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Aktualisiert am 08.09.2017 - 12:08 Uhrin Wachtendorf-KommentarLesedauer: 4 Minuten

Wachtendorf-Kolumne Offener Brief an Martin Schulz

Egon Wachtendorf, Chefredakteur DER FONDS
Egon Wachtendorf, Chefredakteur DER FONDS

Sehr geehrter Herr Schulz,

so viel Euphorie war selten, zumindest in der SPD. Die Nachricht von Ihrer Kanzlerkandidatur hat die Partei aus ihrem lähmenden Dauertief befreit und in den Umfragen zur Bundestagswahl innerhalb weniger Wochen von 20 auf 31 Prozent gehievt. Respekt – auch wenn ich ausnahmsweise einmal geneigt bin, einem Kommentar des naturgemäß nicht auf Ihrer Seite stehenden Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt zuzustimmen: „Wenn der Kandidat Schulz in den Starnberger See steigen würde, würde sich das Wasser auch nicht teilen.“

Nein, Euphorie alleine reicht nicht. Es kommt auf die Themen an. Wo Sie dabei Schwerpunkte setzen wollen, haben Sie bereits klar signalisiert: Es geht Ihnen um mehr soziale Gerechtigkeit für die „hart arbeitende Mitte des Landes“. Anregungen, wie das zu schaffen ist, holen Sie sich unter anderem direkt an der Basis, bei den Nachbarn in Ihrem nordrhein-westfälischen Wohnort Würselen.

Das Ohr nah am Volk zu haben, ist immer gut. Es birgt allerdings auch Gefahren. Fragen Sie doch einmal Ihre Nachbarn, was sie von Mario Draghi halten. Bei aller berechtigten Kritik an der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank: Sie hätten in Würselen auch vor fünf Jahren kaum jemanden gefunden, der die damals von Draghi eingeleiteten Maßnahmen zur Rettung des Euro rückhaltlos gutgeheißen hätte. Wo die EU aber ohne dessen Londoner Whatever-it-takes-Rede heute stünde, wissen Sie als altgedienter Europa-Politiker vermutlich viel besser als ich.

Sachverstand äußert sich nicht immer so klar wie die Botschaft der streitbaren Betriebsrätin, die aus der SPD wieder die Partei des kleinen Mannes machen möchte. Dennoch ist es wichtig, Personen in politische Entscheidungen einzubeziehen, die über ihn verfügen. Es muss ja nicht gleich so etwas Anrüchiges dabei herauskommen wie die Hannover-Connection zwischen Altbundeskanzler Gerhard Schröder und AWD-Gründer Carsten Maschmeyer.

Deshalb mein Appell an Sie: Greifen Sie auf Sachverstand zurück, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Sprechen Sie zum Beispiel einmal mit Deutschlands neuer Wirtschaftsministerin, Ihrer Parteifreundin Brigitte Zypries. Sie hat vor einigen Tagen einen Brief der Oldenburger Investmentboutique Loys erhalten, über dessen Inhalt Sie mit den Absendern dringend diskutieren sollten. Es geht darum, wie Ihren potenziellen Wählern nicht nur zu mehr sozialer Gerechtigkeit verholfen werden könnte, sondern auch zu etwas mehr Wohlstand. Letzteres müsste Ihnen genauso am Herzen liegen wie Ersteres, wenn es Ihnen mit Ihrem Ziel, der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden, wirklich ernst ist.

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Möglicherweise hat Frau Zypries diesen Brief noch gar nicht gelesen oder ihn gleich wieder beiseitegelegt; er ist – nun ja – etwas bildungsbürgerlich verkopft formuliert. Aber auch hier müsste Ihnen Ihr europapolitischer Hintergrund zugutekommen: Anders als Frau Zypries und ihrem direkten Vorgänger im Bundeswirtschaftsministerium dürfte Ihnen schließlich bestens bekannt sein, dass die durchschnittliche Vermögensentwicklung in der Bundesrepublik jener in Ländern wie Frankreich, Italien, Großbritannien, Niederlande, Schweden, Dänemark oder Belgien seit Jahrzehnten hinterherhinkt. Woran das liegt, dazu könnte Ihnen Loys-Eigner Christoph Bruns eine Menge erzählen.

Vielleicht ziehen Sie zu diesem Gespräch noch einen weiteren Parteifreund hinzu, der ähnlich an der Basis verwurzelt ist wie Sie, beim Thema Vermögensbildung aber unbestritten über eine gehörige Portion Sachverstand verfügt: Kurt Beck. Als Ihr Vor-Vor-Vor-Vorgänger im Amt des SPD-Parteivorsitzenden hat er sich dafür stark gemacht, Arbeitnehmer stärker an Produktivvermögen zu beteiligen. Trotz der vielen Vorsilben ist das noch gar nicht so lange her, gerade einmal zehn Jahre. Es wäre höchste Zeit, an dieses gesellschaftspolitische Ziel anzuknüpfen.

Mit überparteilichem Gruß

Egon Wachtendorf

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