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Legende auf dem Prüfstand Nullzinsen und Anlagenotstand – reales Problem oder nur konstruiert?

Alexander Weis (links) und Gerd Kommer vom Finanzdienstleister Gerd Kommer Invest sind nicht der Meinung, dass Anleger sich mit einem regelrechten Notstand auseinandersetzen müssen
Alexander Weis (links) und Gerd Kommer vom Finanzdienstleister Gerd Kommer Invest sind nicht der Meinung, dass Anleger sich mit einem regelrechten Notstand auseinandersetzen müssen | Foto: Gerd Kommer Invest

Seit etwa vier Jahren ist in Deutschland der Begriff des „Anlagenotstands“ bei zinstragenden Anlagen ein prominenter Teil der Debatte rund um Vermögensbildung bei Privathaushalten. Dabei heißt es vielfach, der „einfache Sparer“ werde durch die Niedrigzinspolitik der EZB „regelrecht enteignet“, denn die Zinsen für risikoarme kurzfristige Staatsanleihen oder Spareinlagen lägen in Deutschland seit etwa 2013 nahe null oder seien sogar negativ. Sparen lohne sich nicht mehr und man müsse in Zeiten des Nullzinses auf „andere sichere“ Anlagen mit höheren laufenden Erträgen ausweichen. Auch manche institutionellen Investoren beschweren sich laut und die Versicherungsbranche sieht sich gar als Opfer einer „verhängnisvollen Zinspolitik der EZB“, so Nikolaus von Bomhard, Vorstandsvorsitzender der Münchner Rück.

In diesem Artikel soll nicht über Sinn oder Unsinn der Geld- und Zinspolitik der EZB und anderen Zentralbanken spekuliert werden. Wir wollen lediglich die allgegenwärtige Klage über den „Anlagenotstand“ und die „Nullzinsen“ bei Geldmarktanlagen einer nüchternen Prüfung unterziehen. Das Ergebnis dieser Prüfung können wir vorwegnehmen: Keiner der gängigen Belege für den behaupteten Anlagenotstand hält einer kritischen Überprüfung stand, ebenso wenig wie die daraus typischerweise abgeleiteten „Umschichtungsempfehlungen“. Wer objektiv analysiert und richtig rechnet, müsste erkennen, müsste erkennen, dass der allseits bejammerte Anlagenotstand in Bezug auf risikoarme zinstragende Investments weitgehend herbeikonstruiert ist. Das versuchen wir anhand von fünf Argumenten darzulegen.

Argument 1 – Die Historie

Sparzinsen bzw. Geldmarktrenditen kann man letztlich mit dem gleichsetzen, was in der Wissenschaft als „risikofreier Zinssatz“ oder „risikofreie Rendite“ [1] bezeichnet wird. Produktmäßig handelt es sich dabei um „Sparbucheinlagen“ (soweit sie von einem Staat hoher Bonität garantiert werden) oder kurzfristige Staatsanleihen – jeweils ohne Währungsrisiko. Die Krux dabei: Diese risikofreie Rendite lag de facto – wenn man korrekt rechnet und nicht selektiv bestimmte Zeiträume oder Länder herauspickt – schon immer, also nicht nur in den letzten fünf Jahren, nahe bei null oder sogar darunter. Die nachfolgende Tabelle illustriert diesen Sachverhalt am Beispiel von neun Staaten.

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Nominale Rendite vor Kosten, vor Steuern

Rendite nach Inflation, vor Kosten, vor Steuern

Rendite nach Inflation, nach Steuern, nach Kosten

Schwere WK-Einwirkungen auf eigenem Territorium

Schweden

5,2%

1,8% p.a.

0,0% p.a.

---

Schweiz

2,9%

0,8% p.a.

–0,3% p.a.

---

USA

3,7%

0,8% p.a.

–0,5% p.a.

---

Großbritannien

4,7%

1,0% p.a.

–0,6% p.a.

----

Niederlande

3,4%

0,5% p.a.

–0,7% p.a.

---

Deutschland

2,1%

–2,4% p.a.

–3,2% p.a.

Ja

Japan

4,7%

–1,8% p.a.

–3,4% p.a.

Ja

Frankreich

4,6%

–2,1% p.a.

–3,7% p.a.

Ja

Österreich

3,6%

–7,9% p.a.

–9,2% p.a.

Ja

          Einfacher Ø (1)

4,0%

1,0% p.a.

–0,4% p.a.

 

          Einfacher Ø (2)

3,9%

–1,0% p.a.

–2,4% p.a.

 

Die angegebenen Renditen sind geometrische annualisierte Durchschnitte. /// „WK“ bezieht sich auf die beiden Weltkriege. Diese haben in den in der rechten Spalte mit „Ja“ gekennzeichneten vier Ländern zu ganz besonders schwerwiegenden Zerstörungen des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks, der Staatsfinanzen und des Währungssystems geführt, weswegen in diesen Ländern die realen Geldmarktzinsen im Durchschnitt der letzten 118 Jahre extrem niedrig bzw. negativ waren. /// Steuern: Pauschaler Steuersatz von 30% auf die Nominalrendite unterstellt. /// Kosten: Fixe Kostenbelastung von 0,2% p. a. angenommen. /// Quelle der Rohdaten (Spalten 2 und 3): Dimson, Marsh, Staunton: „Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2018“, Februar 2018. Zahlen in Spalte 4 von der Gerd Kommer Invest GmbH berechnet. /// (1) Einfacher Durchschnitt der fünf Länder ohne „Ja“ in der rechten Spalte. /// (2) Einfacher Durchschnitt aller neun Länder.

Die Tabelle zeigt, dass die Renditen der risikofreien Anlage im langfristigen Durchschnitt letztlich seit vielen Jahrzehnten nahe null oder sogar negativ waren, vorausgesetzt man berücksichtigt Inflation, Steuern und Kosten und vorausgesetzt man betreibt kein Data Mining, pickt also nicht bestimmte Länder oder Zeiträume gezielt heraus, um spezifische Ergebnisse zu zeigen, wie es die Finanzbranche und die meisten Finanzmedien leider ständig tun.[2] Die Durchschnittswerte in der zweituntersten Zeile der Tabelle schließen die möglichen Sonderfälle Deutschland, Japan, Frankreich und Österreich nicht mit ein. Bei ihnen sind die nationalen Zahlen durch Staatskonkurse und Währungskrisen, die mit dem Ersten- und Zweiten Weltkrieg zusammenhingen, möglicherweise nach unten „verzerrt“. Aber auch ohne diese vier „Sonderfälle“ sind die internationalen Durchschnittswerte in der dritten und vierten Spalte sehr niedrig bzw. negativ (1,0% und –0,4%). Dass einzelne Zeitfenster in diesen 118 Jahren in jedem der neun gezeigten Länder über den in der Tabelle gezeigten Werten lagen, ist insofern irrelevant, als dass jedem solchen überdurchschnittlichen Zeitfenster ein schlechteres unterdurchschnittliches gegenüberstand.

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