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„Wir befinden uns im Zeitalter der Stagnation“

Georg Graf von Wallwitz
Georg Graf von Wallwitz
Was für ein Börsenjahr! Anleger und Investoren sonnen sich in den Kursgewinnen der zurückliegenden Monate und warten darauf, dass sich der zaghafte Wirtschaftsaufschwung beschleunigt. Doch dieser frohen Erwartung könnte Ernüchterung folgen. Denn eine kraftvolle Belebung der Weltkonjunktur dürfte 2014 ausbleiben. Regierungen, Unternehmen und Privathaushalte in den Industriestaaten werden vermutlich auch im vierten Jahr nach „Überwindung“ der Weltfinanzkrise auf eine massive Liquiditätszufuhr der Notenbanken angewiesen sein und nur geringfügig wachsen können. Manche Kapitalmarktexperten befürchten, dass die expansive Geldpolitik Preisblasen und Inflation nach sich ziehen wird. Diese Kritiker übersehen jedoch, dass die Zentralbanker ihre derzeitige Politik der Nullzinsen und quantitativen Lockerung überhaupt erst auf den Weg gebracht haben, um ein noch viel tiefer gehendes Problem anzugehen: Es ist die hartnäckige Wachstumsschwäche, die Amerika und Europa am Boden hält. Vieles deutet darauf hin, dass wir uns heute in einem Zeitalter der Stagnation befinden. Hierauf wies zuletzt auch Lawrence Summers auf einer Tagung des Internationalen Währungsfonds hin. Der frühere Chefökonom der Weltbank und Finanzminister unter Bill Clinton zählt die Überwindung der andauernden wirtschaftlichen Stagnation zu den größten Herausforderungen. Summers stieß eine Debatte an, die Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gefallen wird. Sein Kollege Paul Krugmann sekundierte, die Fixierung auf Schuldendefizite verschärfe die Krise. Der US-Wirtschaftsnobelpreisträger empfahl, sich nicht gegen ein weiteres Abdriften der Realzinsen in den negativen Bereich zu stemmen und in Zweifelsfall selbst nutzlose Ausgaben als willkommene Konjunkturstimuli hinzunehmen.

Kaum wirksame Mittel gegen die Stagnation

Krugmann provoziert gerne, aber in seinen Äußerungen steckt ein wahrer Kern. Es herrscht Ratlosigkeit, mit welchen Mitteln die Industriestaaten ihre derzeitige Wachstumsschwäche nachhaltig überwinden können. Die Bevölkerung schrumpft; der Bedarf der Konsumenten erscheint weitgehend gesättigt. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre wird sich jedoch kaum eine verantwortungsvoll handelnde Familie eine überflüssige Ferienwohnung anschaffen, nur weil sie dafür eine Drei-Prozent-Finanzierung bekommt. Unterdessen werden Ersparnisse wegen der negativen Realzinsen schleichend entwertet. Die Regierungen könnten mehr Geld in Bildung und Infrastruktur stecken. In Europa würden dies die Kapitalmärkte jedoch nicht goutieren, weil dies die Staatsschulden weiter anschwellen ließe. Gleichzeitig tätigen die Unternehmen immer weniger Erweiterungsinvestitionen oder stellen neue Mitarbeiter ein, da mittlerweile auch die Volkswirtschaften in den Schwellenländern schwächeln. Japan versucht sein Heil in einer provozierten Yen-Abwertung, um den Teufelskreis aus Deflation und Stagnation zu durchbrechen. Hierdurch entsteht Wachstum auf Kosten anderer – aber man lässt es den Japanern durchgehen, weil sie schon so lange leiden. Dabei ist nicht ausgemacht, ob das Mittel auch hilft: Im dritten Quartal des Jahres 2013 ist die japanische Wirtschaft lediglich um 1,1 Prozent gewachsen. Das ist reichlich wenig Ertrag für den gewaltigen Aufwand an Stimulierung.

Das nächste Jahr aus Anlegersicht

Obwohl das Wachstum in den etablierten Industrienationen eher schwächer bleiben dürfte, muss 2014 kein schlechtes Börsenjahr werden. Bisher haben Aktien und auch Anleihen die stark expansive Geldpolitik der Notenbanken stärker honoriert als jeden anderen Faktor. Die Aktienmärkte der Industriestaaten können in diesem Umfeld durchaus noch etwas weiter steigen. Sie dürfen allerdings nicht mehr als preiswert bezeichnet werden. Wir erwarten, dass sich die Kursgewinne im Rahmen des prognostizierten Gewinnanstiegs von sieben bis zehn Prozent bewegen werden. Dass die Investoren dem Markt insgesamt nochmals höhere Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) zubilligen, können wir uns nur schwer vorstellen. Es kommt eher zu einer Verschiebung der Bewertungen: Da Wachstum im Zeitalter der Stagnation zu einer Mangelware wird, sollten Wachstumsunternehmen – von Nestle bis Amazon – auch durchaus noch höhere KGVs vertragen. Auf der anderen Seite sind in diesem Szenario die Zykliker auf dem aktuellen Niveau zu teuer. Die Anleihen in der Eurozone sind vom vielfach befürchteten Zinsanstieg weit entfernt. Die EZB wird an ihrer stützenden Politik festhalten, da sich bedrängte Staaten höhere Zinsniveaus einfach nicht leisten können. Da ein Abgleiten in eine erneute Rezession wenig wahrscheinlich ist und größere Ausfälle nicht zu erwarten sind, bleiben Unternehmensanleihen mittlerer Bonität und auch das bessere High-Yield-Segment mit unter anderem den sogenannten „Fallen Angels“ attraktiv – jedenfalls sehr viel attraktiver als Staatsanleihen und Pfandbriefe. Turbulenzen in Schwellenländern

Den Schwellenländern stehen möglicherweise weitere Turbulenzen bevor. Die Aktienmärkte der Wachstumsnationen sollten erneut hinter ihren Pendants in den Industriestaaten zurückbleiben, weil die Liquiditätszufuhr nachlässt und die strukturellen Probleme bei vielen Schwellenländern bleiben. Anleihen aus Schwellenländern mit Leistungsbilanz-Defiziten bleiben anfällig für Zinsanstiege und Währungsverluste. Rohstoffe leiden unter einer Wachstumsabschwächung im wichtigsten Abnehmerland China. Für den Erwerb von Gold als Anlageklasse fehlen derzeit die Motive: Die Inflationsgefahr ist weiterhin gering und die Eurokrise sollte unter Kontrolle bleiben. Im Zeitalter der Stagnation bietet Gold nicht das entscheidende knappe Gut: Wachstum. Die Wirtschaft wächst – aber nur schwach – und auch nur, weil sie extrem stimuliert wird. Mehr ist im Zeitalter der Stagnation, allem billigen Geld zum Trotz, nicht drin. Sobald die Zentralbanken bei der Geldversorgung wieder restriktiver werden, wird dies auch allgemein sichtbar werden. Für Anleger und Investoren dürfte die größte Herausforderung des kommenden Jahres sein, zu diesem Zeitpunkt die passende Asset Allokation zu haben.

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