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Aktualisiert am 09.07.2013 - 11:04 Uhrin FondsLesedauer: 10 Minuten

Roundtable: „Risiko ist nichts Böses“

Die Teilnehmer der Diskussionsrunde. Im Uhrzeigersinnn v.l.u.: Alexander Lehmann, Tobias Eppler, Sebastian Napiralla, Claus Huber, Markus Deselaers, Pascale-Céline Cadix, Karsten Schnapp, Markus Purtschert, Kurt J. Kotzegger
Die Teilnehmer der Diskussionsrunde. Im Uhrzeigersinnn v.l.u.: Alexander Lehmann, Tobias Eppler, Sebastian Napiralla, Claus Huber, Markus Deselaers, Pascale-Céline Cadix, Karsten Schnapp, Markus Purtschert, Kurt J. Kotzegger
DAS INVESTMENT: Spricht man über Risikomanagement, ist immer auch von der Neuen Normalität an den Märkten die Rede. Was ist wirklich neu daran?
Kurt J. Kotzegger, Raiffeisen Capital Management:
Aus meiner Sicht relativ wenig. Menschen fokussieren sich in der Regel auf die jüngste Vergangenheit. Nach 2008 haben wir alle vom Liquiditätsrisiko gesprochen, jetzt reden wir vom Emerging-Markets-Wachstumsrisiko oder vom Goldpreisrisiko. Und nur weil man manche Risikofaktoren eine Zeit lang nicht sah, heißt das nicht, dass sie nicht da waren. Was sich in den zurückliegenden zehn Jahren aber wirklich verändert hat, sind die kurzzeitigen Wechsel zwischen Risk- on- und Risk-off, was man an verschiedenen Marksegmenten beobachten kann. Zudem sind die Portfolios internationaler und größer geworden, dadurch sind sie automatisch höher miteinander korreliert.

Und die Politik spielt eine wichtige Rolle.
Karsten Schnapp, MMD:
Ja. Das ist schon daran erkennbar, dass wir noch nie ein so künstlich erschaffenes Niedrigzinsumfeld hatten. In der Praxis existiert kein risikoloser Zins mehr. So sind Fehlallokationen an der Tagesordnung, und neue Blasen können entstehen. Wenn das Geld nichts kostet, hat es auch keinen Wert mehr.
Claus Huber, Systraquant: Ein Ausgangsproblem ist, dass künstlich zusammengefügt wurde, was nicht zusammengehörte – nämlich die Eurozone. Das ist ein sehr heterogenes Gebilde, das sicherlich noch einige Krisen durchstehen muss.
Markus Purtschert, UBS: Es kommen weitere politische Faktoren hinzu. Etwa, dass man durch asymmetrische Regulierung oder einseitig höhere Besteuerung Ungleichgewichte zwischen Europa, den USA und Asien schafft. Durch die heutige Technologisierung sind die Märkte auch viel enger aneinandergekoppelt als früher. So wirken sich Schockwellen in anderem Ausmaß und mit ganz anderer Tragweite aus.
Tobias Eppler, Schroders: Traditionelle Allokationsregeln funktionieren gerade in Krisenzeiten nicht mehr richtig. Aktien, Staatsanleihen, Unternehmensanleihen und Rohstoffe zeigen in normalen Umfeldern eine wenig korrelierte Entwicklung. Wenn aber die Zeiten schwierig werden und die Volatilität ansteigt, steigt auch die Korrelation sprunghaft mit an.

Kann man denn die viel zitierten Schwarzen Schwäne im Portfolio abpuffern?
Sebastian Napiralla, Metzler:
Wir versuchen nicht, einen Schwarzen Schwan zu prognostizieren. Wäre ein solches Ereignis vorauszusehen, wäre es ja kein Schwarzer Schwan. Wir haben vielmehr regelgebundene Strategien entwickelt, in denen Stressszenarien schon ex ante integriert sind, sodass die Anleger auch in sehr turbulenten Marktphasen geschützt bleiben.

Bemerken Sie denn auch eine veränderte Erwartungshaltung Ihrer Kunden?
Pascale-Céline Cadix, Aquila Capital:
Ich denke, ja. Früher erwarteten Anleger oft zweistellige Renditen, heute ist man schon häufig über den Kapitalerhalt nach Inflation froh. Stand zuvor in den Gesprächen die Investmentstrategie im Vordergrund, ist es heute das Risikomanagement.

Manche meinen jedoch, dass Risk-Parity mittlerweile zum Modethema avanciert.
Alexander Lehmann, Invesco:
Diesen Eindruck teile ich nicht. Erstens kommen die Risikoparitätsansätze aus der institutionellen Welt, und die halte ich für weniger verdächtig, Moden hinterherzujagen. Und im Endeffekt ist die Risk-Parity-Strategie nur eine andere Art, Multi-Asset-Konzepte zu managen. Multi-Asset ist die Antwort des Vertriebs auf den Anleger, der in den vergangenen zehn Jahren potenziell dreimal Geld verloren hat: mit der TNT-Bubble, mit Absolute Return und Themenfonds.
Schnapp: Sagen wir es klar und deutlich: Die Fondsindustrie wird nicht mehr allzu viele Chance haben, verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. Man hat schon zu oft nach Ausflüchten gesucht, warum vermeintlich bombensichere Konzepte nicht funktionierten. Zu viele Fonds haben die Marketingabteilungen der Fondsgesellschaften bereits in die Welt hinausgeschickt. Die Produkte, die jetzt angeboten werden, müssen einen Mehrwert bringen und so transparent und klar sein, dass der Kunde ihre Chancen und Risiken konkret für sich erfassen kann.
Kotzegger: Alle Selbstkritik in Ehren, aber man sollte auch betrachten, was Anleger über die vergangenen fünf oder zehn Jahre im Schnitt verdient haben. Von 50 Fonds werden mindestens 40 in diesem Zeitraum absolute Renditen geliefert haben – vielleicht in einigen Fällen etwas weniger als erwartet. So können wir gegenüber dem Retailpublikum wieder mit ein bisschen mehr Selbstvertrauen auftreten. Ob sich aber so viel beim Risikobewusstsein geändert hat, bin ich mir nicht sicher. Vor 18 Monaten wären unsere privaten und institutionellen Kunden total einverstanden gewesen, wenn wir ihr Portfolio so gebaut hätten, dass nur noch ein minimales nominelles Risiko bleibt und das Renditepotenzial gleichermaßen beschränkt ist. Heute hätte man Stress, wenn sie bei einigen Trends nach oben nicht mit dabei gewesen wären.
Lehmann: Da stimme ich zu. Zeigt unser Balanced-Risk-Fund, der langfristig sehr gut läuft, mal in einem Monat eine Negativentwicklung, verzeichnen wir danach schon auch mal geringere Zuflüsse. Und nach jedem Monat, den der Fonds ein Plus macht, gibt es kräftige Zuflüsse. Mit Verzögerung von zwei Monaten laufen Rendite und Bruttoumsatz praktisch parallel. Der Anleger ist heute nervöser als früher.

Ein Grund mehr, Negativentwicklungen schon in frühem Stadium zu erkennen. Wie misst man denn die Risiken, die im Markt sind, richtig?
Huber:
An eine Messung mit mathematischer Genauigkeit glaube ich nicht. Ich bin zufrieden, wenn ich ein Risiko schätzen kann, und auch da kann man mal falsch liegen. Durch die Neue Normalität gibt es auf jeden Fall viel mehr Grenzrisiken, also sogenannte Tail-Risks, die meines Erachtens kaum eingepreist werden. Wenn ich mir anschaue, wo die Aktienmärkte und die Aktienvolatilität derzeit angesiedelt sind, dann würde ich nicht sagen, dass wir deutlich besser dastehen als vor einem Jahr.
Purtschert: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir sehen an den Aktienmärkten sehr niedrige Volatilitäten, man könnte fast meinen, alles sei wieder in Ordnung. Das wird aber verfälscht durch die Liquiditätsschwemme, die vieles überdeckt. Das kann trügerisch sein. Und gefährlich ist doch insbesondere das, was man heute nicht weiß und was unerwartet eintritt.
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