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„WTI-Rohöl hat seinen Status als globale Referenz verloren“

Tom Wede (links) und Axel-Adrian Roestel
Tom Wede (links) und Axel-Adrian Roestel
Tom Wede, Geschäftsführer bei Berenberg Lux Invest, und Axel-Adrian Roestel, Fondsmanager

Erdöl ist kein homogenes Produkt. Weltweit existieren über 270 Ölsorten, die sich vor allem anhand von Schweregrad und Säuregehalt unterscheiden. Vereinfacht gilt: je leichter und je geringer der Schwefelgehalt, desto beliebter und teurer ist ein Rohöl, denn es lässt sich kostengünstiger und zu höheren Teilen zu Benzin und Diesel verarbeiten.

In den letzten Dekaden haben sich zwei leichte, schwefelarme (süße) Ölsorten, als Qualitätsmaßstäbe durchgesetzt: das amerikanische West Texas Intermediate (WTI) und das in der Nordsee geförderte Brent-Öl. Über Jahrzehnte hinweg bewegte sich die stark beachtete und rege gehandelte Preisdifferenz zwischen den Referenzsorten trendlos in wohldefinierten Grenzen. 2003 änderte sich das Bild: die Schwankungsbreite und -intensität der bis dato stabilen Beziehung nahm deutlich zu.

Ein fundamentaler Bruch lässt sich Mitte 2010 mit einem Trend zur kräftigen Ausweitung erkennen. Zuletzt wurde Brent-Öl mit rekordhohen Aufschlägen gegenüber WTI gehandelt. Einst gültige Korrelationen scheinen außer Kraft gesetzt (vgl. Chart 1).

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Wir wollen die Hintergründe dieser Entwicklung und die Einflussfaktoren auf die Preisdifferenz der beiden weltweit wichtigsten Ölsorten beleuchten und die Frage diskutieren, ob es sich bei dieser jüngsten Phase um ein temporäres Phänomen handelt oder WTI seinen Status als akkurates Barometer für die weltweiten Ölpreise endgültig verloren hat.

Der Siegeszug von West Texas Intermediate begann vor fast 100 Jahren. Im März 1912 wurde im Ort Cushing in Oklahoma ein gigantisches Ölfeld entdeckt, das während des ersten Weltkriegs für 17 Prozent der US-Ölförderung und 3 Prozent der weltweiten Produktion stand. Die Ergiebigkeit des Ölfelds nahm rasch ab und Ende der 1970er Jahre war vom Glanz früherer Zeit nur noch ein Geflecht aus Pipelines und Öltanks geblieben.

Diese exzellente Infrastruktur gab 1983 den Ausschlag für die Wahl Cushings als Lieferort des Futures-Kontrakts der New Yorker Warenterminbörse auf leichtes, süßes Rohöl und begründete den Wiederaufstieg des Orts. Die Infrastruktur zur Ölverteilung, genauer die Transportwege und Lagermöglichkeiten, begründen essentielle Unterschiede der beiden Ölsorten.

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