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Pro & Contra China: Abschied aus dem Paradies oder Schlaraffenland für Value-Investoren?

Richard Titherington von J.P. Morgan (l.) und Andreas Rachor von Prisma
Richard Titherington von J.P. Morgan (l.) und Andreas Rachor von Prisma
Chinas Wirtschaft wächst 2014 voraussichtlich um 7,5 Prozent – bei kaum einem anderen Thema streiten Ökonomen verbissener darüber, ob die Flasche nun halbvoll oder halbleer ist. Verglichen mit Raten von 10, 11 oder sogar 13 Prozent, wie sie im vergangenen Jahrzehnt an der Tagesordnung waren, ist das zunächst natürlich enttäuschend. Aber: Welche andere große Volkswirtschaft kann mit vergleichbaren Zahlen aufwarten, und ist ein Wachstum von 7 Prozent nicht vielleicht sogar nachhaltiger als eines von 13 Prozent?

5-Jahres-Vergleich des MSCI China und des MSCI World



Quelle: Onvista.de

Mittlerweile tragen Dienstleistungen mit einem Anteil von fast 47 Prozent mehr zum Bruttoinlandsprodukt bei als die klassische Industrie, die China groß gemacht hat (44 Prozent). Das schafft neue Arbeitsplätze, birgt aber auch eine Menge sozialen Sprengstoff: Einstige Schwerpunkt-Branchen wie Ölförderung, Kohleabbau oder die Holzwirtschaft mit Millionen von Arbeitnehmern stehen nämlich vor drastischen Einbrüchen. Hinzu kommt die Furcht, dass die über Jahre hinweg aufgebaute Blase am chinesischen Immobilienmarkt über kurz oder lang platzen könnte. Kein einfaches Umfeld – das spiegelt auch die Börse wider: Der MSCI China tritt seit fünf Jahren mehr oder weniger auf der Stelle. Kein Wunder, dass viele Asien-Investoren diesem Markt momentan wenig Positives abgewinnen können. Andreas Rachor etwa, langjähriger Manager des Wertpapiervermögens der Software-AG-Stiftung und Berater des im April aufgelegten Prisma Asia Navigator, kauft Aktien derzeit viel lieber in den aufstrebenden Asean-Staaten als in Hongkong, Shenzhen oder Schanghai. Richard Titherington dagegen, Schwellenländer-Aktienchef bei JP Morgan Asset Management, verlegt sich ganz aufs Stockpicking und wird dabei angesichts der gesunkenen Bewertungen durchaus fündig. DER FONDS stellt beide Positionen gegenüber.



Pro: Richard Titherington, Manager des JP Morgan Emerging Markets Opportunities „Das Ausmaß der Verkaufswelle war nicht gerechtfertigt” „Pro China“ zu sein ist derzeit nicht sehr populär. Ging doch im Reich der Mitte das Wachstum des Bruttoinlandprodukts im abgelaufenen dritten Quartal auf 7,3 Prozent und damit auf das niedrigste Niveau seit 2009 zurück. Eine aktuelle Schwächephase ist also nicht von der Hand zu weisen. Dennoch zeugt diese Zahl auch von einer gewissen Robustheit. Schließlich fiel sie immer noch besser aus, als im Vorfeld erwartet worden war. Zumal eines nicht außer Acht zu lassen ist: Selbst wenn mit dieser jüngsten Rate die 7,5 Prozent, die von der chinesischen Führung als Ziel für das Gesamtjahr ausgegeben worden sind, um 0,2 Prozentpunkte unterschritten wurden, liegt das Wachstum Chinas immer noch weit über dem weltweiten Durchschnitt. Zum Vergleich: Für Deutschland gehen die Statistiker für das Gesamtjahr 2014 von einem Zuwachs von 1,5 Prozent aus, für Frankreich nur von 0,4 Prozent. Auch unter den Bric-Staaten ist China nach wie vor der Primus. So lauten die Prognosen für Brasilien und Russland auf jeweils 0,3 Prozent. Lediglich Indien kann mit 5,4 Prozent zumindest ansatzweise mit China mithalten. Als robust lässt sich Chinas wirtschaftliche Verfassung auch insofern werten, als andere aktuelle Indikatoren für die kommenden Monate zumindest ansatzweise Anlass zu verhaltenem Optimismus geben. Etwa die Industrieproduktion der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Diese Kennzahl ist im September um 8,0 Prozent gestiegen und damit um 0,5 Prozentpunkte mehr als erwartet. Die chinesische Konjunktur ist gekennzeichnet von schwankenden Exporten, einer abflauenden Binnennachfrage und einem schwachen Immobiliensektor, der sich im bisherigen Jahresverlauf eher holprig entwickelt hat. Das spiegelt die Börse nahezu eins zu eins wider. Nach einer Korrektur zu Beginn des Jahres und einem anschließenden mehrmonatigen Kursaufschwung notiert der MSCI-China-10/40-Index im Oktober nahezu auf demselben Niveau wie im Januar – unter dem Strich haben Börsianer zehn Monate ohne klare Tendenz gesehen.

Für Investoren bietet diese Gemengelage allerdings nicht die schlechteste Voraussetzung. Im Gegenteil: Value-Investoren mit entsprechenden Investmentprozessen finden in diesem Umfeld sogar höchst interessante Einstiegsgelegenheiten. Vor allem, nachdem die Bewertungen auf einem derart niedrigen Niveau angekommen sind. Interessant ist dabei, dass das generell enttäuschende Marktwachstum der Emerging Markets in den vorangegangenen Quartalen und die daraus abgeleiteten Sorgen um die weitere Entwicklung ganz speziell den chinesischen Markt in Mitleidenschaft gezogen haben. Und dass diese Sippenhaft sich bei einzelnen zyklischen Sektoren noch deutlicher in Form von überdurchschnittlich stark gefallenen Notierungen ausgewirkt hat. So unterstreichen wir umso mehr den Leitsatz: „Wir investieren in Unternehmen und nicht in Volkswirtschaften!“ Interessante Möglichkeiten sehen wir etwa bei den Autoherstellern, wo sich vor diesem Hintergrund gerade ähnlich gute Chancen ergeben wie bei ausgewählten chinesischen Banken und Versicherungen – und bei Casino-Betreibern aus Macao. Deren Aktien, die für einen großen Teil der Performance des vergangenen Jahres verantwortlich waren, sind im laufenden Jahr wegen negativer Schlagzeilen unter Druck geraten. Damit laden sie nun aber sogar zum Nachkaufen ein – denn bei aller negativer Nachrichtenlage dürfen Anleger nicht vergessen, dass die Dividendenrendite dieser Titel mittlerweile 5 Prozent beträgt.

Contra: Andreas Rachor, Berater des Prisma Asia Navigator „China steuert auf eine Deflation zu“ Noch weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit zeigen sich in der chinesischen Volkswirtschaft erste Tendenzen einer Deflation. Was dies für eine Volkswirtschaft bedeuten kann, sieht man an der Entwicklung in Japan in den vergangenen 20 Jahren. Im September sind die Produzentenpreise in China um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen, die Konsumentenpreise sind gegenüber dem Vorjahr nur noch leicht gestiegen. Die Tendenz ist auch hier klar abwärts gerichtet. China hat in den vergangenen Jahren in wichtigen industriellen Branchen zahlreiche neue Kapazitäten aufgebaut. Die Anlageinvestitionen sind im Schnitt jährlich um 20 Prozent gestiegen. Dies ist für eine Volkswirtschaft eigentlich ein gutes Zeichen. Allerdings hat der Kapazitätsaufbau inzwischen zu Überkapazitäten geführt, zum Beispiel bei Stahl und Zement. Die inländische Nachfrage ist nicht im gleichen Maße gestiegen. Die bestehenden Überkapazitäten führen dann zu den zuvor erwähnten fallenden Produzentenpreisen und folglich auch zu Gewinnrückgängen der Unternehmen aus diesen Branchen. Ein weiterer Negativpunkt: Auch in der für China sehr wichtigen Immobilienbranche geht es mittlerweile abwärts. Der Immobilienboom der vergangenen Jahre hat dazu geführt, dass zu viele neue Immobilienprojekte gestartet wurden und die Zahl der unverkauften Wohnungen mittlerweile einen zweistelligen Millionenbetrag erreicht hat. Diese Wohnungen lassen sich nur – wenn überhaupt – mit deutlichen Preiszugeständnissen an die Interessenten verkaufen. Die Immobilienblase droht zu platzen. Chinas Gesamtverschuldungsquote (Staat, Lokalregierungen, Unternehmen und Private) liegt bei 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch hier gibt es eine deutliche Parallele zu der Situation in Japan. Es ist jedenfalls auffällig, dass in China der Einsatz immer größerer Kreditmengen erforderlich ist, um überhaupt noch Wachstum zu erzeugen. Die absoluten Wachstumszahlen von circa 7 Prozent sind zwar immer noch ansehnlich. Das BIP-Wachstum wird sich aber aufgrund der geschilderten Probleme in wichtigen Wirtschaftszweigen im Trend weiter verlangsamen.

Ein besonderes Problem liegt darin, dass sich die finanzielle Situation der Lokalregierungen und der Kommunen weiter verschlechtert. Diese öffentlichen Stellen dürfen in China Schulden nicht auf direktem Weg aufnehmen. Sie gründen dazu sogenannte Local Government Financing Vehicles (LGFV). Diese Finanzierungsgesellschaften nehmen Kredite auf und finanzieren damit einzelne Projekte, insbesondere im Bereich der Infrastruktur. Solche Kredite machen inzwischen circa 15 Prozent der gesamten ausstehenden Bankkredite aus. Die Verschuldung der LGFV würde bei gleichem Tempo wie in den vergangenen Jahren bis 2018 auf 54 Prozent des chinesischen BIPs steigen. Ein Drittel dieser LGFV haben einen negativen Cashflow und benötigen eine zusätzliche Finanzierung. Um ihre Risiken zu verschleiern, sind sie überdies in der Bilanzierung sehr kreativ. Im Jahr 2014 können die meisten LGFV ihre Zinszahlungen auf die ausstehenden Kredite noch leisten, da sie in ausreichendem Maße Land verkaufen konnten. Diese Praxis ist allerdings nicht ständig wiederholbar. Chinas Volkswirtschaft tritt damit unseres Erachtens in eine schwierige Phase mit großen Friktionen ein. Zwar kann das Land diesen mehrjährigen Prozess mit seinen riesigen Währungsreserven durchaus mit Erfolg beeinflussen. Auch die Bewertung des chinesischen Aktienmarktes – ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10 sowie ein Preis-Buchwert-Verhältnis von 1,3 für 2015 – ist nach der schlechten Performance der vergangenen Jahre mittlerweile in einem vernünftigen Bereich angelangt. Trotzdem bleibt die Frage, ob in Asien andere Anlageregionen nicht bessere Chancen bieten. Wir halten zum Beispiel die Asean-Staaten für deutlich erfolgversprechender.

Aktuelle Hintergrundartikel zum Thema:
Warum China-Aktien jetzt ein Kauf sind (Finews vom 1. November)

Im Land der leeren Metropolen
(Zeit Online vom 30. Oktober)

Chinas verspricht Wohlstand – aber keine Freiheit (Wirtschaftswoche vom 10. Oktober)

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