden vor Geschäftsabschluss in Papierform oder auf
einem anderen dauerhaften Datenträger aushändigen. Banken waren dazu zuvor nicht verpflichtet. Das Protokoll soll Kunden die Beweisführung für den Fall von Schadenersatzansprüchen erleichtern. Besonders kontrovers diskutiert ist die Beweislastumkehr: Verbraucherschützer fordern, dass der Berater im Streitfall nachweisen muss, korrekt beraten zu haben. Banken, Versicherer und die freien Berater lehnen diese Idee ab. (DAS INVESTMENT.com berichtete). Das Argument: Die gesamte Branche würde kriminalisiert, jedwedes Anlagerisiko weg vom Anleger getragen, willkürlichen Schadenersatzprozessen Tür und Tor geöffnet. Der AfW könne sich allenfalls eine Umkehr der Beweislast in Bezug auf die Produktgeber vorstellen. Auch dem sogenannten Finanz-Tüv hat die Branche unisono eine Absage erteilt (DAS INVESTMENT.com berichtete). Verbraucherschützer und Politiker wollten ein Ampelsystem, das beispielsweise ein risikoreiches Finanzprodukt rot und eines mit Kapitalerhalt grün kennzeichnet. So etwas lasse sich nach Ansicht der Verbände nicht pauschal auf die individuelle Beratung beziehen. Ministerin Aigner hat dies nach anfänglicher Zurückhaltung eingesehen und spricht sich mittlerweile dafür aus, dass die Produkthaftung beim Anbieter bleiben muss. Kontraproduktive Checkliste? Doch nicht genug der Kritik. „Wenn Verbraucher sich durch die Finanzwelt bewegen, benötigen sie einen verlässlichen Routenplaner für die Finanzberatung“, hatte Aigner auf der Expertentagung verkündet. Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbarucherschutz; Foto: BMELV Fünf Tage später zum Weltverbrauchertag am 15. März 2009 erschien eine achtseitige Checkliste des BMELV, die an einem Entwurf der Verbraucherzentrale NRW angelehnt ist. Sie soll dazu dienen, ein Beratungsprotokoll für Verbraucher zu erstellen. Damit sollen diese ihrem Berater die richtigen Fragen stellen und so individuelle Auskünfte erhalten (DAS INVESTMENT.com berichtete). Gute Idee, schlechte Umsetzung: „Ein guter Berater würde, bevor eine Geldanlage gezeichnet wird, zuerst erfragen, ob Grundrisiken wie Berufsunfähigkeit oder private Haftpflicht abgesichert sind“, so AfW-Vorstand Norman Wirth. Darauf gehe jedoch weder die Checkliste noch das Protokoll ein. „Ein eklatanter Fehler, der jeden unabhängigen Allfinanzberater in die Haftung treiben würde, sollte er sich allein auf diese Checkliste verlassen“, so Wirth weiter. AfW-Vorstandskollege Rottenbacher hatte bereits auf der Expertentagung die Qualifikation der Verbraucherzentralen kritisch hinterfragt. Klar ist: Ein einheitlicher Standard wird kommen, Ausnahmen werden abgeschafft. Prinzipiell gibt es zwei Wege: Investmentfonds könnten einerseits, wie in der BMELV-Studie angeregt, wie Zertifikate zu den Finanzinstrumenten gezählt werden und damit unter die Mifid fallen. Für Beratung und Vertrieb wäre damit eine Zulassung nach dem Kreditwesengesetz (KWG) oder ein Haftungsdach erforderlich. Dies würde den bereits gestarteten und längst nicht ausgelasteten Haftungsdächern einen Boom bescheren. Weite Teile der Branche bevorzugen eine andere Lösung: Investmentfonds sollten über die Gewerbeordnung oder die Industrie- und Handelskammern (IHK) reguliert werden. Fondsvermittler bräuchten wie Versicherungsvermittler eine Erlaubnis und müssten Kriterien wie Mindestqualifikation, Registrierung, Berufshaftpflicht und Dokumentation erfüllen. Eine solche Lösung ist auch für den bisher unregulierten Bereich der geschlossenen Fonds denkbar. Der Verband Geschlossene Fonds (VGF) hat im Februar bereits erste Vorschläge dazu unterbreitet (DAS INVESTMENT.com berichtete). Fazit: Der Weg zu einem einheitlichen Beratungsstandard ist noch weit und längst nicht konkret abgesteckt. Zumal neben dem BMELV weitere Ministerien (Justiz, Finanzen, Wirtschaft) für Teilbereiche der Finanzbranche zuständig sind. Die Branche tut gut daran, selbstkritisch und transparent an dem Regulierungsprozess mitzuwirken. Aufhalten lässt sich der Wandel nicht mehr.

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