Spannungsabfall an der Werkbank der Welt 5 Dinge, die Anleger über Chinas Energieknappheit wissen sollten
Lichtlose Häuser, unbeleuchtete Straßen und Fabrikschließungen – China wird seit Mitte August von der schlimmsten Energieknappheit seit Jahrzehnten heimgesucht. Stromausfälle haben viele Haushalte und Industriebetriebe im Land lahmgelegt, von den Produktionszentren Guangdong, Zhejiang und Jiangsu bis zu den nordöstlichen „Rostgürtel“-Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang. Das Produktionswachstum des weltweit größten Energieverbrauchers ist auf den Stand von Anfang 2020 zurückgefallen, als Covid-19 zu Lockdowns zwang.
Durch politische Maßnahmen Pekings zur Behebung des Kohlemangels konnte die Stromknappheit seit Oktober gemildert werden, aber die State Grid Corporation of China, Energieversorger und für den Großteil des elektrischen Netzbetriebes in China zuständig, hat gewarnt, dass der Winter immer noch eine Herausforderung sein wird und örtliche Engpässe weiterhin möglich sind.
Doch nicht nur die Energiesicherheit Chinas ist bedroht, sondern auch das Wirtschaftswachstum, das bereits durch die jüngsten Probleme im Immobiliensektor und das harte Durchgreifen der Regierung bei der Regulierung beeinträchtigt wurde. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes wuchs im dritten Quartal 2021 so langsam wie seit einem Jahr nicht mehr, nämlich um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und blieb damit hinter den Marktprognosen zurück. Dies ist ein Rückgang gegenüber 7,9 Prozent im zweiten Quartal und 18,3 Prozent im ersten Quartal und deutet auf eine Abschwächung des chinesischen Aufschwungs hin.
In einem ungünstigeren Szenario kalkulieren wir, dass die Energieknappheit das chinesische Wachstum im vierten Quartal um etwa 0,6 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent gegenüber unserem derzeitigen Basisszenario senken könnte. Wir gehen jedoch davon aus, dass die tatsächlichen Auswirkungen weniger gravierend sein werden.
Hier sind fünf Dinge, die Anleger über Chinas Energiekrise wissen sollten:
1. Die staatlich verordnete Kampagne zur Reduzierung von CO2-Ausstoß und Energieverbrauch ist die Hauptursache.
Die Stromausfälle ereigneten sich zur gleichen Zeit, als Peking den Druck auf die Regionalregierungen erhöhte, ihre Kohlenstoffemissionen im Einklang mit dem Ziel des Landes zu reduzieren, bis 2060 kohlenstoffneutral zu sein. Da der exportgetriebene Industrieboom im Anschluss an Covid-19 die Stromnachfrage in die Höhe schnellen ließ, sank die Energieintensität (Energieverbrauch pro BIP-Einheit) im ersten Halbjahr 2021 nach Angaben des The State Council Information Office of the People’s Republic of China nur um 2 Prozent – und verfehlte damit das von der Regierung angestrebte Ziel von 3 Prozent. Anschließend kam es zu einer neuen Welle von Stromrationierungen.
2. Auch Engpässe bei der Kohleversorgung und steigende Preise spielen eine Rolle.
Seit 2016 hat China neue Kohleförderkapazitäten begrenzt und gleichzeitig die Sicherheits- und Umweltschutzstandards für bestehende Minen erhöht. Kohleangebot und -nachfrage waren weitgehend ausgeglichen, wobei das Wachstum der Kohlenachfrage nach unseren Schätzungen in den vergangenen fünf Jahren bei etwa 5 Prozent pro Jahr lag. Aber das Angebot – sowohl die Produktion als auch die Importe – hat sich schwergetan, mit dem starken industriellen Aufschwung seit 2020 Schritt zu halten.
Chinas langfristige Dekarbonisierungspläne in Verbindung mit weltweit rückläufigen Investitionen in neue Kohlekapazitäten aufgrund der Umweltproblematik schränken die Möglichkeiten Chinas und anderer Länder ein, bei unvorhergesehenen Nachfrageschüben die Produktion rasch hochzufahren.
Infolgedessen sind die Kohlepreise in die Höhe geschossen. Da die chinesische Regierung die Strompreise festlegt, können die meisten Wärmekraftwerke bei den derzeitigen Kohlepreisen nicht gewinnbringend arbeiten und haben daher keinen Anreiz, ihre Energieleistung zu erhöhen.
3. Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft könnten weniger schwerwiegend sein als prognostiziert.
Die Stromrationierung wird wahrscheinlich kurzfristig eine Einschränkung für die Produktion und das Angebot bleiben. Sie dürfte aber keinen großen zusätzlichen Schaden anrichten, weil sie auf eine schwächere Nachfrage trifft, die bereits durch einen sich verlangsamenden Immobiliensektor und strenge Pandemiekontrollen entstanden ist.
Darüber hinaus scheint es Spielraum für eine Lockerung der Energiebeschränkungen zu geben. Peking hat Maßnahmen ergriffen, wie die Feinabstimmung der Politik zur Dekarbonisierung, die Erhöhung der Kohleproduktion, die Beschleunigung der Erschließung neuer Minen, die Zulassung von mehr Importen ausländischer Brennstoffe und die Gewährung flexibler Strompreise, insbesondere für energieintensive Industrien. Angesichts dieser Maßnahmen gehen wir davon aus, dass sich die Stromknappheit bis zum Ende des ersten Quartals 2022 etwas entspannen könnte.
Wir gehen davon aus, dass sich das Wachstum der Industrieproduktion im vierten Quartal 2021 weiter abschwächen könnte. Was die Inflation anbelangt, so dürften die Auswirkungen auf den chinesischen Verbraucherpreisindex (CPI) aufgrund der schwachen Nachfrage infolge der sich abschwächenden Konjunktur begrenzt sein, der Erzeugerpreisindex (PPI) könnte jedoch erhöht bleiben. Der PPI stieg im Oktober um 13,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat und damit stärker als im September (10,7 Prozent) und so schnell wie seit 1995 nicht mehr, wie das chinesischen Statistikamt berichtete.
Wir gehen davon aus, dass sich das BIP-Wachstum bis 2022 auf etwa 5 Prozent verlangsamen wird, da sich der Immobiliensektor und die Exporte abschwächen und somit die Energierationierungen nicht länger ein Hemmnis darstellen dürften. Wir erwarten auch, dass sich Investitionen und Exporte abschwächen werden, während sich die Erholung des weniger energieintensiven Dienstleistungssektors fortsetzen dürfte, was zur Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Energieangebot und -nachfrage beitragen könnte.
4. Chinas Kohlenstoffreduzierungsziele könnten globale Auswirkungen haben.
Sollten die Stromausfälle anhalten, könnte die Entwicklung die starke Exportdynamik Chinas bremsen und die derzeit angespannten Lieferketten weiter belasten. Selbst wenn die chinesischen Exporteure die Preise nicht erhöhen, ist zu erwarten, dass Lieferengpässe zu höheren Einzelhandelspreisen und einer höheren Inflation in den Zielmärkten führen.
5. Für Anleihen im asiatischen Rohstoffsektor sind wir insgesamt konstruktiv eingestellt.
Unsere insgesamt positive Einschätzung des asiatischen Rohstoffsektors beruht auf der unserer Meinung nach perspektivisch guten finanziellen Entwicklung in den nächsten sechs Monaten. Wir bevorzugen Unternehmen, die nicht nur von hohen Rohstoffpreisen profitieren dürften, sondern die ertragsstark sind und über Preissetzungsmacht verfügen. Bei den wichtigsten Rohstoffen sind wir positiv gegenüber Stahl, Aluminium sowie Öl und Gas eingestellt. Da die Rohstahlproduktion stark rückläufig ist, sind wir allerdings bei Eisenerz und Kokskohle vorsichtig.
Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheit in China und der potenziellen Auswirkungen auf die ganze Welt könnten Anleger dazu neigen, bei ihren Investitionen selektiver vorzugehen. Wir sind jedoch der Meinung, dass jetzt ein besonders wichtiger Zeitpunkt ist, um aktiv zu investieren, da die Regierungspolitik und verschiedene Faktoren dazu führen, dass sich die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern weiter öffnet.
Entdecken Sie den Ausblick von Pimco auf Asien und die Weltwirtschaft in den nächsten fünf Jahren hier (Englisch).