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Rohstoffe: „Verschwendung ist erlaubt“

Michael Braungart<br>Quelle: Edith Stenhuys
Michael Braungart
Quelle: Edith Stenhuys
Nur der Mensch produziert Müll, der einfach übrig bleibt. „Das ist nicht normal“, sagt Chemiker Michael Braungart. Zusammen mit US-Architekt William McDonough hat er das Cradle-to-Cradle-Konzept erfunden – eine Welt ohne Müll.

DAS INVESTMENT.com: Herr Braungart, was genau ist Cradle
to Cradle, von der Wiege zur Wiege oder kurz C2C?

Michael Braungart: Vereinfacht gesagt, ein Produktionsprozess, bei dem kein Müll mehr anfällt. Wie in der Natur ist Abfall gleichbedeutend mit Nahrung. Entweder, die Materialien werden zu neuen Produkten verarbeitet und bleiben als Gebrauchsgüter in der Technosphäre wie eine Waschmaschine. Oder sie landen als sogenannte Verschleißgüter auf dem Kompost, wie ein Sitzbezug. Produkte sind danach Nährstoffe, die wieder zurück in den biologischen oder den technischen Kreislauf fließen.

DAS INVESTMENT.com: Trotzdem werden viele Rohstoffe immer knapper, obwohl inzwischen recycelt und ein immer größerer Teil der Materialen wiederverwertet wird.

Braungart: Bei C2C geht es nicht um Abfallvermeidung und Recycling, sondern um Nährstoffmanagement. Ich stelle kein Zeug her, was sich in Lebewesen anreichert. Was heute stattfindet ist Downcycling. Während des Recycling-Prozesses verliert das Material technologische Fähigkeiten. Das führt unweigerlich zu Produkten, die nur noch für weniger komplexe Zwecke geeignet sind. Aus Plastik wird oft nur noch eine Parkbank.

DAS INVESTMENT.com:  Was ist an einer Parkbank so schlecht?

Braungart: Nichts, aber es geht viel Material verloren. Was wir brauchen ist Upcycling. Die Produkte müssen so recycelt werden, dass keine wertvollen Eigenschaften verloren gehen.

DAS INVESTMENT.com: Für die Wiederverwertung braucht man Energie. Und die ist nicht unbegrenzt vorhanden.

Braungart: Stimmt, das ist derzeit so. Aber grundsätzlich ist genug Energie vorhanden. Wir haben auf der Erde 10.000 Mal mehr Energieeintrag, als man jemals brauchen wird. Wir haben ein Überangebot an Sonne und Wind, und damit auch indirekt an Wasserkraft. Wir müssen nur lernen, diese Energie zu ernten.

DAS INVESTMENT.com: Ist C2C nachhaltig?

Braungart: Nachhaltigkeit ist langweilig. Wenn ich Sie frage, wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Frau, was sagen Sie dann – nachhaltig? Dann sag ich herzliches Beileid. Das ist nur Schuldmanagement. Wir haben die Natur kaputt gemacht, jetzt müssen wir es wieder ausbügeln. Klar, wir können auch alle nackt im Flugzeug fliegen. Das spart enorm viel Kerosin. Aber das ist der falsche Ansatz. Er ist viel zu negativ, und dass hat weitreichende Folgen.

DAS INVESTMENT.com: Welche?

Braungart: Dass wir uns als Schädlinge sehen, hat sogar Auswirkungen auf die Menschenrechte. Auf einmal sind wir keine Menschen mehr, sondern nur noch menschliche Rohmaterialien, Human Resources. Das ist ein Fehler: Wir sind keine Schädlinge, die bekämpft werden müssen. Wir sind auch nicht zu viele. Wir haben kein Überbevölkerungsproblem, sondern ein Designproblem. Ein Stoff-Strom-Management-Problem. Ein Qualitätsproblem für unsere Produkte. Wir müssen alles nochmal neu erfinden.

DAS INVESTMENT.com: Was heißt das?

Braungart: Wir müssen die richtigen Dinge richtig machen. Energie sparen, enthaltsam sein, die Produktionsprozesse effizienter und weniger schädlich machen. Diese Art von Nachhaltigkeit ist weder attraktiv, noch ist sie zielführend. Für weniger schädlich sein, sind wir viel zu viele Menschen. Ich will Produkte und Produktionsprozesse so entwickeln, dass Verschwendung kein Problem mehr ist. Sie sollen komplett unschädlich sein für Mensch und Natur. Mehr noch: Der Mensch soll mit dem was er tut nützlich sein für andere Stoffkreisläufe. Seine Produkte sollen in Stoffkreisläufen funktionieren, so dass es keinen unnützen Abfall, sondern nur noch nützliche Rohstoffe gibt.

DAS INVESTMENT.com: Verschwendung ist erlaubt?

Braungart: Ja, auf jeden Fall. Das Leben soll ja Freude machen. Nicht Verzicht ist das Konzept, sondern Weiterkonsumieren wie bisher, aber mit verbesserten Produkten.

DAS INVESTMENT.com: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Braungart: Ein Baby braucht im Schnitt 7.500 Windeln. Derzeit ist das Sondermüll, Polyacrylate. Windeln machen inzwischen etwa 20 Prozent des Resthaushaltmülls aus. Wenn ich jetzt die Windeln so mache, dass die Wasserspeicher und der Kunststoff in biologische Systeme zurückfließen können, dann kann ich diese Windel kleinhäckseln und damit in Israel Bäume düngen. Damit ist ein Baby von Anfang an kohlenstoffpositiv und zwar für den ganzen Rest seines Lebens, selbst wenn es später Porschefahrer wird.

DAS INVESTMENT.com: Wie sind Sie auf das Konzept gekommen?

Braungart: Cradle to Cradle ist keine Erfindung, es ist eine Entdeckung. Albert Einstein hat gesagt: Kein Problem kann durch dieselbe Denkweise gelöst werden, die es verursacht hat. Deshalb müssen wir die anderen fragen, wie es anders geht. Ich habe mir darum Anfang der 90er Jahre rund 50 Naturvölker angeschaut, ich habe lange Zeit in China und Asien und Südamerika verbracht. Dabei ist das Cradle-to-Cradle-Konzept herausgekommen. Es verbindet die westliche Art zu analysieren, mit der östlichen Art in Kreisläufen zu denken und der südlichen Art, Lebensfreude damit zu verbinden.

DAS INVESTMENT.com: Noch haben nur wenige Firmen auf C2C umgestellt.

Braungart: Wir sitzen auf der Titanic und löffeln das Wasser mit dem Teelöffel aus, manchmal auch mit dem Esslöffel. Die Umstellung eines Produktionsprozesses kostet natürlich erst einmal Geld. Und in schlechten Zeiten sitzt das nicht besonders locker. Die Finanzkrise und die Wiedervereinigung haben uns um Jahre zurückgeworfen. Doch ich bin überzeugt, dass sich C2C mit zunehmendem Druck durch Naturkatastrophen und Umweltproblemen immer stärker durchsetzen wird. Immerhin gibt es inzwischen über 1.100 zertifizierte Produkte. Und unser Buch ist
allein in China 15 Millionen Mal verkauft worden.

Mehr zum Thema

» www.braungart.com
» www.epea.com

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