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Aktualisiert am 08.09.2017 - 12:43 Uhrin MärkteLesedauer: 3 Minuten

Wachtendorf-Kolumne Paris, Guantánamo und das Rana Plaza

Egon Wachtendorf, Chefredakteur DER FONDS
Egon Wachtendorf, Chefredakteur DER FONDS

Es sind die ewig gleichen Reflexe, die die Reaktionen der westlichen Welt auf die islamistischen Terroranschläge in Paris prägen. Der französische Staatspräsident François Hollande entdeckt den George W. Bush in sich und droht den Drahtziehern mit Vergeltung. Diese Entschlossenheit – verbunden mit den jüngsten Fahndungserfolgen – hilft ihm zwar in den Umfragen. Ob er dem IS-Spuk dadurch langfristig beikommen kann, erscheint angesichts der amerikanischen Erfahrungen in Afghanistan und im Irak jedoch eher zweifelhaft. Ganz abgesehen davon, dass der Weg von den jüngsten Notverordnungen bis nach Guantánamo wirklich erschreckend kurz ist.

Ganz ähnliche Reflexe gibt es auch am anderen Ende des politischen Meinungsspektrums. Frankreich ist durch seine koloniale Vergangenheit selbst schuld daran, dass es so oft Opfer von Terroranschlägen wird, lautet ein in linksgerichteten Kreisen immer wieder gern gebrauchtes Argument, das es in dieser Woche sogar nahezu ungefiltert in die ZDF-Kinder-Nachrichtensendung Logo schaffte. Wer sich und seinem Nachwuchs die Welt derart simpel erklärt, hat so manches nicht verstanden.

Dass es auf den Terror von Paris keine einfachen Antworten gibt, kommt schon in so mancher Betroffenheits-Floskel von Politikern, Funktionären und anderen Prominenten zum Ausdruck. „Wir sind alle Franzosen“, meinte beispielsweise IOC-Präsident Thomas Bach unmittelbar nach den Anschlägen sagen zu müssen. Wirklich? Ich für meinen Teil möchte weder mit den Führern des Front National in einen Topf geworfen werden noch mit den Terroristen mit französischem Pass, die vergangenen Freitag ihren blindwütigen Hass an unschuldigen Konzert- und Café-Besuchern ausgelassen haben.

Einer der Antwortversuche, denen ich in diesen Tagen noch am ehesten etwas abgewinnen kann, stammt aus einem zufällig entdeckten Leser-Kommentar der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Er bringt den Terror von Paris in Verbindung mit dem Thema freie Marktwirtschaft und lautet in etwa so: Die Marktwirtschaft sei zwar das beste und gerechteste langfristig erprobte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Sie lasse aber Pervertierungen zu, von denen eine massive Gefahr für Menschen und Gesellschaft ausgeht – Stichwort Lehman Brothers oder Rana Plaza. Zu behaupten, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, sei reine Augenwischerei. Und: Notwendige Reformen, die derartige Pervertierungen künftig verhindern, könnten nur von innen heraus gelingen.

Genauso verhalte es sich mit der Weltreligion Islam: „Niemand, der bei Sinnen ist, bezeichnet den IS als repräsentativ für den Islam. Niemand, der bei Sinnen ist, stellt Musliminnen und Muslime unter Generalverdacht. Aber es ist vor allem für die Musliminnen und Muslime selbst entscheidend anzuerkennen, dass innerhalb ihrer Religion, ihres Wertesystems, ihrer Weltanschauung mörderische Pervertierungen möglich beziehungsweise Realität sind, die insbesondere sie selbst ganz massiv gefährden. Auch in diesem Fall kann der notwendige Wandel nachhaltig letztlich nur von innen und keinesfalls oktroyiert gelingen.“

Steckt in diesen Überlegungen die Blaupause zur Lösung des Islamisten-Problems? Das wäre vermutlich wiederum zu einfach gedacht. Den Gedanken aufzugreifen und weiterzuverfolgen erscheint mir jedoch allemal sinnvoller als wie François Hollande genau das zu tun, was neben rechten Scharfmachern auch die Terroristen selbst von ihm erwarten, oder wie die „Logo“-Macher die Schuld ganz pauschal bei „den Franzosen“ und ihrer Vergangenheit zu sehen.

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