Fintech- und Krypto-Spezialist Hartmut Giesen
Welche Auswirkungen der AI Act auf die Finanzbranche hat

Fintech- und Krypto-Spezialist Hartmut Giesen
Jede Branche hat ihr eigenes KI-Momentum: In manchen Sektoren wird noch viel herumexperimentiert, in anderen gehören KI-Lösungen bereits zum Standardrepertoire.
Im Bereich Asset- und Wealth-Management (AWM) bewerten viele Unternehmen das Thema KI als sehr herausfordernd. Das ist nicht allzu verwunderlich, schließlich müssen sie sich sowohl offensiv als auch defensiv damit beschäftigen. Offensi...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Jede Branche hat ihr eigenes KI-Momentum: In manchen Sektoren wird noch viel herumexperimentiert, in anderen gehören KI-Lösungen bereits zum Standardrepertoire.
Im Bereich Asset- und Wealth-Management (AWM) bewerten viele Unternehmen das Thema KI als sehr herausfordernd. Das ist nicht allzu verwunderlich, schließlich müssen sie sich sowohl offensiv als auch defensiv damit beschäftigen. Offensiv müssen sie künstliche Intelligenz im Allgemeinen und generative KI im Besonderen adaptieren, um im Wettbewerb nicht zurück- oder sogar auszufallen. Defensiv müssen sie dabei den AI Act im Blick haben, der in der EU gerade endgültig verabschiedet wurde und der den Einsatz von KI auch im Finanzwesen reguliert.
Bei AWM-Unternehmen könnte in diesem Kontext eine stärkere Marktkonsolidierung anstehen: Der „Global Asset and Wealth Management Survey“ von PwC prophezeit, dass bis 2027 16 Prozent aller AWM-Unternehmen entweder übernommen oder aus dem Markt ausscheiden werden. Diese Schwundrate ist doppelt so hoch wie im historischen Vergleich. Treiber dieser Entwicklung ist gemäß des Surveys ein „Once-in-a-Career-Moment“, der durch die Faktoren digitale Transformation, sich ändernde Investorenerwartungen, Konsolidierung und „Retailisierung“ entsteht.
Um in diesem rauen Fahrwasser zu bestehen, meinen 90 Prozent der befragten Unternehmen, dass sie nicht nur, aber vor allem disruptive Technologie einsetzen müssen, wozu neben der Blockchain auch KI gehört – aber gerade den Einsatz von disruptiven Technologien halten die AWM-Unternehmen für „most challenging“.
Unter den disruptiven Technologien ist die KI und deren letzter Innovationspunkt, generative KI, die disruptivste – und hat damit die Blockchain-Technologie im letzten Jahr überholt. EY hat in der Studie „The Transformation Imperative: Generative AI in Wealth Management and Asset Management“ die Anwendungsfälle mit Chancen und Risiken für AWM-Unternehmen untersucht.
Die befragten Manager von AWM-Unternehmen mit mehr als 2 Milliarden US-Dollar verwaltetem Vermögen schätzen die Anwendungsfälle „Entwicklung von Anlagestrategien für Alpha-Generation“, „Finanzberatung“ und „Investment Operations“ am höchsten ein.
Neben den technologischen und organisatorischen Herausforderungen, die AWM-Unternehmen bei der Adaptierung von (generativer) KI meistern müssen, stellt der AI Act der EU nun neue Anforderungen an die Nutzung.
Generell kann man sagen, dass der Einsatz von generativer KI bei kundenferneren Anwendungsfällen vom AI Act wenig betroffen ist – sobald aber Kunden ins Spiel kommen, hat die neue Regulierung einen relevanten Einfluss.
Die Anforderungen an ein KI-System hängen nach dem AI Act von dem Risiko ab, dass das System für die Gesundheit und Sicherheit von Bürgerinnen und Bürgern hat beziehungsweise welche nachteiligen Auswirkungen es auf deren Grundrechte haben könnte.
Im Artikel 6 des AI Act werden die Klassifizierungsregeln für KI-Systeme mit hohem Risiko definiert, im Anhang III eine Reihe von Hochrisiko-KI-Anwendungen katalogisiert. Relevant für die Finanzbranche sind dabei KI-Systeme, die den Zugang zu und die Inanspruchnahme von wesentlichen privaten Dienstleistungen beeinflussen.
Die gute Nachricht ist, dass im Finanzsektor explizit nur der Einsatz von KI bei der Kreditvergabe als Hochrisiko-Anwendung aufgeführt wird. Die schlechte Nachricht ist, dass das Profiling von natürlichen Personen immer ein Hochrisiko-Anwendungsfall von KI ist.
Das heißt, gerade in der Finanzberatung, wo die Eignung und Angemessenheit von Anlagestrategien für Kunden analysiert wird, gelten die höchsten Anforderungen des AI Act. Sie beziehen sich auf Risikomanagement, Daten und Datenverwaltung, technische Dokumentation, Aufbewahrungspflichten und ob die Prozesse durch Menschen nachvollzogen werden können.
Falls AWM-Unternehmen ein eigenes generatives KI-Modell bauen wollen, kann es sein, dass sie ab einer bestimmten Mächtigkeit des Modells ebenfalls unter die AI-Act-Regulierung fallen. Für sie gibt es unter der Begrifflichkeit „AI-Modelle für allgemeine Zwecke“ einen eigenen Anforderungskatalog.
AWM-Unternehmen stehen unter hohem Druck, KI- und generative KI-Systeme einzusetzen, um im Wettbewerb zu bestehen. Dabei müssen sie nicht nur die technologischen und organisatorischen Herausforderungen angehen. Sie müssen auch analysieren, in welchem Bereich die KI-Systeme eingesetzt werden und ob sie als Hochrisiko-Systeme unter die Regulierung des AI Act fallen.
Ist dies der Fall, müssen sie auch die Anforderungen des AI Act beachten, die beachtlich sein können. Dabei gilt dies nicht nur für noch zu implementierende Systeme. Es ist auch möglich, dass bereits jetzt eingesetzte Systeme neu darunter fallen.
Da zu den wichtigen Anwendungsfällen der KI in AWM-Unternehmen die Gestaltung des Kunden- und Investorenkontakts beziehungsweise die Analyse der Bedarfe und die Eignung für bestimmte Strategien gehört, ist davon auszugehen, dass die Systeme zu einem Großteil der Regulierung nach dem AI Act unterliegen.
Die gute Nachricht in diesem Kontext ist, dass für ohnehin regulierte AWM-Unternehmen oder auch Banken diese Anforderungen zum Teil schon über andere Regulierungswerke wie die BAIT (Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT) bestehen. Die europäische Regulierung durch den AI Act ist also kein Kaltstart für die AWM-Branche, aber es gilt, die eigenen Strukturen und Prozesse zügig zu adaptieren.
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