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Wachtendorf-Kolumne ETF-Debatte: Mathematik gegen Menschenverstand

DAS-INVESTMENT-Kolumnist Egon Wachtendorf knöpft sich heute börsennotierte Indexfonds vor.
DAS-INVESTMENT-Kolumnist Egon Wachtendorf knöpft sich heute börsennotierte Indexfonds vor. | Foto: Axel Baumhöfner

Wenn das nicht Wasser auf die Mühlen aller ETF-Fans ist: Amerikas ältester Investmentfonds, der im Juli 1924 aufgelegte Massachusetts Investors Trust, hat in den 93 Jahren seines Bestehens eine Performance von 256.766 Prozent hingelegt. Damit hinkt er Bloomberg zufolge einem aus den größten Aktien des Landes gebildeten Index um 416.594 Prozentpunkte hinterher. Oder, etwas griffiger und nicht ganz so spektakulär formuliert: Der aktiv verwaltete Fonds erzielte in dieser Zeit eine durchschnittliche Rendite von 8,8 Prozent, das passive Investment kommt auf 9,9 Prozent pro Jahr.

Diese kürzlich präsentierte Berechnung birgt einige methodische Schwächen, wie Bloomberg selbst einräumt. So gibt es den zum Vergleich herangezogenen S&P-500-Index, wie wir ihn heute kennen, erst seit 1957. Das ist jedoch keineswegs ihr größtes Handicap. Abgesehen davon, dass ein Abstand von 416.594 Prozentpunkten ungleich dramatischer klingt als eine Differenz von 1,1 Punkten pro Jahr, gibt es mindestens zwei weitere Argumente, mit denen Anhänger aktiven Managements ihre Sicht der Dinge untermauern können.

Argument Nummer 1: Kein Mensch spart 93 Jahre lang, um seine persönlichen Anlageziele zu erreichen. Angenommen, ein Elternpaar hätte 1924 bei der Geburt des Sohnes oder der Tochter 10.000 US-Dollar angelegt, und dieser Kapitalstock wäre – plus monatlicher Raten von 100 Dollar ab Beginn des Berufseintritts – bis 1979 unberührt auf dem Konto geblieben. Das Ergebnis hätte bequem ausgereicht, um mit 55 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen. Wäre die Indexanlage auch für diesen Zeitraum überlegen gewesen? Das erscheint zweifelhaft, denn zwischen Ende 1965 (92,43 Punkte) und Ende 1978 (96,73 Punkte) kam der S&P-500 kaum vom Fleck. Aktiv gemanagte Fonds hingegen erzielten in den 70er Jahren häufig deutlich bessere Ergebnisse.

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Argument Nummer 2: Was hoch steigt, kann tief fallen. Weil gerade Profi-Anleger seit geraumer Zeit fast nur noch die großen Indextitel kaufen, hat deren Bewertung teils schwindelerregende Höhen erreicht. Zwar hinkt auch dieser Vergleich, doch sollte die Entwicklung von Indizes wie Nasdaq-100, Dax-30 oder Euro Stoxx 50 in den Jahren 2000 bis 2003 unbedarften ETF-Käufern eine Warnung sein: Jedes Mitglied dieses Trios verlor nach dem Platzen der Dot-Com-Blase in der Spitze mehr als 65 Prozent an Wert. Demgegenüber gab es aktiv gemanagte Fonds wie den Blackrock US Basic Value oder den Franklin Mutual European, die das Minus auf weniger als 20 Prozent begrenzen konnten.

Wie bei einem solch unterschiedlichen Verlauf ein in 93 Jahren erzielter Performance-Vorsprung von 416.594 Prozentpunkten binnen drei Jahren in sich zusammenfällt, mag jeder einmal für sich selbst nachrechnen. Der kleine, aber feine Unterschied: Wer heute mit einem passiven Investment-Vehikel in ein durch enorme Mittelzuflüsse aufgeblähtes Marktsegment einsteigt, startet nicht mit einem bequemen Vorsprung. Ein Minus von 65 Prozent macht aus einem Startkapital von 10.000 Euro einen Restbetrag von 3.500 Euro. Auch das ist Mathematik.

Wer mit Zahlen umgehen kann, ist auch an der Börse klar im Vorteil. Doch nicht alle Gleichungen gehen am Ende auf wie gewünscht, und manche auf den ersten Blick so einleuchtende Vergleiche sind eher gefährlich als hilfreich. Im Zweifel sind Anleger deshalb mit etwas gesundem Menschenverstand besser bedient als mit noch so ausgefeilten Formeln – auch oder gerade langfristig.

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