LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in MärkteLesedauer: 6 Minuten

Schuldenkrise: „Der Folterkasten des Staates für Investoren ist gut gefüllt“

Seite 2 / 2

Vorndran: Um einen Kollaps der Euro-Peripherieländer Spanien und Italien zu verhindern, muss die EZB deren Zinsen nach unten manipulieren. Anders als bei Staaten mit eigener Währung und eigener Notenpresse, birgt diese Politik aber erhebliche politische und gesellschaftliche Risiken, da die Eurozone zu heterogen ist, um sie auf Dauer mit einer einheitlichen Währung zu beglücken. Eine Nullzinspolitik, wie sie in den USA funktioniert, würde bei der EZB nur die Kernländer des Euros erreichen. Um die Zinsen auch in den Peripherieländern niedrig zu halten, müssten die EZB oder die Rettungsschirme riesige Summen an Anleihen dieser Länder aufkaufen. Dies wäre dann die Vollendung der Haftungsunion. So würden auch andere Länder den Status eines sichern Hafens verlieren.

DAS INVESTMENT.com: Nämlich?

Vorndran: Frankreich zum Beispiel. Das Land hat eine hohe implizite Verschuldung aus einem extrem reformbedürftigen Renten- und Gesundheitssystem. Jenseits des Rheins wird extrem schnell gestreikt, die Regierung knickt ein und viele Reformen können nicht durchgesetzt werden. Paris ist mit viel weniger Dynamik als andere Regierungen bereit, das Problem und den langfristigen Schuldensockel anzugehen. Das merkt der Kapitalmarkt langsam. Daher ist Sarkozy nicht nur wegen der „Solidarität“ mit den „Club Med“-Ländern und den Problemen seiner Banken mit so viel Nachdruck um die ganze Rettungssituation besorgt, sondern vor allem weil er weiß, wenn er nicht mehr relativ nah an den deutschen Kapitalkosten dran ist, fliegt ihm sein Haushalt sehr schnell um die Ohren.

DAS INVESTMENT.com: Die EU ist noch längst keine politische Union. Glauben Sie denn an die enorme Einigkeit in der Politik, die für die Lösung der Schuldenkrise unabdingbar ist?

Vorndran: Zumindest in einem Punkt besteht momentan eine fast dogmatische Einigkeit: Den Euro gibt man niemals auf. Um dieses Ziel zu halten, werden alle Limitationen aus dem Weg geräumt. Koste es was es wolle. Es geht um die Verteidigung des politischen Meta-Zieles Euro. Wenn Sie von diesem Weltbild ausgehen und die Thematik des Schuldenbergs sehen, dann wissen Sie, wir werden bislang undenkbare Dinge erleben. Der „Folterkasten“ des Staates für uns Investoren ist gut gefüllt. Wir sind seit zwei Jahren bereits dabei, unseren Kunden zu erklären, dass sie an „das Undenkbare“ denken und sich darauf vorbereiten müssen.

DAS INVESTMENT.com: Sind Euro-Bonds demnach zwangsläufig?

Vorndran
: In den Köpfen vieler Politiker haben sie eine Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent, in der Umsetzung jedoch, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, nur von 5 bis 10 Prozent. Wir sind natürlich gegen Euro-Bonds, nicht primär weil Deutschland dann mehr Zinsen bezahlen müsste, sondern weil über Euro-Bonds der Druck aus dem Kessel gelassen wird und damit die Notwendigkeit fällt, Strukturen anpassen zu müssen.

DAS INVESTMENT.com: Haben wir denn die richtigen Politiker?

Vorndran: Wir brauchen Politiker, die nicht dem ständigen Einfluss von Lobby-Vertretern nachgeben, die über ein fundiertes Fachwissen verfügen und ihre Zeit nicht mit Jubiläumsfeiern in ihrem Wahlkreis verbringen sondern beim Faktenstudium anstehender Beschlussvorlagen, also wirklich ernstzunehmende Bürgervertreter. Diese könnten bei der ehrlichen Bewältigung unserer Probleme helfen. Solche Volksvertreter wären sogar der Schlüssel zur Lösung der Probleme, speziell natürlich des Moral Hazards und der Re-Kapitalisierung des Bankensystems.

Was Griechenland angeht, ist der Zug schon abgefahren. Dies den Bürgern transparent zu machen und nachvollziehbare, realistische Notfallpläne zu erarbeiten, würde verantwortungsvolle Politik auszeichnen. Es scheint aber als lebten wir inzwischen in einer "EUrachie", einem Zustand der Gesetzlosigkeit in der Eurozone. Die Regierenden der EU und ihrer Mitgliedstaaten stellen sich über das Gesetz. Sie werden uns nicht sagen, wie ernst die Lage wirklich ist – warum, das bleibt ihr Geheimnis. Geradezu erschreckend – besser vielleicht bezeichnend - war der Satz des luxemburgischen Präsidenten Jean-Claude Juncker im Frühling. Es ging um die Gespräche zur Rettung Griechenlands. Juncker wollte verheimlichen, dass solche Gespräche überhaupt stattfinden. Natürlich schaffte er dies nicht. Sein spitzbübischer Kommentar: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Und es wird ernst bleiben…

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen
Tipps der Redaktion