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Rohstoff-Interview: “Anleger sind nicht Schuld an steigenden Lebensmittelpreisen”

Vontobel-Manager Jacques Blatter
Vontobel-Manager Jacques Blatter
DAS INVESTMENT.com: Was sorgt derzeit für Auftrieb bei den Agrarrohstoffen?

Jacques Blatter: Vor allem Baumwolle und Kaffee. Die erwartete starke Nachfrage nach Baumwolle aus China und Indien sowie das niedrige Verhältnis der Endlagerbestände zum Verbrauch dürften den Baumwollpreis stützen. Außerdem hat das US-Landwirtschaftsministerium im Juni seine Schätzungen der US-Endlagerbestände für 2010/2011 von 3 auf 2,8 Millionen Ballen gesenkt. 2009/2010 waren es noch 2,9 Millionen Ballen.

Damit ist das Verhältnis der Endlagerbestände zum Verbrauch mit 17 Prozent so niedrig wie seit 15 Jahren nicht mehr. Auch der Kaffeepreis dürfte hoch bleiben, weil mit einer Angebotsverknappung in Brasilien gerechnet wird. Grund dafür ist der viele Regen, der die Ernte schrumpfen lässt. Brasilien ist mit einem Anteil von rund 34 Prozent an der Weltproduktion der weltgrößte Exporteur von Arabica-Kaffee.

DAS INVESTMENT.com: Frisst der Drache China die Weltmärkte leer?

Blatter: China ist der weltgrößte Konsument von Weizen, Sojabohnen, Baumwolle und Reis und der zweitgrößte Konsument von Mais und Zucker. Wir glauben, dass die Nachfrage nach Agrarrohstoffen weiter zunehmen wird. Wegen des steigenden Wohlstands, steigt nicht nur der Pro-Kopf-Konsum von Grundnahrungsmitteln der Chinesen, auch die Ernährungsmuster ändern sich. So konsumieren die Chinesen mehr Fleisch und auch luxuriösere Nahrungsprodukte, wie beispielsweise Schokolade.

Zwar ist China nach den USA der größte Produzent von Soft Commodities, es gibt rund 0,9 Milliarden Bauern im Land der Mitte. In den letzten Jahren aber ist China unter dem Strich immer stärker zu einem Agrarimporteur geworden.

DAS INVESTMENT.com: Steigt der Ölpreis wieder, werden Biokraftstoffe noch attraktiver – heizt das ebenfalls die Nachfrage an?

Blatter: In den kommenden 12 bis 18 Monaten besteht aufgrund der steigenden Nachfrage und der möglicherweise geringeren Lieferkapazität ein Aufwärtsrisiko für den Ölpreis. In diesem Fall werden Biokraftstoffe, insbesondere aus Ethanol, weitere Marktanteile gewinnen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO wird die Nachfrage nach Agrarrohstoffen für die Herstellung von flüssigen Biokraftstoffen in den nächsten zehn Jahren – und vielleicht darüber hinaus – ein wichtiger Einflussfaktor für die Agrarmärkte und die Landwirtschaft weltweit sein.

DAS INVESTMENT.com: Wie sieht es auf der Angebotsseite aus: Werden neue Anbauflächen erschlossen?

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Blatter: Auf der Angebotsseite dürfte es schwer sein, die Produktion an die steigende Nachfrage anzupassen, besonders im Hinblick auf die Anbauflächen. Um die weltweit steigende Nachfrage befriedigen zu können, ist sowohl eine Erhöhung der Ernte als auch der Anbauflächen erforderlich. Es werden zwar neue Gebiete erschlossen, aber der Bedarf an Land wächst im Allgemeinen aufgrund der Umstellung auf Biokraftstoffe, der weltweiten Expansion der Städte und der steigenden Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln. Zum Landmangel kommen noch die Wasserknappheit - die Agrarwirtschaft verbraucht weltweit etwa 70 Prozent des Trinkwassers - und die Wetterabhängigkeit hinzu.  

DAS INVESTMENT.com: Kommt nach der Edelmetall-Rallye nun also die Agrar-Rally? Droht die nächste Blase?

Blatter: Agrarrohstoffe sind nachwachsende Rohstoffe mit im Vergleich zu Metallen kürzeren Fertigungszyklen. Da der Produktionszyklus für die meisten Soft Commodities jedes Jahr wieder neu beginnen kann, sind die Preiszyklen dieser Märkte viel kürzer als diejenigen von Hard Commodities.
Zudem sind Agrarrohstoffe verderblich. Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Rohstoffe gehortet und auf einen Preisanstieg gehofft wird, um sie dann zu verkaufen. Wir glauben nicht, dass man nach der Edelmetall-Rally von einer Agrar-Rally mit Blasenbildung ausgehen kann.

DAS INVESTMENT.com: Wie rechtfertigen Sie aus ethischer Sicht diese Investments, die die Preise für Nahrungsmittel steigen und Menschen Hungern lassen?

Blatter: Aus unserer Sicht sind die steigenden Preise für Agrargüter nicht auf die Anlegergemeinde zurückzuführen, sondern eher auf den Wunsch einiger Nationen, Soft Commodities als Biokraftstoffe zu verwenden. Die Auswirkungen der zunehmenden Verwendung von Soft Commodities für alternative Kraftstoffe werden viel diskutiert. Wir konnten jedoch in den letzten Jahren eine positive Korrelation zwischen den Soft Commodities und den Energiepreisen feststellen. Unseres Erachtens dürften die Preise längerfristig durch diese Trendwende und keinesfalls durch die Anleger in die Höhe getrieben werden.

DAS INVESTMENT.com: Anleger beeinflussen die Rohstoffpreise nicht?

Blatter: Anleger werden weiter nach Chancen in der neuen Anlageklasse Rohstoffe suchen. Laut einer Studie der Barclays Bank sind die Zuflüsse in das Rohstoffsegment in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. 2009 erreichten sie ein Rekordhoch. Dennoch gibt es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen steigenden Zuflüssen und steigenden Rohstoffpreisen. Das britische Wirtschafts- und Finanzministerium beispielsweise hat keine zwingenden Beweise dafür gefunden, dass die erhöhte Investmentaktivität an den Finanzmärkten das Preisgefüge am Markt bestimmt.

Es ist wahrscheinlicher, dass die größere Unsicherheit in Bezug auf die Fundamentaldaten am Rohstoffmarkt und die Angebotsknappheit die Preise und die Volatilität am Markt bestimmen. Auch die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, bestätigte vor Kurzem in einem Bericht, dass kein Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Finanzanlagen im Rohstoffbereich und den Preisschwankungen der physischen Rohstoffe selbst besteht.

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