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„Mittelfristig sind höhere Löhne nicht schlecht für die Aktienmärkte“

Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assénagon
Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assénagon
Droht jetzt die Lohnpolitik zu einer Gefahr für die Konjunktur zu werden? Die IG Metall hat angekündigt, dass sie sich bei den anstehenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie an den Abschlüssen orientieren will, die im öffentlichen Dienst vereinbart wurden. Dort stiegen die Löhne und Gehälter um satte 6,5 Prozent. So hohe Lohnsteigerungen hat es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben.

Halb so schlimm

Zunächst muss man die Kirche im Dorf lassen. So hoch, wie es auf den ersten Blick aussieht, sind die Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst nicht. Der Abschluss gilt nämlich nicht für ein Jahr (wie die Gewerkschaft gefordert hatte), sondern für zwei. In diesem Jahr werden sich die Kosten der Kommunen um knapp 3 Prozent erhöhen, im nächsten Jahr um etwas mehr als 2 Prozent. Das ist schon erträglicher.

Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen muss man – wenn Abschlüsse in dieser Höhe in der Metall- und Elektroindustrie zustande kämen – nicht befürchten. Die Lohnzuwächse dürften durch entsprechende Produktivitäts- und Preissteigerungen kompensiert werden.

Ganz abgesehen davon profitiert die deutsche Industrie von dem immer noch günstigen Wechselkurs. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich der reale Wechselkurs (entspricht der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie) gegenüber anderen Industrieländern um 2 Prozent erhöht.

Gefahren für die Preise ergeben sich daraus ebenfalls nicht. Schon gar nicht kann man von Zweitrundeneffekten nach der starken Ölpreiserhöhung sprechen. Es wäre daher auch abwegig, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) auf solche lohnpolitische Vereinbarungen mit einem restriktiveren Kurs reagieren würde.

Im Übrigen kann sich die EZB nicht an den Lohnsteigerungen in einem Mitgliedsland orientieren. Sie muss den gesamten Euroraum im Blick haben und hier ist die Geldentwertung immer noch höher als in Deutschland.

Ungefährdeter Schuldenabbau

Was die viel diskutierten negativen Effekte der Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst auf die nötige finanzpolitische Konsolidierung betrifft, so sollte man auch hier nicht übertreiben.

Es gibt auch im öffentlichen Dienst Produktivitätssteigerungen durch Rationalisierungen und den Einsatz moderner Techniken. Die Gebühren
der Gemeinden werden regelmäßig angehoben. Wenn die Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden in den vergangenen Jahren in Deutschland nicht stärker zurückgegangen ist, dann liegt das nicht an zu hohen Löhnen, sondern an unzureichenden Konsolidierungsanstrengungen der Finanzminister.

An sich müsste Deutschland heute einen ausgeglichenen oder gar einen überschüssigen Haushalt aufweisen. Nach der keynesianischen Lehre muss der Staat in Rezessionen (wie 2009) ein Defizit fahren, im Aufschwung aber (spätestens 2011) einen entsprechenden Überschuss. Nur so lässt sich über den Zyklus hinweg ein ausgeglichener Haushalt erreichen. Das ist auch so in der neuen Schuldenbremse vorgesehen.

Aus meiner Sicht gibt die Lohnpolitik daher derzeit keinen Grund zur Sorge. Die reale Wirtschaftsleistung wird in diesem Jahr um knapp ein Prozent steigen (im nächsten Jahr etwas mehr). Die Preise werden sich insgesamt um 2 Prozent erhöhen. Das ergibt einen Verteilungsspielraum von rund 3 Prozent. Die Ausnutzung des Verteilungsspielraums ist erforderlich, um den Konsum zu stärken und eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu fördern.
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