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Vermögensverwalterkolumne EZB institutionalisiert Ratinggläubigkeit

Thomas Wüst, Geschäftsführer valorvest Vermögensverwaltung in Stuttgart: „Durch die Rückschläge, die es in den ersten drei Monaten an den europäischen Aktienmärkten gab, sind die Bewertungen hier wieder attraktiver als zu Jahresbeginn
Thomas Wüst, Geschäftsführer valorvest Vermögensverwaltung in Stuttgart: „Durch die Rückschläge, die es in den ersten drei Monaten an den europäischen Aktienmärkten gab, sind die Bewertungen hier wieder attraktiver als zu Jahresbeginn
Nach den Turbulenzen der ersten Monate des Börsenjahres 2016, die vor allem durch eine Anhäufung geopolitischer Risikofaktoren und durch Assetverkäufe von Staatsfonds erdölexportierender Länder hervorgerufen wurden, lohnt ein Rückblick auf die jüngsten Finanzmarktentwicklungen.

An den Aktienbörsen ist interessant, dass diejenigen Märkte, in denen eine äußerst expansive Geldpolitik herrscht, wie etwa in Japan und der Eurozone, im ersten Quartal tendenziell schlecht abgeschnitten haben. So haben die Aktienmärkte Brasiliens, Russlands und in USA besser abgeschnitten als die europäischen bzw. japanischen Aktienmärkte. Einerseits hat die Stabilisierung der Rohstoffpreise dazu geführt, dass sich einzelne Schwellenländer wieder erholen konnten. Und andererseits haben die Märkte offensichtlich das Vertrauen in eine äußerst expansive Geldpolitik ein Stück weit verloren. Brasiliens Börse hat sicherlich von dem Sondereffekt profitiert, dass dort die sozialistische Regierung kurz vor dem Aus steht.



Besonders geprägt wurde das Geschehen an den Finanzmärkten im ersten Quartal aber von der Geldpolitik der internationalen Notenbanken:
  1. Die Ausrichtung der Notenbankpolitik in den USA ist bei weitem nicht so restriktiv, wie viele Analysten dies noch zu Jahresbeginn beurteilt haben. Trotz des leicht besseren BIP-Wachstums im vierten Quartal 2015 mit aufs Jahr hochgerechneten 1,4 Prozent, sieht die US-Notenbank mit Sorgen, dass das Wachstum der Weltwirtschaft und die Unternehmensgewinne – hauptsächlich im US-Energiesektor – schwächeln, was wiederum die Investitionsbereitschaft der Unternehmen bremst.
  2. Die EZB hat den Strafzins für Banken auf minus 0,4 Prozent weiter angehoben, was der Bankenbranche weiter zusetzen dürfte. Darüber hinaus hat sie angekündigt, das Anleihekaufprogramm ab Juni auf Euro-Unternehmensanleihen mit „Investment Grade Rating“ auszuweiten, was den Anlagenotstand auch in diesem Segment weiter verschärfen wird.
  3. In Japan ist es nach der Einführung eines negativen Zinssatzes von minus 0,1 Prozent durch die Bank of Japan zu einer inversen Zinsstrukturkurve am Rentenmarkt gekommen. Das bedeutet: Obwohl der Zinssatz kurzfristiger Geldmarktanlagen bereits rekordniedrig ist, sind die Renditen von mittel- bis langfristigen japanischen Staatsanleihen noch tiefer im negativen Bereich.

Inverse Zinsstrukturkurve in Japan trotz expansiver Geldpolitik

Statistisch gesehen war nun eine inverse Zinsstrukturkurve am Rentenmarkt in der Vergangenheit ein guter Indikator für eine bevorstehende Rezession eines Landes. Nun befindet sich Japan bereits seit dem vierten Quartal 2015 wieder in einer Rezession. Insofern ist die inverse Zinsstrukturkurve am Rentenmarkt für Japans Wirtschaft wahrlich kein positives Signal, da zumindest die Marktteilnehmer am Rentenmarkt trotz expansiver Geldpolitik aktuell noch kein Licht am Ende des Rezessions-Tunnels sehen.

Problemfelder des EZB-Anleihekaufprogramms

Aus ordnungspolitischer Sicht ist auch die Ausweitung des Anleihekaufprogramms der EZB auf Unternehmensanleihen ein risikobehafteter Schritt. Zwar profitieren Corporates aus den Euroländern kurzfristig von dieser Ankündigung.  Aber die mittelbare Subventionierung großer Konzerne mit Investment Grade Rating durch die EZB kann sich als Innovationshemmer für die Wirtschaft der Eurozone und als Schwächung mittelständischer Unternehmen, die keinen direkten Zugang zu den Finanzmärkten haben, entpuppen. Der Wettbewerb um Kapital wird dadurch von der EZB untergraben. Gleichzeitig wird die Macht der Ratingagenturen gestärkt, in dem Unternehmen mit Investment Grade Rating von dieser geldpolitischen Ausrichtung besonders profitieren. Der Politik ist insgesamt wohl nicht mehr bewusst, dass es auch die Ratingagenturen waren, die durch die Vergabe von Bestnoten für verbriefte Kreditpakete die Subprime-Krise 2008 zumindest verstärkt haben. Durch die Ausweitung des Anleihekaufprogramms der EZB auf Euro-Unternehmensanleihen wird die damals vielgescholtene Ratinggläubigkeit der Banken nun auf Ebene der EZB de facto institutionalisiert.

Fazit für den Anleger

Jenseits dieser Problemfelder besteht im Jahresverlauf aber die Chance, dass einige Risikofaktoren, die die Märkte aktuell noch verunsichern, im Jahresverlauf abgearbeitet werden. So ist beispielsweise zumindest nach dem zweiten Quartal sicher, ob die Briten in der EU verbleiben oder nicht. Anleger mit Weitblick können die aktuelle Phase der Verunsicherung nun zum Beispiel zum Aufstocken von Aktienpositionen im Rahmen der individuellen Anlagestrategie nutzen. Durch die Rückschläge, die es in den ersten drei Monaten an den europäischen Aktienmärkten gab, sind die Bewertungen hier wieder attraktiver als zu Jahresbeginn.

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