Alexander Börsch über Digitalisierung und Demografie
Wird es in Zukunft noch Arbeit geben und wenn ja, welche?
Denkt über die Zukunft der Arbeit nach: Alexander Börsch, promovierter Chefökonom und Leiter des Research bei Deloitte Deutschland. Foto: Deloitte
Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt und die Stimmung über seine Zukunft sind merkwürdig zweigeteilt. Auf der einen Seite eilt die Beschäftigung seit Jahren von Rekord zu Rekord, auf der anderen Seite steht die Angst vor der Automatisierung, die Jobs kosten könnte.
Doch trotz dieser enormen Verluste an Jobs stieg die Gesamtbeschäftigung in UK stark an, um fast ein Viertel. Neue Stellen entstanden beispielsweise im Dienstleistungsbereich, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beratung. Die Zahl der IT-Manager stieg um das doppelte, die der Unternehmensberater um das dreieinhalbfache. Noch viel stärker wuchsen die Jobs für Assistenzlehrer (+580 Prozent) und Pflegehelfer (+909 Prozent). Das zeigt, dass Technologien verschiedene Effekte haben können. Sie machen tatsächlich manche Jobs überflüssig, schaffen aber auch sehr viele neue Jobs in Bereichen, die die neue Technologie managen oder mit ihr arbeiten und damit von ihr profitieren. Nicht zuletzt...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Doch trotz dieser enormen Verluste an Jobs stieg die Gesamtbeschäftigung in UK stark an, um fast ein Viertel. Neue Stellen entstanden beispielsweise im Dienstleistungsbereich, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beratung. Die Zahl der IT-Manager stieg um das doppelte, die der Unternehmensberater um das dreieinhalbfache. Noch viel stärker wuchsen die Jobs für Assistenzlehrer (+580 Prozent) und Pflegehelfer (+909 Prozent). Das zeigt, dass Technologien verschiedene Effekte haben können. Sie machen tatsächlich manche Jobs überflüssig, schaffen aber auch sehr viele neue Jobs in Bereichen, die die neue Technologie managen oder mit ihr arbeiten und damit von ihr profitieren. Nicht zuletzt schafft sie Wohlstand, Nachfrage und neue Bedürfnisse, manchmal auch in völlig unerwarteten und nicht-technologischen Bereichen. Coffee Shops sind mehr oder weniger aus dem Nichts und durch neue Geschäftsmodelle ein Milliardenbusiness geworden, nicht zuletzt durch die Bereitstellung von WLAN und dem Trend zu Mobile Working, der wiederum durch die digitale Revolution ermöglicht wurde.
Der Blick voraus
Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen ist es zwar möglich, dass die nächste digitale Revolution grundlegend anderen Gesetzen folgen wird. Aber es ist nicht übermäßig wahrscheinlich. Welche noch nicht existierenden Jobs genau entstehen werden, ist freilich nicht vorhersagbar. In welchen Bereichen sie entstehen könnten, hingegen schon eher. Schließlich ist Digitalisierung nicht der einzige Megatrend, der die Arbeitsmärkte beeinflusst. Ein anderer ist die Demographie und die daraus resultierenden Verschiebungen der Nachfrage. Eine alternde Gesellschaft hat andere Bedürfnisse als eine junge – und wird damit das Wachstum in bestimmten Industrien, Segmenten und Berufsgruppen befördern. Diese Nachfrageverschiebungen sind erst einmal unabhängig von technologischen Entwicklungen.
Für Deutschland geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von vier Millionen wegfallenden Arbeitsplätzen bis 2035 aus, aber auch von 3,3 Millionen neuen Jobs. Netto würden also 700.000 Jobs wegfallen. Gleichzeitig geht allerdings die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 3.6 Millionen zurück. Das heißt, dass es am Ende einen Beschäftigungsengpass geben wird.
Den größten Arbeitskräftemangel wird es den Berechnungen zufolge dabei nicht bei den Technologieberufen geben, ganz im Gegenteil. Die Top-5 Berufsgruppen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit an Engpässen sind die Erziehungs- und Sozialarbeit, die Gesundheits- und Krankenpflege, die Arzt- und Praxishilfe sowie die Altenpflege. Im Dienstleistungsbereich dürften auch insgesamt am meisten neue Jobs entstehen, vor allem eben im Gesundheits- und Sozialwesen stark zunehmen, aber auch bei den freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistern. Die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe dürfte demgegenüber zurückgehen.
US-amerikanische Prognosen vom Office of Labor Statistics gehen in eine ähnliche Richtung. Auch in den USA wird das Gesundheits- und Sozialwesen der wichtigste Jobmotor sein und über ein Drittel aller neuen Jobs bis 2026 (in etwa 4 Millionen) schaffen. Unter den zehn am schnellsten wachsenden Berufsgruppen sind fünf aus diesem Bereich. Erst dann folgen Berufe, die man im digitalen Zeitalter ganz oben vermutet hätte, wie Programmierer, Mathematiker und Statistiker.
Sexiest jobs of the 21st century
Insofern geht uns nicht die Arbeit aus, sondern vielmehr die Arbeitskräfte in manchen Berufen. Damit sollte die Entlohnung für die dann gefragten Berufe steigen, also beispielsweise im Gesundheitswesen. Vielleicht ist dann auch nicht mehr Big-Data-Wissenschaftler der oft zitierte „sexiest job of the 21st century“, sondern Altenpfleger.
Es gibt kein Naturgesetz, das besagt, dass technologische Jobs am höchsten bezahlt werden müssen. Die Bezahlung richtet sich vielmehr nach der Produktivität und der Knappheit am Arbeitsmarkt. Generell dürften in einer Welt mit zunehmender Digitalisierung Jobs, die auf direkter Kommunikation und sozialen Fähigkeiten beruhen, eher gefragt sein. Denn diese Jobs sind nicht auf/an Maschinen übertragbar.
Digitaler Strukturwandel
Der oben beschriebene Strukturwandel wird die Arbeitswelt und bestehende Berufe verändern. Das Bewusstsein für den Strukturwandel ist allerdings noch nicht sehr ausgeprägt. Eine Deloitte Studie hat gezeigt, dass fast drei Viertel der befragten 15.000 europäischen Arbeitnehmer nur geringe Änderungen ihres Berufs in den nächsten zehn Jahren erwarten. Die Verantwortung für die Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten sehen sie vor allem beim Arbeitgeber und dem Staat, weniger bei sich selbst.
Dies illustriert die Rolle, die Politik und Unternehmen spielen müssen, um Bewusstsein für Strukturwandel zu schaffen und ihn zu gestalten. Dafür sind nicht einmal neue Instrumente nötig, sie müssen allerdings konsequent umgesetzt werden. Es geht vor allem um die Fähigkeiten, die Arbeitnehmer fit für die sich wandelnden Arbeitsmärkte zu machen. Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind hier die wichtigsten Stichworte, auch wenn sie seit langem diskutiert werden. Die Digitalisierung kann hier neue Impulse setzen. Gerade der Bereich Online Learning eröffnet viele neue Möglichkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse modular zu erwerben, wenn sich Jobprofile ändern, sich Arbeitnehmer neu orientieren wollen oder gänzlich neue Berufe entstehen.
So gesehen ist die Digitalisierung nicht nur ein entscheidender Treiber des Strukturwandels, sie stellt auch wichtige Tools bereit, um ihn besser zu bewältigen.
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