LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche

Themen-Experte Energie und Technik für die Welt von morgen

ANZEIGE
ANZEIGE

USA, Europa, Schwellenländer Die Leitzinsen könnten stärker als erwartet steigen

Händler an der New Yorker Börse
Händler an der New Yorker Börse: Bleiben die Zinssätze länger hoch und nimmt die Liquidität weiter ab, müssen die Anleger auf Überraschungen gefasst sein. | Foto: Imago Images / Xinhua
Daniel Morris, BNP Paribas AM

Die Anleger sind derzeit mit einer hohen Marktvolatilität konfrontiert. In den vergangenen Monaten pendelte die Marktstimmung von der Erwartung einer sanften Landung der Wirtschaft über eine erneute Überhitzung hin zu Stagflation und einer harten Landung.

Die unsicheren Zeiten führen dazu, dass Konjunkturdaten und -prognosen schnell wieder veralten, sobald sie veröffentlicht worden sind. Es kommt immer wieder vor, dass die Daten nach Veröffentlichung teils stark revidiert werden müssen.

Viele der aktuellen Probleme, die auch auf die Politik der Zentralbanken einwirken, sind das Ergebnis des heftigen wirtschaftlichen Schocks durch die Pandemie. Die daraus resultierende Ungewissheit zeigt sich in der Streuung der Gewinnschätzungen für die Aktien der S&P 500-Unternehmen, die das Niveau der globalen Finanzkrise und der Pandemie übertrifft (siehe Grafik 1).

Grafik 1: Die Unsicherheit der Analysten hinsichtlich des Ausblicks für den S&P 500 ist extrem hoch

Der entscheidende Faktor für die Renditen in den USA und Europa im laufenden Jahr wird sein, wie tief die erwartete Rezession ausfällt. Wir gehen davon aus, dass die Inflation ohne eine stärkere konjunkturelle Eintrübung – die unserer Ansicht nach in der zweiten Jahreshälfte in den USA und der Eurozone einsetzt – nicht zu den Zielvorgaben der Zentralbanken zurückkehren wird.

Die Kerninflation bleibt hoch und beschleunigt sich in der Eurozone, während sie sich in den USA nur allmählich verlangsamt. Die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor kommen den Zentralbanken insofern nicht ungelegen, weil sie das Wachstum und damit die Inflation verlangsamen. Für sich genommen dürften diese Marktereignisse aber nicht ausreichen, um die Teuerung abzukühlen.

Wir gehen daher davon aus, dass die Leitzinsen stärker steigen werden als von den Märkten erwartet. Sofern es nicht zu einem wesentlich stärkeren Ausverkauf von Risikopapieren kommt, kann die Federal Reserve (Fed) es sich nicht leisten, von ihrem Fokus auf der Eindämmung der Inflation abzuweichen. Wenn jedoch die Zinssätze länger hoch bleiben und die Liquidität weiter abnimmt, sind weitere Überraschungen für die Märkte wahrscheinlich.

USA: Ist eine Rezession schon eingepreist?

Die Erwartung einer Rezession ist derzeit die gängige Meinung der Marktteilnehmer. Zahlreiche Umfragen deuten darauf hin und die US-Renditekurve ist seit Monaten invertiert. Die jüngsten Turbulenzen im US-Bankensektor haben die Rezessionserwartungen verfestigt, weil sich dadurch das Kreditwachstum wahrscheinlich verlangsamen wird. Die schlechten Renditen für US-Aktien im vergangenen Jahr und negative Gewinnrevisionen haben einige Marktbeobachter jedoch zu der Ansicht veranlasst, dass die Rezession bereits eingepreist ist.

Unserer Einschätzung nach ist diese Ansicht falsch. Zwar sind die Gewinnschätzungen in der Tat gesunken, doch spiegelt dies eher den Rückgang der Gewinnspannen aufgrund der hohen Input- und Arbeitskosten wider als den reinen Gewinnrückgang, den man in einer Rezession erwarten würde.

 

Für dieses Jahr wird ein Gewinnwachstum von lediglich 0,3 Prozent prognostiziert, was jedoch größtenteils aus Gewinnrückgängen im Energiesektor resultiert, da sich die Ölpreise nach dem Anstieg infolge von Russlands Invasion in der Ukraine normalisieren und im Gesundheitssektor die Gewinne der Impfstoffhersteller nach der Pandemie zurückgegangen sind. Entscheidend ist, dass die Umsatzerwartungen immer noch steigen (zumindest teilweise aufgrund der Inflation).

Erst wenn wir deutlichere Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums sehen, dürfte der Markt beginnen, einen Rückgang der Erträge einzupreisen.

Performance der einzelnen Stil-Faktoren

Wachstums- und Substanzwerte haben sich in den vergangenen Wochen relativ gut entwickelt. Das   könnte ein Vorgeschmack auf die Kursentwicklung sein, sobald sich die Rezession ankündigt.

Ausschlaggebend für die Outperformance sind die sinkenden Realrenditen, was Technologieaktien überproportional zugutekommt. Diese Entwicklung dürfte einen Teil der schlechten Performance des letzten Jahres wettmachen, als die Zinsen stiegen. Unterstützung kam auch von den Kursrückgängen bei Energietiteln (aufgrund von Wachstumssorgen) und Bankaktien (nicht nur aufgrund von Sorgen um die Stabilität des Sektors, sondern auch aufgrund geringerer Gewinne), die die Value-Indizes belasteten.

Sollte die Fed tatsächlich mit der Senkung der Leitzinsen beginnen, dürften Growth-Werte eine anhaltende Outperformance verzeichnen.

Europa: Die EZB muss ihre restriktive Haltung beibehalten

Die Outperformance der europäischen Aktien im vergangenen Jahr und die anhaltende Stärke in diesem Jahr ist nicht wenig überraschend, wenn man bedenkt, wie gedrückt die Stimmung der Anleger nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine war. Die erwarteten Stromausfälle, Konjunkturabschwünge und Gewinneinbrüche sind dank Energieeinsparungen, eines vergleichsweise milden Winters und der wirtschaftlichen Dynamik nach dem Ende der Lockdowns nicht eingetreten.

Die hohen Ölpreise kamen zum einen den europäischen Energieunternehmen im Jahr 2021 zugute. Zum anderen hatte die Änderung der Zinssätze von negativ zu positiv einen beträchtlichen Einfluss auf die Gewinnerwartungen der Banken im Jahr 2023. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Analysten den größten Teil des für 2023 erwarteten Gewinnzuwachses im Finanzsektor sehen. Auch der jüngste Anstieg der Gewinnschätzungen betrifft in erster Linie diese Branche.

Ob europäische Aktien weiterhin eine Outperformance erzielen können, wird vom Zusammenspiel von Zinsen und Wachstum abhängen. Einerseits ist die Europäische Zentralbank jetzt die restriktivere Zentralbank und wird es auch bleiben müssen, bis die Inflation nachlässt. Die US-Notenbank hingegen wird in den kommenden Monaten wahrscheinlich damit beginnen, die Zinssätze zu senken. Die daraus resultierende relativ gesehen straffere Geldpolitik dürfte dafür sorgen, dass die europäischen Aktien hinter denen der USA zurückbleiben. Die Fed wiederum muss die Zinsen senken, weil sich die USA auf eine Rezession zubewegt.