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Märkte zittern vor Rezession

An den internationalen Aktienmärkten geht die Rezessionsangst um. In den vergangenen Tagen haben die Kurse weltweit kräftig nachgegeben. Der DAX ist regelrecht in die Knie gegangen und hat seit Freitag vergangener Woche mehr als 10 Prozent verloren. Sollten sich die Kurse heute stabilisieren (durch einen hoffentlich zufriedenstellenden US-Arbeitsmarktbericht), wäre dies noch immer der stärkste wöchentliche Rückgang seit November 2008. Angesichts der aufgekommenen Rezessionsängste wird im Folgenden die Weltwirtschaft näher analysiert, um Orientierung und Ausblick zu geben. 1.Die jüngste Verschlechterung der Unternehmensstimmung weltweit ist nicht primär Reflex der Schuldenkrise in den USA und Europa. Die treibende Kraft ist vielmehr die nachlassende Dynamik aus den Schwellenländern. Auch ohne Schuldenkrise wäre es zu einer Abkühlung der Weltwirtschaft gekommen.

Angesichts der zeitlichen Koinzidenz zwischen dem sich eintrübenden Unternehmensvertrauen und der Eskalation der Schuldenkrise scheint auf den ersten Blick ein unmittelbarer Zusammenhang zu bestehen. Dem ist aber nicht so. Die eigentliche Ursache für die zuletzt weltweit rückläufigen Frühindikatoren ist eine schrittweise Wachstumsverlangsamung in den Schwellenländern, die zunehmend auf die Industriestaaten ausstrahlt. Bereits seit dem Kollaps von Lehman Brothers im Herbst 2008 ist der laufende Konjunkturzyklus ein Unikum und weicht von dem ab, was sich in der Vergangenheit beobachten ließ. Schrittmacher für die Weltwirtschaft war dieses Mal insbesondere China und nicht so sehr die USA. Dies galt im Aufschwung und macht sich jetzt auch in der Phase konjunktureller Verlangsamung bemerkbar. Veranschaulichen lässt sich die nachlassende Dynamik in den Schwellenländern anhand der jüngsten Einkaufsmanagerindizes (PMI). Von den BRIC-Staaten befindet sich lediglich der indische PMI noch deutlich über der Expansionsschwelle von 50 (vgl. Grafik). Aber auch hier ist die Tendenz klar rückläufig. In Brasilien und Russland wurden bereits Werte unter 50 erreicht. 2. Auslöser der Abschwächung in den Schwellenländern sind die höheren Nahrungsmittelpreise und die dadurch ausgelösten Zinserhöhungen der Zentralbanken. Das QE2 von Ben Bernanke fordert damit seinen (hohen) Tribut.

Nahrungsmittel machen in den Schwellenländern einen wesentlich höheren Anteil an den gesamten Verbraucherausgaben aus als in den Industriestaaten. In China sind es rund 30 Prozent, in Indien sogar knapp 50 Prozent (Deutschland: etwas weniger als 10 Prozent). Ende August 2010 kündigte Bernanke QE2 in Jackson Hole an. Aus Inflationsangst und auf der Suche nach Rendite investierten Anleger daraufhin noch stärker als zuvor in Rohstoffen. Die Folge: Bis zum Abschluss von QE2 im Juni 2011 verteuerten sich Nahrungsmittel enorm. Der von der UN-Organisation FAO erhobene Preisindex legte in diesem Zeitraum um knapp 30 Prozent zu (vgl. Grafik). Neben starken Kaufkraftverlusten wurde auch die Geldpolitik in den Schwellenländern weiter gestrafft, um Zweitrundeneffekte bei der Inflation möglichst im Zaum zu halten. Mit der "klassischen" Zeitverzögerung von einigen Monaten haben sich die Zinserhöhungen dort zusehends in einer Verlangsamung der Konjunktur bemerkbar gemacht. Auch dies ist ein Unikum: Während die Leitzinsen in den Industriestaaten nur wenig oder gar nicht angehoben wurden, sind viele Schwellenländer ein bis zwei Schritte im Zinszyklus voraus. 3. Die Wachstumsschwäche in den USA resultiert aus einer Mischung von zyklischen und strukturellen Faktoren. Historische Konjunkturmuster legen mittlerweile eine Rezessionswahrscheinlichkeit von knapp 50% nahe. Sonderfaktoren werden allerdings in den nächsten Quartalen eine Rezession verhindern helfen.

Ende vergangener Woche fielen nicht nur die BIP-Zahlen für das zweite Quartal (+1,3 Prozent) überraschend schwach aus. Auch der Zuwachs in Q1 wurde deutlich nach unten revidiert und beträgt jetzt nur noch 0,4 Prozent. Diese Zahl birgt durchaus Sprengkraft, werden vergangene Konjunkturzyklen in den USA auf die Zukunft übertragen. Einer neuen Untersuchung der Federal Reserve vom April 2011 zufolge impliziert dies eine Rezessionswahrscheinlichkeit von 48 Prozent. Ausgangspunkt ist das Vorliegen einer Art "Grundgeschwindigkeit", mit der die USA wachsen müssen, um einer Rezession zu entgehen. Fällt die Dynamik zu gering aus und wird ein Schwellenwert unterschritten, ergeben sich selbstverstärkende negative Effekte. Vorstellbar wäre etwa, dass Unternehmen und Verbraucher vorsichtiger werden. Investitionen und Konsum werden aufgeschoben, da eine Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds und eine steigende Arbeitslosigkeit befürchtet werden. Diese Erwartungen erfüllen sich deshalb nahezu zwangsläufig: Die Rezession tritt ein. Der Studie der Federal Reserve zufolge sind solche negativen Multiplikatoreffekte in der Vergangenheit zumindest teilweise aufgetreten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es insgesamt 25 Quartale (Rezessionsphasen nicht mit eingerechnet), in denen das annualisierte Wachstum gegenüber Vorquartal unter die Marke von 1 Prozent fiel. In zwölf Fällen führte dies dann innerhalb der folgenden vier Quartale zu einer Rezession. Neben dieser historischen Erfahrung ließe sich auch anführen, dass die USA enorme strukturelle Probleme haben. Der Immobilienmarkt ist weggebrochen, ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell existiert nicht. Die Abhängigkeit von den privaten Verbraucherausgaben ist unverändert zu hoch. Der Anteil der vom Verarbeitenden Gewerbe stammenden Wertschöpfung ist mit gut 10 Prozent zu gering. Damit ist klar: Die Aussichten für die USA sind alles andere als rosig. Nach unserer Einschätzung wird sich eine Rezession jedoch vermeiden lassen (auch wenn es dabei eng hergehen könnte und erhebliche Abwärtsrisiken bestehen). Dafür sehen wir vor allem drei Gründe. Erstens: Die amerikanischen Autobauer waren überproportional stark von den Lieferunterbrechungen im Zuge der Katastrophe in Japan betroffen. Mittlerweile hat allerdings eine Gegenbewegung eingesetzt, die sich fortsetzen sollte. Im Juli wurden immerhin schon 7 Prozent mehr Autos verkauft als im Vormonat. Klar ist: Das ist ein Sondereffekt, der auch nur vorübergehend wirkt. Er hilft aber in der zweiten Jahreshälfte.

Zweitens: Der Ölpreis ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Für amerikanische Privathaushalte resultiert daraus ein Kaufkraftgewinn. Drittens: Die im Schuldenkompromiss vorgesehenen Sparmaßnahmen greifen vor allem nach der Präsidentschaftswahl ab 2013. Die konjunkturellen Belastungen sind damit zwar vorhanden, sollten aber in ihrer kurzfristigen Wirkung nicht überschätzt werden. 4. Die konjunkturelle Verlangsamung der Weltwirtschaft wird in den nächsten Monaten noch mehr an Wucht entfalten. Es wird ungemütlich. Die exportorientierten deutschen Unternehmen werden davon zwangsläufig betroffen sein. Die sehr hohen Auftragsbestände federn dies aber zunächst ab (Airbag).

Die Anfang dieser Woche veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes zeigen, dass die aus den Schwellenländern kommende Schwäche zusehends auf die Industriestaaten übergesprungen ist. Mittlerweile handelt es sich um eine synchron verlaufende konjunkturelle Eintrübung über Länder und Regionen hinweg. Die negative Wirkung wird dadurch verstärkt. Eine schnelle Trendwende der Frühindikatoren ist unwahrscheinlich. Faktisch hat die Verlangsamung jetzt erst so richtig angefangen. Die deutschen Unternehmen geben dies auch in Umfragen wider. Werden die vom Ifo-Institut erhobenen Werte zugrunde gelegt, befinden sich die Exporterwartungen im Verarbeitenden Gewerbe bereits wieder auf ihrem langfristigen Durchschnitt. Der Höhenflug ist erst einmal vorbei; die Aussichten werden aller Voraussicht nach weiter nach unten geschraubt. Gleichzeitig geben die Unternehmen unverändert hohe Bestände an Aufträgen an, die sie in den vergangenen Monaten einsammeln konnten. Unseren Berechnungen zufolge lagen etwa die Auftragsbestände im Autosektor zuletzt 1¾ Standardabweichungen über ihrem langfristigen Durchschnitt. Auch in anderen Branchen wie der Elektrotechnik und Chemie sind ähnlich hohe Niveaus zu verzeichnen. Im globalen Abschwung ist das Gold wert, werden dadurch zunächst weitere Produktionszuwächse ermöglicht, selbst wenn Neuaufträge ausbleiben. Sollte sich allerdings die Weltwirtschaft mittelfristig nicht zumindest stabilisieren, wird es dann auch für die deutschen Unternehmen ungemütlich. 5. Wirtschaftspolitische Fehler in Form eines übertriebenen Aktionismus könnten die konjunkturelle Verlangsamung der Weltwirtschaft noch beschleunigen. Vor allem die amerikanische Notenbank (QE3) stellt hier eine Gefahrenquelle dar. Nationale Alleingänge auf Kosten anderer sollten unbedingt unterbleiben.

Nicht nur die Finanzmärkte sind hypernervös, sondern mittlerweile auch ganz offensichtlich wirtschaftspolitische Entscheidungsträger. Die jüngsten Beispiele sind die Schweiz und Japan diese Woche, die durch unilaterale Maßnahmen gegen die Aufwertung ihrer Währung kämpfen. Die Gefahr: Sollte die Federal Reserve QE3 starten, dürften weitere Währungen gegenüber dem US-Dollar unter Aufwärtsdruck geraten. Um Aufwertungen in dieser konjunkturell schwierigen Situation zu verhindern, könnten gerade Schwellenländer rasch zu Kapitalverkehrskontrollen greifen. Die Folge (Worst Case) wäre ein (Finanz-) Protektionismus, der auch rasch die internationalen Güterströme erfassen könnte. Bereits im November vergangenen Jahres war zu beobachten, wie rasch es zu internationalen Spannungen kommen kann – und dies obwohl die globale Konjunktur zum damaligen Zeitpunkt noch rund lief. Im November 2010 hatte Präsident Obama von China und Deutschland verlangt, ihre Exportüberschüsse zu reduzieren. Im Gegenzug warnte Bundeskanzlerin Merkel vor zuviel Liquidität durch QE2 und dem Entstehen von Preisblasen an den Rohstoff- und Finanzmärkten. Fazit: Harte Zeiten!

Eine Abschwächung der Weltwirtschaft ist unterwegs. Mit einer Zeitverzögerung von wenigen Monaten wird die schlechtere Unternehmensstimmung in den harten Zahlen ankommen. Der Soft Patch ist damit jetzt schon faktisch Realität. Aufgrund der zusehends synchron verlaufenden Eintrübung der Frühindikatoren ergeben sich selbstverstärkende Effekte und dadurch erhebliche Abwärtsrisiken für die Konjunktur weltweit. Auch wenn die Schuldenkrise nicht der eigentliche Auslöser war: Sie ist in diesem Umfeld alles andere als "hilfreich". Durch eine weitere Stimmungseintrübung an den Finanzmärkten und im Unternehmenssektor könnte sich ein gefährlicher Cocktail aus zyklischer Verlangsamung und negativen psychologischen Faktoren ergeben. Die exportorientierten Unternehmen müssen sich deshalb auf harte Zeiten einstellen und mit ihnen auch die globalen Aktienmärkte. Die deutschen Unternehmen verfügen über einen Trumpf, den sie jetzt aus dem Ärmel ziehen können: die sehr hohen Auftragsbestände. An eine globale Rezession glauben wir nicht, auch nicht in den USA trotz aller Abwärtsrisiken. Auch wenn die Schwellenländer ein bis zwei Konjunkturgänge zurückschalten: An dem strukturellen Nachholbedarf und dem langfristig positiven Ausblick ändert dies nichts. Nach sehr starken Steigerungsraten haben sich die Nahrungsmittelpreise zuletzt stabilisiert. Sind die Auswirkungen des Kaufkraftverlusts und der Zinserhöhungen erst einmal ausgestanden, gibt es wieder Licht am Ende des Tunnels. Ähnlich wie nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers sind die Industrieländer damit wieder auf China & Co. angewiesen.

 

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