Nigeria: Eine Beschreibung aus Anlegersicht
Sicherheit in Zeiten von Boko-Haram
Obwohl es das größte Land Westafrikas ist, hat Nigeria mit etwa 70.000 Soldaten eine relativ kleine Streitmacht im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl. Neben der Beteiligung an UN- und anderen Missionen in der Region sind die Hauptaufgaben des Militärs die Befriedung des Nigerdeltas und der militanten Boko-Haram-Anhänger.
Der Kampf gegen gewalttätige Islamisten stellt die wohl schwerste Herausforderung dar. Seit 2001 kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen in den Bundesstaaten östlich der Hauptstadt Abuja. Diese Konflikte haben bereits Tausende von Todesopfern gefordert. Die Bemühungen um die Einführung der Scharia in den nördlichen Bundesstaaten haben in der Vergangenheit zu gewalttätigen Demonstrationen von Nicht-Muslimen geführt.
Die militante, islamistische Boko-Haram-Gruppierung sorgt mit Attentaten und aggressivem Verhalten für Unruhe. Die für das Land so wichtigen Ölexporte wurden mehrmals durch Konflikte im Nigerdelta gestört, wo Ölvorräte von Gruppierungen wie der „Bewegung für die Unabhängigkeit des Nigerdeltas“ gestohlen wurden.
Durch ein Amnestieprogramm konnte zwar eine Verminderung dieser Vorfälle erreicht werden, aber die Gefahr der Instabilität bleibt nach wie vor bestehen. Nigeria umfasst 36 Bundesstaaten, was zusätzlich zu den ethnischen und religiösen Unterschieden auch für schwerwiegende politische Differenzen sorgt. In der Vergangenheit gab es verschiedene Sezessionsbestrebungen, wie zum Beispiel den tragischen Biafra-Krieg von 1967 bis 1970, in dem sich die südöstlichen Provinzen des Landes als eigenständige Republik Biafra abspalten wollten.
Sicherheit ist nach wie vor ein wichtiger Faktor für unternehmerische Aktivitäten in Nigeria, insbesondere für ausländische Investoren. Besonders hoch ist das Risiko in den Regionen im Norden und im Nigerdelta.
Die Bedrohung geht hauptsächlich von militanten islamistischen Gruppierungen wie Boko Haram aus, die ihre Angriffe gegen Sicherheitskräfte, religiöse Einrichtungen, Telekommunikationsanlagen und die staatliche Infrastruktur richten.
Auch Entführungen sind eine reale Gefahr. Durch die weit verbreitete Vetternwirtschaft stellt auch Korruption nach wie vor ein großes Problem dar. Die Politiker sind sich daher bewusst, wie wichtig es ist, ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen den unterschiedlichen Regionen zu wahren.
In der Südspitze des Landes, wo die größten Ölvorkommen beheimatet sind, gibt es keine vorherrschende ethnische Gruppe. Allerdings wurde 2011 mit der Wahl des aus dem Nigerdelta stammenden Goodluck Jonathan zum Präsidenten ein symbolischer Sieg für die Region errungen.
Wirtschaftsleistung steht und fällt mit dem Ölpreis
Als 1999 die erste Zivilregierung gewählt wurde, befand sich das Land in einer tiefen Finanzkrise mit einem Haushaltsdefizit von rund 3 Milliarden. US-Dollar, niedrigen Devisenreserven und einer Auslandsverschuldung in Höhe von 80 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Der wirtschaftliche Abschwung während des Militärregimes hatte eine dramatische Verschlechterung der Infrastruktur und der Sozialeinrichtungen zur Folge. Dies wirkte sich natürlich auf alle Wirtschaftsbereiche aus, so dass zwei Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebten.
Der Ölpreisboom brachte endlich Erleichterung und spülte nach 2002 Geld in die leeren Kassen des Landes. 2006 lag das BIP-Wachstum bei 6 Prozent. Die Wirtschaft reagierte jedoch empfindlich auf Ölpreisschwankungen, und als der Ölpreis 2008 von 150 US-Dollar auf 50 US-Dollar fiel, wurde das Land schwer getroffen.
Mit dem erneuten Erstarken des Ölpreises setzte auch der konjunkturelle Aufschwung wieder ein. Dennoch bleibt die Abhängigkeit vom Erdöl eine Schwachstelle der nigerianischen Wirtschaft. Derzeit werden 95 Prozent aller Deviseneinnahmen durch die Erdöl- und Gasindustrie generiert. Das erste Öl wurde im flachen Nigerdelta entdeckt, doch inzwischen wurden auch Vorkommen in den tieferen Wassern des Golfs von Guinea ausgemacht.
Subventionierter Treibstoffschmuggel
Eines der Hauptprobleme sind die staatlichen Subventionen für raffinierte Erdölprodukte, die dazu geführt haben, dass subventionierter Treibstoff in großem Stil außer Landes geschmuggelt und dort zu Marktpreisen verkauft wird. 2012 hat die Regierung das Subventionsprogramm jedoch um die Hälfte reduziert und beabsichtigt, es in naher Zukunft ganz einzustellen.
Diese Maßnahme sollte den Treibstoffschmuggel bis zu einem gewissen Grad eindämmen. Neben der illegalen Ausfuhr raffinierter Erdölprodukte ist auch der direkte Schmuggel von Rohöl ein ernsthaftes Problem. Schätzungen zufolge werden etwa 10 Prozent der Gesamtproduktion gestohlen. Bei der aktuellen täglichen Fördermenge von etwa 2,1 Millionen Barrel, also rund 700 Millionen Barrel pro Jahr, ergibt das eine Summe von 70 Millionen. Barrel pro Jahr.
Wirtschaftswachstum ohne Infrastruktur
In den zehn Jahren von 2001 bis 2010 war Nigeria die am viertschnellsten wachsende Wirtschaft weltweit mit einer jährlichen Wachstumsrate von 8,9 Prozent. Obwohl das BIP-Wachstum sich inzwischen verlangsamt hat, verzeichnet die Konjunktur nach wie vor einen soliden Anstieg, der das Wachstum in den Industrieländern bei Weitem übertrifft. 2011 und 2012 wuchs das BIP um 7,5 Prozent bzw. 6,7 Prozent im direkten Jahresvergleich. Für dieses Jahr wurde ein Anstieg von 6,8 Prozent prognostiziert.
Das Land hatte in der Vergangenheit immer wieder mit hohen Inflationsraten zu kämpfen, die in manchen Jahren zweistellige Werte erreichten. Zuletzt tendierte die Inflation jedoch nach unten, und für das laufende Jahr werden erneut Werte im einstelligen Bereich erwartet. Diese Zahlen stellen eine deutliche Verbesserung gegenüber den 1990er Jahren dar, als die Inflation über 50 Prozent kletterte – im Jahr 1995 erreichte der Wert sogar 70 Prozent. Angesichts der Rückkehr zu einstelligen Inflationsraten dürfte die Zentralbank des Landes in der Lage sein, die Benchmarkzinsen zu senken, die seit Ende 2011 bei vergleichsweise hohen 12 Prozent liegen.
Der kritische Mangel an Infrastruktur erlaubt es dem Land derzeit nicht, seine umfangreichen Rohstoffvorkommen auszubeuten. Während einer Reise nach Lagos blieben wir in einem Hotelaufzug stecken, als bei einem Stromausfall der Notstromgenerator nicht rechtzeitig ansprang. Infolge der Unzuverlässigkeit der öffentlichen Stromversorgung benötigen nahezu alle Hotels und Unternehmen ihren eigenen Benzin- oder Dieselgenerator.