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Robert Halver „Keine hohen Zinsen mehr, solange Finanzwelt existiert“

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Vor dem Morgen ist die Nacht am schwärzesten
Wahrhaftig haben wir es auf den ersten Blick nicht mit einem Idealszenario für steigende Aktien zu tun. Daher haben auch die großen Vermögensanleger im Spätsommer Tabula Rasa an den Aktienmärkten betrieben. Jetzt schätzen sie die Finanzmärkte neu ein. Sie nehmen zur Kenntnis, dass China über ein großes Feuerwerk an Konjunkturprogrammen zukünftig alles, wirklich alles dafür tut, dass der Drache wieder faucht. Die chinesische Notenbank stellt hierfür den nötigen Brennstoff bereit. Gleichzeitig werden Chinas staatliche Banken ihre hoch verschuldeten Unternehmen nicht fallen lassen. Das wäre volkswirtschaftlicher Selbstmord mit Ansage. Dies führt sicherlich zu einer gewissen „Zombifizierung“ vieler eigentlich lebloser Unternehmen. Doch lässt die KP in Peking hier Fünfe gerade sein: Die Vermeidung eines Wirtschafts-Crashs hat oberste Priorität, koste es, was es wolle.

Tatsächlich scheint der chinesische Aktienmarkt seinen Boden gefunden zu haben. Die Marke von 3.000 Punkten beim Shanghai Composite ist so etwas wie der Fels von Gibraltar. Darunter geht es offensichtlich nicht. Damit bleibt ein weiterer Vermögensverlust für chinesische Konsumenten aus und die internationalen Anleger können diese Marke als Fallnetz betrachten. Wer wollte diesen planwirtschaftlichen Rettungsabsichten widersprechen? Etwa das marktwirtschaftliche Amerika? Niemals, denn China ist weltfinanzwirtschaftlich und -konjunkturell so bedeutend wie die Luft zum Atmen. Wenn der chinesische Reissack umfällt, wird in unserer Finanzwelt kein Sack mehr aufrecht stehen.

Die Geldpolitik wird der Weltwirtschaft keine Schmerzen zufügen, sondern Antibiotikum einflößen

Aus Angst vor einer Deflationierung der Weltkonjunktur soll Frau Yellen bloß die Finger von Zinserhöhungen lassen und auch zukünftig rhetorisch nicht weiter zinspolitisch zündeln. Zinserhöhungsangst könnte Anlegern nahelegen, sich präventiv vom Aktienmarkt zu verabschieden. Und leider gibt es in unserer heutigen Finanzwelt keinen geordneten Rückzug mehr aus den Finanzmärkten wie zum Beispiel nach einem Kinobesuch. Wenn die großen Investoren Aktienmärkte verlassen, dann tun sie das wie Fluchttiere, zum Beispiel Zebras bei Witterung der Löwen. Über Herdentrieb kaputt getrampelte Finanzmärkte führen dann zu noch mehr Risikoaversion, die Ruck Zuck - siehe die Folgen der Lehman-Pleite - auch die Stimmung der gesamten Weltwirtschaft planiert.

Und dann geht die Heimbringung von Auslandsgeld aus den Schwellenländern nach Amerika erst so richtig los. Im Extremfall kommt es zu einer Wiederholung der Asien-Krise 1997/98. Zur Verhinderung eines dann nachhaltigen Währungsverfalls werden China & Co. Staatspapiere aus den USA und Deutschland auf den Markt werfen, was zu Anleiheverlusten führen könnte, die schlafende Anleihe-Hunde aufweckten und im Extremfall das Platzen der größten Anlageblase der Welt - die Anleiheblase - auslösen könnten. Das wird alles nicht passieren. Denn die Fed weiß, dass sie zu einem ohnmächtigen Wunscherfüller der Finanzmärkte geworden ist. Aus dem starken geldpolitischen Stier ist längst ein willfähriger Ochse geworden.

Europäische Aktien haben die Nase vorn

Vor dem Hintergrund dieser Entspannung ist europäischen Aktien Vorzug gegenüber den USA zu geben, nicht zuletzt, weil die EZB ihre Munition noch nicht verschossen hat. Ich erwarte eine Ausweitung und Verlängerung des Aufkaufprogramms zur Reflationierung der Euro-Konjunktur und übrigens auch zur Finanzierung der Kosten der Flüchtlingskrise. Dies geschieht auch im vorauseilenden Gehorsam zur Verhinderung einer erneuten Finanzkrise. Wenn also China verkauft, wird die EZB kaufen.

Wegen der politischen Konflikte in der EU wäre eine neue finanzwirtschaftliche Erschütterung Wasser auf die Mühlen der Euro-Wehrkraftzersetzter. Der realpolitische Zwang degradiert auch die EZB zu einem für die Politik nützlichen Erfüllungsgehilfen. Solange unsere Finanzwelt existiert wird es keine wirklich hohen Zinsen und Renditen mehr geben können. Diesen früheren „Anlage-Luxus“ können wir uns gar nicht leisten.

Daher fällt der Blick auf die größte Alternativanlageklasse, Aktien. Die grundsätzlich niedrige Rohstoffpreise und ein vergleichsweise günstiger Euro führen zu Margenverbesserungen der konjunkturzyklischen und exportorientierten Unternehmen. Aufgrund der jahrelang lähmenden Euro-Krise hat Europa ohnehin konjunkturelles Nachholpotenzial. Ich glaube an die - wenn auch künstlich befruchtete - Weltwirtschaft. Der ZEW-Konjunkturindikator fällt übrigens regelmäßig deutlich pessimistischer aus als die Daten des ifo-Instituts.

Daher bin ich nach wie vor ein Anhänger zyklischer Aktien. Titel der Branchen Maschinenbau, Elektro und Chemie werden davon profitieren. Angst, dass der Abgasskandal das erotischste aller Industrielabel, nämlich „Made in Germany“, unattraktiv machen könnte, habe ich ohnehin nicht. Dazu verfügen wir industriekulturell über zu viel Sexappeal. Und so glaube ich an einen - wenn auch schwankungsanfälligen - guten Aktien-Herbst und einen Jahresendstand beim Dax von etwa 10.800 Punkten.




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