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Vermögensverwalter im Interview „Ich rechne mit fallenden Bewertungen und Unternehmensgewinnen“

Mike Roberge, Geschäftsführer von MFS Investment Management
Mike Roberge, Geschäftsführer von MFS Investment Management: „Man muss wettbewerbsfähige Unternehmen mit Preismacht und hohen Cashflows finden, deren Gewinne voraussichtlich recht stabil bleiben.“ | Foto: MFS Investment Management

DAS INVESTMENT: Herr Roberge, als Geschäftsführer eines 1924 gegründeten Asset Managers, der viele schwierige Marktphasen durchlebt hat, haben Sie einen guten Überblick. Welches Thema müssen Anleger in den kommenden Monaten vorrangig auf dem Schirm haben?

Mike Roberge: 2022 war das Jahr der Inflation. Die meisten Notenbanken reagierten zu spät und mussten die Geldpolitik dann umso stärker straffen. Dieses Jahr dürfte die Konjunktur zum wichtigsten Thema werden, denn die Inflation geht allmählich zurück. Werden wir eine Rezession bekommen? Erleben wir eine weiche oder harte Landung? In einem Jahr wird es dann darum gehen, wie stark das Wachstum nachgelassen hat – und wie der nächste Konjunkturzyklus aussehen wird.

Was sagt denn dazu die Zinsstrukturkurve? Wann sinken die Leitzinsen?

Roberge: Der Fed-Leitzins liegt zurzeit in der Spanne von 4,75 bis 5 Prozent. Am Markt rechnet man mit einem Anstieg auf etwa 5,25 bis 5,5 Prozent, sodass noch zwei oder drei kleine Zinsschritte folgen könnten. Weil die Fed die Kurzfristzinsen steuern kann, liegen die Dreimonatszinsen knapp über dem Leitzins. Der Markt hat aber die Zehnjahresrendite in der Hand, die bei knapp unter 4 Prozent notiert. Die Zinsstrukturkurve ist folglich stark invers, was meist der Vorbote eines starken Abschwungs oder gar einer Rezession war. Allerdings rechnen die Märkte mit Leitzinssenkungen ab der zweiten Jahreshälfte. Die Inflation dürfte 2023 zwar fallen, doch dürfte die Teuerung aus Sicht der Notenbanken in der ersten Jahreshälfte weiterhin zu hoch sein. So bald dürften die Leitzinsen daher nicht gesenkt werden.

Die Konjunkturentwicklung hat sich trotz der inflationsbedingten Leitzinserhöhungen offenkundig in geringerem Maß als erwartet abgeschwächt. Alles halb so schlimm?

Roberge: Viele Kennziffern signalisieren eine Rezession, aber am Markt scheint man das in der Tat anders zu sehen. Ein Beispiel sind die Konsens-Gewinnerwartungen der Analysten. Sie sind zwar (laut FactSet Research auf Basis der Werte des S&P 500) um 2 bis 5 Prozent gefallen, doch würde man in einer Rezession einen Rückgang um mindestens 10 bis 30 Prozent erwarten. Normalerweise fallen die Aktienkurse erst nach den Unternehmensgewinnen auf ihren Tiefststand. Die Unternehmen wollen uns aber glauben machen, dass sie trotz der wohl schwächeren Konjunktur ihre Margen halten können.

Ihre Einschätzung: Viele Unternehmen vertun sich hier?

Roberge: Ich glaube nicht, dass die Unternehmen die Konjunktur realistisch einschätzen – und ich glaube auch nicht, dass die Gewinne ihr Tief schon erreicht haben. Dieser Konjunkturzyklus ist anders, und deshalb wird aktives Management wichtig. Jahrzehntelang haben fallende Zinsen Unternehmensgewinne und Märkte beflügelt. Der Anteil der Arbeitskosten am Bruttoinlandsprodukt ist gefallen, und es wurde sehr viel weniger in Sachkapital investiert, worunter die Ausgaben eines Unternehmens für Kauf, Wartung oder Verbesserung von Investitionsgütern fallen, wie Ausrüstung und Maschinen, Gebäude oder Grundstücke. All das ließ die Margen steigen, die noch immer nur knapp unter ihren Allzeithochs liegen.

 

Doch das ändert sich jetzt?

Roberge: Jetzt hat sich die Entwicklung der letzten zehn bis zwölf Jahre umgekehrt. Wie gesagt: Die Inflation wird erst einmal hoch bleiben, und die Notenbanken werden ihre Leitzinsen nicht wie erwartet senken können. Nach ihren Erfahrungen in der Corona-Zeit beziehen die Unternehmen wieder mehr Vorprodukte im Inland…

…was zusätzliche Kosten verursacht.

Roberge: Ja, der Kostendruck steigt. Nach der globalen Finanzkrise haben Unternehmen – statt Maschinen zu kaufen – Dividenden ausgeschüttet, Aktien zurückgekauft und geistige Eigentumsrechte erworben. Weil viele Unternehmen aber jetzt verstärkt in Sachkapital investieren, ist die Kapitalintensität wieder gestiegen. Auch zur Senkung der CO2-Intensität sind Investitionen nötig – die langfristig für mehr Wachstum sorgen können, sodass man mit ihnen doch noch etwas verdient. Auch die Arbeitskosten steigen, weil die Unternehmen alte Mitarbeiter binden und neue einstellen müssen. Diversität und Gleichheit dürften Wirtschaft und Erde auf Dauer nützen, gehen zunächst aber oft zulasten der Margen. Die Kosten der Unternehmen dürften daher steigen.

Was auf die Margen drückt.

Roberge: Eben deshalb rechne ich eher mit fallenden Bewertungen und Gewinnen als mit steigenden. Vor diesem Hintergrund ist im Bereich der Vermögensverwaltung aktives Management wichtig. Man muss wettbewerbsfähige Unternehmen mit Preismacht und hohen Cashflows finden, deren Gewinne voraussichtlich recht stabil bleiben.

Inwieweit ergeben sich aus Volatilität und Streuung an den Märkten Chancen für aktive Manager?

Roberge: Die Zeiten, in denen die Notenbanken die Zinsen auf null senkten und es keine Volatilität gab, sind vorbei. Jedes Mal, wenn etwas Schlimmes passierte, griff die Fed ein und lieferte Liquidität. Aber das war einmal. Die Volatilität wird daher steigen, was für eine deutlich stärkere Streuung der Erträge spricht und aktiven Managern interessante Möglichkeiten bietet. Man wird auch nicht mehr mit passiven Ansätzen billig Beta erzielen können; ein Maß für die Volatilität eines Portfolios gegenüber dem Gesamtmarkt: Bei einem Beta unter 1,0 liegt das Portfoliorisiko unter dem Marktrisiko, bei einem Beta über 1,0 liegt es darüber. Jetzt zählt Differenzierung, und da kann sich ein längerer Anlagehorizont lohnen. Wir werden mit Informationen überschwemmt, aber es mangelt uns an Wissen. Man muss den kurzfristigen Noise ausblenden. Wem das gelingt und wer sich auf das wirklich Wichtige konzentriert, der ist jetzt im Vorteil.

In der aktuellen Marktlage sind vor allem Unternehmen mit hohen Cashflows gesucht, oder?

Roberge: Genau. Unternehmen mit hohen Cashflows werden wieder geschätzt. Vor nicht allzu langer Zeit gab es viele Small Caps, deren Cashflows nicht reichten, um ihre Schulden abzubezahlen. Wenn diese Zombie-Unternehmen vom Markt verschwunden sind, können solidere Unternehmen wieder mehr Preismacht haben und zu den Gewinnern von morgen werden. Genau hier kommen aktive Investmentmanager ins Spiel: Ihre Aufgabe ist es, diese Firmen zu finden, um hohe risikoadjustierte Erträge für ihre Kunden zu erwirtschaften.

In den vergangenen Jahren fragten sich viele Investoren, ob das 60/40-Portfolio aus 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen passé ist. Was meinen Sie dazu?

Roberge: Ich sehe das anders. 60/40 ist zurück. Für Investoren ist das aktuelle Umfeld sehr viel besser als das der letzten zehn Jahre. Mit Geldmarktanlagen kann man wieder etwas verdienen, und auch Anleihen bieten wieder attraktive Erträge, sogar inflationsbereinigt. Weil die Risikoprämien von Anleihen wieder etwas aussagen, können sie Grundlage der langfristigen Asset-Allokation sein. Bei Zinsen nahe null und einer sehr niedrigen Volatilität war das nicht möglich.

Welche Anleihen sollten sich Anleger denn jetzt genauer ansehen?

Roberge: Ich halte Investmentgrade-Unternehmensanleihen wieder für interessant. Sie stellen attraktive Renditen bei angemessenen Credit Spreads in Aussicht – und vielleicht auch ordentliche Erträge über den Marktzyklus. Für Aktien und manche risikoreicheren Anleihen mögen die Zeiten nicht einfach sein, aber ein solider risikoloser Zins – die Staatsanleihen-Rendite – zuzüglich einer Aktienrisikoprämie von drei bis vier Prozentpunkten verspricht ordentlichen Ertrag. Wir haben keine Kristallkugel und wissen deshalb nicht, ob der Tiefpunkt schon erreicht ist.

Wenn Aktien dieses Jahr wegen fallender Unternehmensgewinne schwächeln, halte ich eine Rückkehr zu 60/40 oder einer ähnlichen Kombination für sinnvoll. Investoren bieten sich wieder Chancen auf breiter Basis, ganz anders als noch vor wenigen Jahren. 

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