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Vermögensverwalter über Großbritannien „Brexit ist nicht der Untergang Europas“

Thomas Buckard, Vorstand von Michael Pintarelli Finanzdienstleistungen
Thomas Buckard, Vorstand von Michael Pintarelli Finanzdienstleistungen
Der Termin des Referendums war schon lange bekannt. Er verursachte vor allem aufgrund der täglichen Umfrageergebnisse mit zunehmenden Brexit-Befürwortern eine regelrechte Risikoaversion. Diese schickte die Aktienmärkte auf Tal- und die Bundesanleihen auf Bergfahrt. Erstmals wurden sogar auch die zehnjährigen Bundesanleihen mit einer effektiv negativen Rendite gehandelt – ein Graus für alle konservativen Anleger wie Versicherungen, Versorgungswerke und Langzeitsparer.

Wie das Kaninchen auf die Schlange starrten alle auf den Ausgang des Referendums: Eine außerordentlich wichtige Weichenstellung für die Zukunft Europas. In den Tagen davor kam es aufgrund eines vermeintlichen Stimmungsumschwungs zugunsten des Remain-Lagers zu einem starken Anstieg der Kurse. Am Morgen des 24. Juni dann der Schock: „Britain votes for leave!“

Das britische Pfund reagierte unmittelbar und fiel auf seinen über dreißigjährigen Tiefstand zum US-Dollar, was die kurz- bis mittelfristigen Belastungen für das Königreich verdeutlicht. Es droht eine monatelange Hängepartie. Die Unsicherheit über den Ausgang der Austrittsverhandlungen ist Gift für die Investitionsbereitschaft und das Vertrauen in die Finanzmärkte. Ihnen steht wahrscheinlich eine Phase anhaltend hoher Schwankungsintensität bevor. Der weltweiten Analystenschar wird schon jetzt der Kopf rauchen, angesichts der Neuberechnung der Konjunkturschätzungen für das Jahr 2016.

Politisch bedeutet der Brexit ebenfalls eine Zäsur: Europa befindet sich durch diesen ersten bevorstehenden Austritt eines Landes in einer ähnlich kritischen Situation wie zum Höhepunkt der Euro- und Griechenlandkrise. Das führt uns vor Augen, wie fragil das europäische Fundament eigentlich ist. Dieses Modell eines Staaten-Exits könnte andere Mitgliedsstaaten veranlassen, es den Briten gleich zu tun. Vor allem nationalistische, populistische Parteien, die in der jüngsten Zeit immer stärker geworden sind, könnten auf diesen Zug aufspringen.

Doch ist der Brexit nicht gleich der Untergang Europas, sondern ein Weckruf. Er bietet auch die Möglichkeit, sich von einem als bürokratischen Monster empfundenen Verbund zu verabschieden. Und sich stattdessen auf die wirklich wichtigen Fragen in Europa zu konzentrieren. Zum Beispiel auf die Wahrung eines in den vergangenen Jahrhunderten einmaligen dauerhaften Friedens zwischen demokratisch legitimierten Staaten.

Dies ist die große Chance für Europas Zukunft. Wir alle hoffen, dass sich diese Erkenntnis rasch durchsetzt. Die Politik hat jetzt die Verantwortung, den Zustand der Unsicherheit durch zügige Verhandlungen und Entscheidungen möglichst kurz zu halten. Andernfalls droht die Gefahr, dass aus einer politischen Flaute eine gesamteuropäische wirtschaftliche Krise wird. Eine hochgradig spannende Zeit!

Die Brexiteers haben dafür gesorgt, dass die Wachstumsprognosen der Weltbank sich erledigt haben. Die Europäische Zentralbank hat ihr Pulver weitgehend verschossen, nennenswerte Maßnahmen zur Wachstumsstimulierung sind von ihr nicht mehr zu erwarten. Für die Märkte bedeutet dies wohl eine anhaltend hohe Volatilität. Internationale Investoren aus Übersee und Asien dürften sich hinsichtlich Investitionen in Europa massiv zurückhalten. Eine defensive und diversifizierte Anlagepolitik bleibt also weiterhin wichtig.

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