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Warum Europa-Aktien attraktiver als US-Titel bleiben

Der Grund, warum die Wall Street seit Jahresanfang schwächelt, ist schnell ausgemacht: Die Magnificent 7 laufen nicht mehr. Während der S&P 500 seit Jahresbeginn deutlich nachgab, bewegte sich der S&P 500 Equal Weight, in dem alle 500 Indexmitglieder mit 0,2 Prozent gleich gewichtet sind, in diesem Zeitraum weitgehend seitwärts. Im vergangenen Jahr waren Alphabet, Amazon und Co. mit ihren hohen Gewichtungen im traditionellen S&P 500 noch für mehr als die Hälfte der Kursgewinne des Index verantwortlich. Jetzt bremsen sie ihn aus.
Die Veröffentlichung des KI-Modells R1 von Deepseek aus China im Januar hat den Hype um künstliche Intelligenz (KI) schlagartig beendet. Wenige Wochen später stellte auch Alibaba sein KI-Modell vor. Inzwischen sind die Zweifel groß, ob und wann sich die milliardenschweren Investitionen der großen US-Technologiekonzerne in Rechenzentren auszahlen werden.
Erschwerend kommt das ständige Hin und Her von US-Präsident Donald Trump beim Thema Strafzölle hinzu. Auch dies wirkt sich negativ auf die Mag 7 aus. Diese machen einen großen Teil ihres Geschäfts im Ausland und wären daher von Gegenmaßnahmen etwa der EU besonders betroffen. Mit seiner erratischen Politik verunsichert Trump aber nicht nur die großen amerikanischen Technologiewerte, sondern die gesamte US-Wirtschaft. Langfristige Planungen sind in einem solchen Umfeld kaum möglich.
Trump wirft in seiner zweiten Amtszeit fast im Wochenrhythmus neue Strafzölle in den Ring. Welche davon zu welchem Zeitpunkt tatsächlich umgesetzt werden, ist kaum absehbar. Wahrscheinlich ist, dass sich die Folgen ab Mitte des Jahres in einer wieder steigenden Inflationsrate niederschlagen werden. Bis dahin ist die US-Notenbank gewissermaßen zum Abwarten gezwungen. Auch das belastet das Umfeld an der Wall Street.
EZB kann weiter lockern
In Europa stellt sich die Situation etwas anders dar. Die Inflation ist weiter rückläufig, was der EZB Spielraum für weitere Zinssenkungen verschafft. Gleichzeitig zeichnet sich in Deutschland ein Ende des politischen Stillstands ab. Von der wahrscheinlich künftigen GroKo-Regierung erhoffen sich die Investoren wieder eine wirtschaftsfreundlichere Politik. Zwar wird es einige Zeit dauern, bis das von CDU und SPD geplante riesige Konjunkturpaket seine Wirkung entfaltet, doch die Börse denkt bekanntlich voraus. Schließlich besteht die Hoffnung, dass Trump ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine erzwingt.
Hinzu kommen die deutlich höheren Bewertungen in den USA. Natürlich führt auf der Aktienseite kein Weg an der Wall Street vorbei. Doch Trump hat bisher vor allem für negative Impulse gesorgt. Die angekündigten Steuersenkungen und Deregulierungen lassen bislang auf sich warten. Da sie aber vermutlich bereits in den Aktienkursen eingepreist sind, dürften sie kaum für zusätzliche Impulse sorgen, wenn Trump hier tatsächlich liefert.
In einem konjunkturell schwachen Umfeld hat sich der europäische Aktienmarkt schon häufiger besser entwickelt als sein amerikanisches Pendant. Eine solche Phase kann erfahrungsgemäß bis zu neun Monate dauern. Vor diesem Hintergrund sollte das Gewicht von US-Aktien reduziert und das europäischer Titel erhöht werden.
Gold als Alternative
Wenn Anleger ihr Aktienengagement in den USA zurückfahren, bieten sich nicht nur europäische Dividendentitel, sondern auch das Edelmetall als Alternative an. Seitdem die USA und die EU russische Guthaben im Westen nach dem Einmarsch in der Ukraine eingefroren haben, kaufen die Notenbanken der Schwellenländer umfangreich Gold. Der Dollar unterliegt dem Einfluss Washingtons. Für Gold gilt das nicht, es verschafft somit Unabhängigkeit von den USA.
Ein Ende dieser Entwicklung ist vorerst nicht abzusehen. Denn während die Fed oder die Deutsche Bundesbank einen großen Teil ihrer Devisenreserven in Gold halten, ist der Anteil bei den meisten Schwellenländern noch eher überschaubar. Das gilt vor allem für die People's Bank of China, die nur rund 5 Prozent ihrer Devisenreserven in Gold investiert hat.
Neben der Unabhängigkeit vom Dollar motiviert auch die hohe Staatsverschuldung der USA die Notenbanken zu Goldkäufen. Die Vereinigten Staaten sind mittlerweile mit mehr als 120 Prozent des BIP verschuldet und müssen jährlich rund eine Billion Dollar allein für Zinszahlungen aufbringen. Ob Trump die geplanten Steuersenkungen mit Strafzöllen und Ausgabenkürzungen gegenfinanzieren kann, darf bezweifelt werden. Auch dies dürfte das Misstrauen der Notenbanken gegenüber dem Dollar schüren.
Mit einer höheren Gewichtung von europäischen Aktien und Gold sind Anleger seit Jahresbeginn gut gefahren. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Monaten fortsetzen.

Über den Autor:
Reinhard Pfingsten ist Diplom-Wirtschaftsmathematiker und arbeitet seit September 2023 als Investmentchef (Chief Investment Officer) bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank).