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Showdown am Bosporus Darum sollte die Türkei-Krise Anleger nicht kalt lassen

Kein Zweifel: Die türkische Wirtschaft war lange auf dem richtigen Pfad. Einer der maßgeblichen Architekten der Erholung war Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der mit seiner Partei AKP im Jahr 2002 das Ruder übernommen hatte. Im Jahr 2009 konstatierte er stolz, die türkische Wirtschaft sei nun wieder gesund genug, um „ohne Krücken zu laufen“. Damals konnte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Unterstützung auslaufen lassen.

Der dramatische Verfall der Lira:

                                          Quelle: Thomson Reuters Datastream, BlackRock Investment Institute, Stand: August 2018

Seit die Türkei aber ohne fremde Auflagen ihre Wirtschaftspolitik bestimmt, haben die Instabilitäten wieder zugenommen. So setzte die Regierung im Bestreben, möglichst schnell zu wachsen, auf ausländisches Kapital. Ein ausuferndes Leistungsbilanzdefizit und immer höhere Inflation wurden zu chronischen Begleitern des Wohlstandes. Zwischen dem Tiefpunkt zu Beginn der 2000-er Jahre und dem Abschied des IWF aus der türkischen Wirtschaft knapp eine Dekade später verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen. In den Jahren 2007 und 2011 wurde die AKP dafür mit Wahlsiegen belohnt.

Der anfangs gefeierte Reformer Erdogan schien auch den Friedensprozess mit der kurdischen Minderheit fortführen zu wollen, welcher nach der Festnahme des PKK-Anführers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 der Türkei friedlichere Zeiten und damit einen Aufschwung des Tourismus beschert hatte. Dies änderte sich, als die nunmehr salonfähige politische Vertretung der Kurden, die HDP, bei der Wahl 2015 13 Prozent der Sitze gewann und Erdogans AKP damit die absolute Mehrheit kostete. Die kurz darauf wieder aufflammenden Konfrontationen, angeblich von Kurden initiiert, erodierten den Zulauf der HDP. Erdogan gewann die daraufhin angesetzten Neuwahlen erneut mit absoluter Mehrheit.

Von den „Next Eleven“ zu den „Fragile Five“

Inzwischen hatte sich aber auch die ökonomische Entwicklung zuungunsten des immer despotischer agierenden Regierungschefs Erdogan gewendet. Schon das „Taper Tantrum“ des Frühjahrs 2013, bei dem steigende US-Zinsen vor allem in Schwellenländern zu erheblichen Kapitalabflüssen geführt hatten, sorgte für Turbulenzen in der Türkei. Nachdem das Land noch im Jahr 2005 zum elitären Club der „Next Eleven“ zählte, fand es sich auf einmal im Verlierer-Club der „Fragile Five“ unter den Emerging Markets wieder.

Im Jahr 2015 ließ Erdogan friedliche Proteste im Istanbuler Gezi-Park, bei denen es auch um Vorwürfe persönlicher Bereicherung mit Immobilientransaktionen ging, gewaltsam niederschlagen. Der im Juli 2016 spektakulär gescheiterte Putschversuch einiger Militärs gab Erdogan dann die Chance zum Befreiungsschlag: Der Ausnahmezustand wurde verhängt und unliebsame Journalisten, Intellektuelle und Ausländer inhaftiert. Der inzwischen ins Präsidentenamt gewechselte Erdogan ließ sich mit Unterstützung nunmehr gleichgeschalteter Medien per Referendum im Jahr 2017 eine quasi unbegrenzte Machtfülle zusichern. Rechtzeitig vor Beginn der gegenwärtigen Krise, am 24. Juni, ließ er Neuwahlen ansetzen, die er erneut für sich entschied.

Währungskrise und Trump-Effekt

Bereits vor dem Referendum 2017 hatte sich die ökonomische Lage in der Türkei verschärft. Das Leistungsbilanzdefizit und damit die Abhängigkeit von ausländischem Kapital stieg. Gleichzeitig wuchs die Gesamtverschuldung in ausländischer Währung – vornehmlich US-Dollar und Euro – weiter an.

Damit aber noch nicht genug. Die Währungsreserven der Türkei, die Mitte 2014 noch bei über 110 Milliarden US-Dollar gelegen hatten, sind Ende Juni 2018 auf gut 74 Milliarden US-Dollar zusammengeschmolzen. Damit deckten sie bereits vor der jüngsten Eskalation nur rund ein Drittel des türkischen Finanzierungsbedarfs in Fremdwährung in den kommenden zwölf Monaten. Der Trump-Effekt, sprich die Verhängung von Zöllen wegen der fortgesetzten Inhaftierung des US-Priesters Andrew Brunson, war vor diesem Hintergrund nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Wirksame Arzneien zur Bekämpfung der Krise sind hinlänglich aus früheren Währungskrisen in Schwellenländern bekannt. Die Liste umfasst unter anderem eine strengere Kreditvergabe an den Privatsektor, eine radikale Reduzierung der Staatsausgaben oder aber das Anzapfen des IWF. Natürlich zählt auch das Einführen von Kapitalverkehrskontrollen zum Strauß der möglichen Maßnahmen.

Die naheliegende und kurzfristig praktikabelste Lösung aus Sicht der Türkei lautet jedoch: Höhere Zentralbankzinsen, bis die Inflationserwartungen eingefangen werden und sich das Leistungsbilanzdefizit reduziert. Bislang erfolgte Anhebungsschritte um 500 Basispunkte zwischen April und Juni sind vermutlich nicht genug. Das Problem bei dieser Strategie: Eine Rezession in der Türkei wäre mittelfristig wohl die Folge. Da Erdogan dies sicher vermeiden will, gleichzeitig aber die prekäre der Lage der Türkei jedoch nicht anzuerkennen scheint und sich abermals gegen höhere Zinsen stemmt, ist eine weitere Abwertung der Lira zu befürchten. Dabei ist klar: je länger die Türkei mit der Bekämpfung der Krise wartet, desto verzwickter wird die Lage.