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Makroperspektiven von Pimco „Wir müssen uns zwingen, das Unvorstellbare zu denken“

Joachim Fels, Geschäftsführer und Global Economic Advisor bei Pimco
Joachim Fels, Geschäftsführer und Global Economic Advisor bei Pimco
Lord Mervyn King, früherer Gouverneur der Bank of England, sagte einst, dass radikale Unsicherheit beherrschend ist und die fehlende Fähigkeit des Begreifens der Zukunft bedeutet, dass die von Volkswirten, Zentralbanken und Anlegern für Prognosezwecke genutzten Wahrscheinlichkeitsmodelle zum Scheitern verurteilt sind.

Diese Aussage ist wirklich bemerkenswert, da sie von einem früheren Zentralbankvertreter stammt, der den Weg für Inflationsprognosen mit starker Abhängigkeit von Konjunkturprognosen bereitete.

Die Finanzkrise des Jahres 2008 und die ungewöhnliche, seitdem herrschende Normalität des gesamtwirtschaftlichen Umfelds führten zu einem Meinungswandel Kings und einem Bruch mit dem konventionellen Ansatz, den er durch eine neue Theorie ablöste. Unter Volkswirten und Zentralbankvertretern ist dies sehr selten.

Radikale Unsicherheit: Ein altes Konzept

Wie King selbst bemerkte, ist das Konzept der radikalen Unsicherheit nicht ganz neu. In der Vergangenheit bezeichneten die Volkswirte diesen Ansatz als „Knightsche Unsicherheit“, benannt nach Professor Frank H. Knight der University of Chicago. In seinem Buch „Risk, Uncertainty and Profit“ aus dem Jahr 1921 unterschied Knight zwischen Risiko, das durch Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten auf Basis von Erfahrungswerten und statistische Analysen quantifizierbar ist, und der Unsicherheit, die im Prinzip nicht messbar ist und eine nicht kalkulierbare Unbekannte darstellt.

Obwohl das Konzept der Knightschen Unsicherheit in der Volkswirtschaft existierte und auch von John Keynes in seinem 1936 erschienenen Buch „The General Theory of Employment, Interest and Money“ diskutiert wurde, geriet es in Vergessenheit. Jüngere Volkswirte waren stärker daran interessiert, ihr Fachgebiet zu formalisieren und präzise Modelle der Wirtschaft auf Grundlage der Idee zu erstellen, dass wir künftigen Ereignissen und Ergebnissen aufgrund von Beobachtungen der Vergangenheit Wahrscheinlichkeiten zuweisen können.

Wie sollten sich nun Analysten, Zentralbankvertreter und Anleger angesichts der Unsicherheit verhalten?

1. Überraschungen einkalkulieren

Erstens sind Marktprognosen auf Basis von statistischen oder ökonometrischen Modellen noch immer sinnvoll. Sie basieren jedoch oft auf der vergessenen Annahme der strukturellen Stabilität. Systemveränderungen und strukturelle Brüche treten häufiger auf als viele Menschen glauben. Daher ist es wichtig, über die Verwendung von Modellen hinausgehend in Szenarien zu denken. Wir brauchen „Was wäre wenn“-Analysen“ und müssen unvorstellbare Szenarien denken. Dabei handelt es sich um Trends oder Schocks, die auf Basis statistischer Analysen höchst unwahrscheinlich sind, weil es hierfür keine Präzedenzfälle gibt.

Leider mussten die Finanzmärkte erst die globale Krise des Jahres 2008 erleben, bevor Lord Mervyn King und andere Volkswirte die Idee wiederentdeckten, dass viele künftige Ereignisse heutzutage einfach nicht vorhersehbar sind und daher nicht in Wirtschaftsmodellen erfasst werden können.

Man kann sich selbstverständlich darüber streiten, ob man so weit wie King gehen muss und die radikale Unsicherheit als so beherrschend bezeichnen möchte, dass alle Prognosen sinnlos sind. Meiner Ansicht nach können wir über kürzere Zeithorizonte hinweg davon ausgehen, dass wir uns in einer stabilen Phase befinden, in der die Erkenntnisse über die Entwicklung vergangener Ereignisse zur Prognose der Zukunft beitragen. Wir müssen uns aber stets bewusst sein, dass die reale Welt bei Weitem nicht stabil oder stationär ist. Laut King „geschehen Dinge, die zu starken Systemveränderungen führen, wodurch alte empirische Beziehungen hinfällig werden.